Warum wir nicht mehr über Crowdfunding berichten
Erfahrungen mit Crowdfunding-Kampagnen
2018-08-17, aktualisiert 2018-08-18 In der Vergangenheit haben wir auf digitalkamera.de und digitalEyes.de gelegentlich über Crowdfunding-Projekte berichtet. Seit einiger Zeit tun wir das nicht mehr, obwohl es uns gelegentlich immer mal "juckt", das eine oder andere vermeintlich interessante Produkt einer Crowdfunding-Kampagne schon im Frühstadium vorzustellen. Hier lesen Sie, warum das Thema "Crowdfunding" nicht mehr Teil unserer redaktionellen Berichterstattung ist. (Jan-Markus Rupprecht)
Grundsätzlich ist Crowdfunding ja eine gute Sache. Die Idee dahinter ist, dass gerade kleinere Unternehmen oder sogar Einzelpersonen sich von einer Menge an Personen das Geld beschaffen, eine Idee oder ein Projekt weiter zu entwickeln und zur Serienreife zu entwickeln, was sonst z. B. ohne Banken-Kredite und entsprechendes Risiko für die Unternehmen oder Personen nicht möglich gewesen wäre. Sehr verlockend erscheint zudem die damit verbundene Möglichkeit, im Voraus zu ermitteln, ob ein Vorhaben überhaupt genug Interessenten finden wird. Beispielsweise kann ein noch nicht sehr bekannter Musiker, der überlegt, professionell in einem gemieteten Studio (und vielleicht mit bezahlten Studio-Musikern) ein Album aufzunehmen, zuvor ermitteln, ob in seiner Fan-Gemeinde genug Leute sind, die bereit sind, das Album zu kaufen, sodass sich die Kosten tragen. Oder ein Student, der im Rahmen einer Diplomarbeit den Prototyp einer 360-Grad-Panoramakamera entwickelt hat, könnte versuchen, auf diese Weise das Geld für die Weiterentwicklung zum Serienprodukt und die Erstproduktion zu bekommen und sieht dabei ja auch, ob es überhaupt genug Nachfrage für ein solches Produkt gibt. Soweit so gut.
Teilweise gibt es scheinbar verrückte und scheinbar geniale Ideen, die über Crowdfunding finanziert werden. Teilweise sind es aber absolut banale Sachen, bei denen man sich fragt, was der Quatsch soll. Crowdfunding ist offen für alle und alles. Auch verrückte Sachen, auch für Künstler, auch für karikative Zwecke – und das ist gut so.
Crowdfunding wird mitunter allerdings auch als Marketing-Instrument missbraucht, das ist einer der beiden Gründe, warum wir das Thema künftig aussparen. Sicherlich ist es legitim, wenn beispielsweise ein Unternehmen, das die Markenreche an der Marke "Meyer Optik Görlitz" und diversen anderen Marken gekauft hat, erst einmal per Crowdfunding sondiert, ob im Markt überhaupt eine konkrete Nachfrage für die Idee besteht, historische Objektiv-Konstruktionen neu aufleben zu lassen. Wenn dieses Verfahren dann aber für weitere Objektive immer und immer wieder angewendet wird bei dieser und anderen zu dem Unternehmen gehörenden Marken, dann erweckt das für mich den Eindruck, da würde die Crowdfundig-Plattform vor allem als Marketing-Plattform genutzt. Genau wie die Firma Peak Design (u. a. Taschen und Rucksäcke), mit mittlerweile 30 festangestellten Mitarbeitern, die immer wieder Crowdfunding-Kampagnen auf Kickstarter machen, denn Crowdfunding ist (immer noch) relativ hip und solche Produkte bringen oft nur deshalb einige Aufmerksamkeit, weil sie auf diese Weise finanziert werden. Sonst würde wohl im Vorwege kaum ein Hahn nach solchen Objektiven oder Rucksäcken krähen. "Einerseits ist das für mich kein richtiges Crowdfunding mehr, denn es steht eine inzwischen große Firma dahinter und die Produkte sind fertig entwickelt. Im Prinzip kauft man ermäßigt per Vorbestellung bereits vor der Produktion", sagt mein Kollege Benjamin Kirchheim, der über eine solche Kampagne 2016 einen Peak-Design-Rucksack gekauft hat.
Der Hauptgrund, warum wir auf digitalkamera.de nicht mehr über Crowd-Funding-Projekte berichten wollen, ist jedoch die erhebliche Unsicherheit, die für den Käufer dabei besteht. Vielen Leuten ist das möglicherweise nicht umfassend klar, wenn sie einiges Geld in eine Kampagne auf einer der großen Crowdfunding-Plattformen stecken, denn diese sind meist sehr professionell gestaltet und wer eine Crowdfunding-Kampagne, insbesondere für ein technisches Produkt, erfolgreich durchführen will, investiert meist im Vorwege eine Menge Zeit und Geld in und eine sehr professionelle Präsentation. Dabei locken die Kampagnen mit teilweise extrem hohen Rabatten, dadurch wird die Gier der Käufer geschürt, das Gehirn setzt aus, Geiz ist geil, das kennt man ja. 30 oder gar 50 Prozent sparen bei einem Produkt, das ist natürlich verlockend. Ob der theoretische Preis für das Produkt dann überhaupt angemessen ist und ob es sich später wirklich dafür verkaufen lässt, ist eine andere Sache. Das ist wie mit der unverbindlichen Preisempfehlung und dem tatsächlichen Marktpreis – dazwischen können schon mal 30 Prozent liegen. Eben jene 30 Prozent, die man vielleicht vorher vermeintlich gespart hat. Aber es gibt natürlich auch viele Beispiele, wo die angepeilten Verkaufspreise tatsächlich erzielt werden oder die Produkte sogar noch teurer werden, wenn sie denn tatsächlich funktionieren oder wenn sie überhaupt ausgeliefert werden.
Das ist nämlich das noch größere Problem. Anders als beim normalen Kauf im Laden oder in einem Online-Shop kauft man nicht einmal die Katze im Sack, sondern man kauft eigentlich nur das Angebot, vielleicht später mal ein Produkt zu bekommen. Gerade bei technischen Produkten besteht nicht nur die Gefahr, dass das Produkt niemals fertig wird, sondern auch, dass es nicht so (gut) funktioniert, wie der Hersteller es sich erhofft hat. Oder dass das Unternehmen pleite geht. Ein paar Beispiele gefällig?
Update 2018-08-18 In der ursprünglichen Fassung dieser Meldung hatten wir in der folgenden Überschrift versehentlich die Firma Net SE mit dem Objektivmarke Laowa in Verbindung gebracht. Laowa arbeitet zwar auch mit Crowdfunding, hat aber nichts mit Net SE zu tun. Laowa-Objektive werden von der chinesischen Firma 'Anhui Changgeng Optics Technology Co., Ltd (Venus Optics)' produziert und in Deutschland durch das etablierte Unternehmen Brenner Import- und Großhandels GmbH (kurz 'B.I.G. GmbH') vertrieben.
Net SE (Meyer Optik Görlitz, Oberwerth, Globell B.V. u. a.)
Hinter der schon erwähnten Marke Meyer Optik Görlitz und diversen anderen Marken steht die Firma Net SE, die für etliche dieser Marken immer wieder Crowdfunding-Kampagnen auf Kickstarter und Indiegogo durchgeführt hat. Darüber hinaus gehören direkte Vorverkaufsaktionen mit extrem hohen Preisnachlässen (50 Prozent auf den offiziellen Verkaufspreis) im eigenen Online-Shop zum Geschäftskonzept der Net SE. Das Unternehmen hat – eigenen Angaben nach in Folge eines schweren Autounfall des Vorstands-Vorsitzenden – im Juli 2018 Insolvenz angemeldet. Es teilt seinen Unterstützern in den immerhin fünf aktuellen Crowdfunding-Kampagnen mit, dass man noch nicht wisse, ob oder wie es weitergeht und ob die finanzierten Produkte ausgeliefert werden. Von der Insolvenz genauso betroffen sein dürften diejenigen, die die Objektive direkt im Meyer Optik Görlitz Online-Shop vorbestellt haben.
Die Produktion der 2. Generation des Meyer Optik Görlitz Nocturnus 50 f0.95 DSLR ist fraglich. Das Objektiv wurde Vorbestellern im eigenen Online-Shop mit teilweise mehr als 50 % Rabatt angeboten: 50 Stück für jeweils 1.899 € statt 3.999 €. [Foto: Meyer Optik Görlitz]
TrackR Bravo
Ich hatte einmal die Crowdfundig-Kampagne für ein kleines "Schlüssel-Wiederfindegerät" namens TrackR Bravo unterstützt. Ich verlege öfter mal meine Schlüssel. Dort einen kleinen Schlüsselanhänger dran zu haben, der piepst, wenn ich am Smartphone in der zugehörigen App einen Knopf drücke, schien mir verlockend zu sein. Der Preis war nicht hoch. Da ich mehre Schlüssel und Schlüsselbunde habe, schien das 5-Stück-Pack genau richtig zu sein. Tatsächlich klappte auch alles mit der Kampagne und die Geräte wurden mehr oder weniger pünktlich geliefert. Allerdings funktionierten sie nie wirklich. Zwar konnte man sie per Bluetooth koppeln, aber die Reichweite war derart kurz, dass das die Dinger in der Praxis überhaupt nicht hilfreich waren. Zudem war die Batterie nach zwei Wochen leer und danach ging dann sowieso gar nichts mehr. Das mit der zuvor versprochenen ordentlichen Reichweite und der langen Batterielebensdauer hatte also leider nicht geklappt. Entsprechend schlecht waren später auch die Bewertungen in den Tests und auf Amazon. Rausgeworfenes Geld für Elektroschrott also.
Die Schlüsselanhänger TrackR Bravo sollen ein einfaches Wiederfinden der an ihnen befestigten Gegenstände ermöglichen. Per Smartphone-App soll ein Signalton im Schlüsselanhänger ertönen. Das funktioniert nur leider in den seltensten Fällen. [Foto: TrackR]
Fortsetzung auf Seite 2