Randnotizen
Ist "Brennweite" eine unpassende Bezeichnung?
2008-10-24 Ich stelle gerne kontroverse Thesen auf, vor allem der meist sehr interessanten Diskussionen wegen (siehe "Wer hat bloß das blöde Wort "Spiegelreflex" erfunden?"). Dieses Mal ist es ein Zitat unseres Bildqualitätsexperten Anders Uschold:"Das grundlegende Problem liegt [...] darin, dass Brennweite per se eine der dümmsten Bezeichnungen ist, die Physiker wohl für die Beschreibung einer Geräteeigenschaft gewählt haben." (Benjamin Kirchheim)
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Warum ist dem so? Die Brennweite ist die Entfernung eines Punktes hinter einer idealen Linse, in dem sich die Lichtstrahlen treffen. Ein Objektiv besteht aber nicht aus einer Linse, sondern aus sehr vielen. Diese zusammen ergeben ein optisches System, dem man zumindest rein rechnerisch eine Brennweite zuordnen kann. Das sagt aber z. B. nichts über die Größe eines Objektivs. So liegt der Brennpunkt eines 14-mm-Objektivs im Objektiv selbst, während ein 400mm-Objektiv nicht etwa 40 cm lang ist, sondern kürzer.
Die Bezeichnung Brennweite wird auch gerne dafür verwendet zu beschreiben, welcher Bildwinkel erfasst wird. Dabei sagt die Brennweite dies gar nicht aus. Erst im Zusammenhang mit der Größe des Aufnahmesensors (bzw. früher des Films) kann man den erfassten Bildwinkel berechnen. Wir Menschen sind allerdings Gewohnheitstiere. So hat das 35mm-Filmformat (bis auf wenige Mittelformat-Fotografen) lange Zeit die Fotografie dominiert, so dass zumindest langjährige Fotografen und andere Fachleute – vor allem aber auch die Konsumenten – ein Gefühl dafür haben, welchem Bildwinkel eine bestimmte Brennweite bei einem 35mm-Film entspricht: 50 mm ist die Normalbrennweite, 28 mm ist ein Weitwinkel, 85 mm ist eine Porträtbrennweite, und 200 mm ist ein Tele.
Spätestens als die Digitalfotografie mit ihren unterschiedlichen Sensorgrößen kam, wurde alles über den Haufen geworfen. Plötzlich haben Objektive beispielsweise eine Brennweite von 5-25 mm. Um den armen, möglichweise verwirrten Konsumenten zu helfen, wurden Dinge wie eine "kleinbildäquivalente" Brennweite oder Crop-Faktoren oder auch Brennweitenverlängerungsfaktoren "erfunden". Auch das ist genau genommen großer Blödsinn. Große Verwirrung stiftet dann auch eine beliebte Faustregel, die besagt, dass der Kehrwert der Brennweite die längstmögliche Belichtungszeit angibt, bei der man noch verwackelungsfrei aus der Hand fotografieren kann. Welche Brennweite nimmt man denn da jetzt her? Die physikalische? Die Kleinbildäquivalente, also unter Berücksichtigung des Crop-Faktors? Letztere ist richtig, was wir demnächst noch in einem redaktionellen Beitrag auf digitalkamera.de genauer beleuchten wollen.
Wäre es also nicht viel einfacher, wir würden von Bildwinkeln statt von Brennweiten sprechen? 80° ist ein Weitwinkel, 45° ist ein normaler Winkel ("Normalbrennweite"), 28° ist ein Porträtwinkel und 10° ein Telewinkel. Oder ist der Mensch zu sehr Gewohnheitstier? Bei einem Auto spricht man von PS bzw. kW, Bildschirmdiagonalen und Reifengrößen werden in Zoll angegeben, und der eine oder andere Bundesbürger rechnet noch in Mark oder findet einen "Glückspfennig" – selbst Pfund und Zentner werden noch fleißig verwendet. Bei Objektiven, die man sowohl an einem Kleinbildsensor als auch an APS-C montieren kann, müsste man dann korrekterweise von einem "Bildwinkelverkleinerungsfaktor" sprechen, aber schon bei Objektiven, die nur einen APS-C-Bildkreis haben, gäbe es nur noch einen Bildwinkel.
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