2011-07-28 „Eine nie endende Herausforderung" so beschreibt eine aktuelle Broschüre die Geschichte der Canon Objektive. Natürlich gilt sie so oder so ähnlich auch für andere Hersteller, aber am Beispiel des japanischen Weltmarktführers lässt sich sehr gut darstellen, welche technologischen Fortschritte im Laufe der letzten Jahrzehnte stattgefunden haben und wie sich der Wandel von rein mechanischer zu voll elektronischer Verbindung von Kamera und Objektiv vollzogen hat. Anders als viele deutsche, englische oder französische Unternehmen baut Canon erst seit ca. (Harald Schwarzer)
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65 Jahren Objektive - viele Innovationen, die wir heute in modernen Optiken zu schätzen wissen, z.B. eingebauter Bildstabilisator oder superschneller und flüsterleiser Autofokus per Ultraschallmotor, verdanken wir u.a. auch dem Erfindungsgeist der Canon Ingenieure. Eine einzige Brennweite war bei allen Messsucher- und Spiegelreflexkameras mit Wechselobjektiven sozusagen standardmäßig immer dabei war - 5 cm bzw. 50 mm. Auch wenn heute die meisten Kameras im „Kit" oder „Bundle" mit Zoomobjektiven verkauft werden, hat Canon immer noch Normaloptiken im Angebot. Drei unterschiedliche Lichtstärken stehen zur Auswahl: EF 1,2; EF 1,4 und EF 1,8 - dabei ist das 1,8er mit etwa 100 Euro das preiswerteste Objektiv mit Festbrennweite im aktuellen Produktprogramm - und mehr Lichtstärke (1,4 oder 1,2) kostet einen deutlichen Aufpreis. Diese Brennweiten führen heute eher ein Schattendasein, aber das war nicht immer so. Vor 30 bis 40 Jahren kaufte man seine Spiegelreflexkamera mit einer so genannten Bereitschaftstasche und einem Normalobjektiv. Was ist daran eigentlich normal? Per Definition ist das ein Objektiv, dessen Brennweite in etwa der Länge der Formatdiagonalen entspricht (also 43 mm beim Kleinbildfilm oder 90 mm beim 6x7 Rollfilm). Der Bildwinkel beträgt bei den genannten Brennweiten ungefähr 46 Grad und soll ungefähr dem Bildwinkel des menschlichen Auges entsprechen. Die Motive erscheinen uns damit angeblich in ihren normalen Ausdehnungen.
In den
1930er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden - nach Ansicht der Canon
Historiker - die beiden besten Kleinbildkameras von Leitz und Zeiss
hergestellt. 1932 kam die Leica II in den Handel und etwas später darauf folgte
die Contax I. Beide Kameras wurden in Deutschland hergestellt, das zu dieser
Zeit die weltbeste Präzisionsmaschinenindustrie besaß. Und so wurden sie rasch
zum Objekt der Begierde von Kameraliebhabern auf der ganzen Welt. Bis zu dieser
Zeit dienten in Japan, das damals kaum bzw. keine nennenswerte Technologiemacht
besaß, ausländische Kameras lediglich als Vorbild oder Kopiervorlage, denn
kaufen konnte sie der Durchschnittsjapaner nicht. So lag in dieser Zeit das
Anfangsgehalt eines Hochschulabsolventen in einem angesehenen Unternehmen bei
70 Yen pro Monat, während eine Leica mit einem 1:3,5 / 5cm Objektiv rund 420
Yen kostete. Die Kameras von Leitz und Zeiss waren für den Normalverdiener
eigentlich unerreichbar. Das war Ansporn genug für Goro Yoshida (1900 - 1993)
seine (und damit Japans) erste 35mm Kamera mit Schlitzverschluss und Messsucher
zu bauen. Dazu nahm er eine Leica II auseinander und studierte ihren Aufbau.
1933 wurde in einem Raum in einem dreistöckigen Wohnhaus im Tokioter Stadtviertel
Roppongi das Precision Engineering Research Laboratory (Seiki Kogaku) für die
Produktion hochwertiger Kleinbildkameras eingerichtet. Kwanon, die
buddhistische Göttin der Barmherzigkeit, war die Namenspatronin für die erste
japanische 35 mm Kamera mit Schlitzverschluss. Diesen ersten Prototyp
bezeichnen die Sammler heute als Kwanon X - sie ist eine relativ exakt
nachgebaute aber recht schlecht ausgeführte Leica Kopie und steht heute im
Canon Museum in Tokio. Es ist zu vermuten, dass sie der erste Versuch von Goro
Yoshida war. Ende 1935 wurde die erste richtige Produktionskameras vorgestellt
- Canon Hansa. Das Gehäuse wurde mit einer extern zugekauften Optikeinheit
(Objektiv und äußere Einstellschnecke ähnlich Contax) komplettiert, da Seiki
Kokagu noch nicht in der Lage war, eigene Objektive herzustellen. Der Lieferant
war Nippon Kokgaku - und so kommt es, dass in den frühen Canon Hansa Kameras
Nikkor Optiken eingebaut sind. Gut erhaltene Modelle erzielen heute auf
Auktionen Preise im oberen vierstelligen Euro-Bereich. Peter Dechert hat 1985
sein englischsprachiges Buch „Canon Rangefinder Cameras 1933-68" veröffentlicht
und die frühe Kooperation zwischen Canon und Nikon ausführlich beschrieben.
Wie
überall, lag die Industrie nach Ende des Zweiten Weltkriegs danieder und
Kameras wurden nur in geringer Stückzahl hergestellt - in Japan waren es 1945
insgesamt 13.082 Stück. Bei Seiki Kogaku hatte man nun angefangen, auch eigene
Objektive herzustellen - das versenkbare Serenar 1:3,5 / 5cm war vermutlich ein
Nachbau der zuvor verwendeten vierlinsigen Nikkor Objektives gleicher
Lichtstärke. Der Kameraanschluss war zwar ein Schraubgewinde, aber die
Gewindesteigung geringfügig vom Leica Standard M39 abweichend. Bei Dechert ist
nachzulesen, dass die Entwickler von Canon und Nikon fälschlicherweise einen
Wert von 1 mm annahmen - tatsächlich beträgt das Maß aber 0,977 mm.
(Foto: Canon)
Serenar
heißt „klar" und war schon ein paar Jahre zuvor als Markenname eingetragen
worden. Bereits 1947 gab es ein Serenar mit größerer Anfangsöffnung (1:2,0 und
danach 1:1,9), das nun eine sechslinsige Gauss Konstruktion war. Auch in
Deutschland hatte sich inzwischen die Existenz der angeblichen japanischen
Wunderlinsen herumgesprochen und in der Werkszeitung von Voigtländer wird 1953
aus einem internen Untersuchungsbericht wie folgt zitiert: „Wir haben die japanischen Objektive (Anm. des Autors: Nikkor 1:1,4
/ 5cm und Serenar 1:1,9 / 50mm) unseren
Herren Dr. Tronnier und Eggert anvertraut, die sie genau kontrolliert und
geprüft haben. Das Nikkor hat nicht die angegebene Lichtstärke von 1:1,4,
sondern nur 1:1,5. Es ist eine Nachahmung der älteren Sonnare 1,5 der
Entwicklungsstufe von 1936, bei welcher die seit dieser Zeit an den Sonnaren
angebrachten Verbesserungen nicht enthalten sind. Die Farbkorrektur des Nikkors
ist durchaus ungenügend. Das Auflösungsvermögen des Objektivs ist in der Mitte
gut, fällt nach dem Rand stark ab, so dass in keiner Richtung eine
ausgesprochene Schärfe vorliegt. Die Kontrastleistung des Objektivs ist sehr
gering. Mechanische Leistung durchweg gut, Fassung diamantgedreht. Beim Serenar
1,9 stimmte die Lichtstärke des Objektivs, welches nur eine geringfügig
abgewandelte Nachahmung des Summitars 1:2 der Firma Leitz ist. Die Bildmitte
ist jedoch schlechter als beim Summitar, die Farbkorrektion entspricht im
Wesentlichen dem Vorbild. Die mechanische Ausführung zeigt eine weitgehende
Übereinstimmung mit dem Leitz Objektiv, ohne dessen Exaktheit in vollem Umfang
zu erreichen." Ganz offensichtlich haben die japanischen Entwickler ihre
Hausaufgaben gemacht, denn was aus Nikon, Canon und Voigtländer geworden ist,
wissen wir heute nur allzu gut.
Canon IIF mit 1,8/50 mm
Bei
der Weiterentwicklung seiner Messsucherkameras war das zwischenzeitlich in
Canon Camera Company umbenannte Unternehmen aus Tokio seinem Vorbild Leitz
allerdings 1949 voraus. Denn in diesem Jahr hatte man das Modell IIB
vorgestellt - wie alle bis dahin produzierten Kameras eine Leica-Kopie, aber
mit entscheidenden Verbesserungen, die dem Anwender auch heute noch zugute
kommen. Denn es gibt nicht nur den kombinierten Suchereinblick, d.h. Sucher und
Entfernungsmesser in einem Fenster, sondern erstmalig in einer Kleinbildkamera
einen umschaltbaren Suchereinblick. Der kleine Hebel unterhalb des
Rückspulknopfes ermöglicht es, den Sucher blitzschnell auf doppelte oder
dreifache Vergrößerung umzustellen. Im Prinzip blieb es bei den Modellen der
II- und III-Baureihe beim Angebot eines Normalobjektivs mit mittlerer (3,5)
oder hoher (1,8) Lichtstärke. Inzwischen hatten alle Wechselobjektive das
universelle M39-Schraubgewinde, aber der Markenname Serenar entfiel Anfang der
1950er Jahre und die Optiken hießen wie die Kameras nur noch Canon. Mit dem
Modell IV wurde das 1:1,8 durch ein 1:1,5 ersetzt, das man gegen einen Aufpreis
von 50% erwerben konnte.
Die Canon VT (sprich „fünf" nicht „vau") kam 1956 auf
den Markt und hatte ein komplett neu gestaltetes Gehäuse - wieder wurde die
Lichtstärke der Standardoptik verbessert - 1:1,2 war nun das Maß der Dinge beim
50er. Das T steht für „trigger" und weist auf den im Boden unterbrachten
Schnellaufzugshebel hin (ähnlich Leicavit). Gegenüber der zwei Jahre zuvor
vorgestellten Leica M3 hatten die V-Modelle den Vorteil der angelenkten
Rückwand und den Nachteil des kleineren Suchers ohne Leuchtrahmen und des
zweiteiligen Zeitenwählrades, das den Einsatz eines aufsteckbaren
Belichtungsmessers unmöglich machte. Dieser konstruktive Mangel wurde erst mit
der Markteinführung der Baureihe VI behoben. Aber dennoch war Canon zu diesem
Zeitpunkt auf dem immer wichtiger werdenden amerikanischen Exportmarkt
gegenüber Leitz und Nikon ins Hintertreffen geraten und versuchte zu einem sein
Produktprogramm nach unten abzurunden (Canon P = popular) oder durch optische
Höchstleistungen auf sich aufmerksam zu machen. So muss man wohl die Vorstellung
der Canon 7 mit dem imposanten 1:0,95 / 50mm Normalobjektiv verstehen. Unter
Lichtstärke 1:1 hatte es bis jetzt noch keiner der Wettbewerber geschafft. Auch
wenn die Leistung bei dieser extremen Anfangsöffnung sehr bescheiden ist,
wollten doch einige Leitzianer dieses Objektiv haben. Ab und zu tauchen bei
Auktionen auf M-Bajonett umgebaute Objektive auf. Das war ohne viel Aufwand
möglich, denn wegen der großen Hinterlinse konnte Canon diese Optik nicht mit
dem M39 Schraubgewinde versehen. Stattdessen gibt es ein spezielles
Außenbajonett. Beide Modelle entwickelten sich zum Verkaufsschlager - so wurde
die Canon 7 mit über 137.000 Stück zur meistverkauften Messsucherkamera für die
aufstrebende japanische Firma, gefolgt von der Canon P mit ca. 88.000 Stück.
Canon P mit 1,4 /50 mm und aufgesetztem Belichtungsmesser
Zum Vergleich - Leitz produzierte ca. 225.000 M3 und Nikon etwa 23.000 SP. Der
Kunde von damals und der Sammler von heute - hatte und hat eine große Auswahl
an passenden Normalobjektiven mit 50mm Brennweite in verschiedenen Lichtstärken
- 0,95 (nur Modell 7); 1,2; 1,4; 1,8; 2,2 und 2,8.
Alle Canon Objektive, die ab
Anfang der 1960er Jahre produziert wurden, gelten als optisch ausgereift und
mechanisch sehr gut verarbeitet - Pilzbefall oder verkratzte Frontlinsen sind
eher selten anzutreffen. Das 1,4er in der
zweiten Version mit glatt geriffeltem Entfernungsring wird von vielen
Sammlern und Anwender als eines der besten Normalobjektive mit M39
Schraubgewinde angesehen. Gerade die lichtstarken Ausführungen sind auch heute noch gefragt - so kostet z.B. ein gut erhaltenes 1,2/50 mm ca. 300 bis 400 Euro und ist wegen seines schönen Bokeh's ein beliebtes Porträtobjektiv an digitalen MFT Kameras.