Rückblende
Vom optischen zum elektronischen Sucher – Teil 1
2013-02-14 Von den vielen technischen und praktischen Problemen, die die Fotografie auf dem langen Weg seit ihrer Erfindung im Jahr 1839 zu lösen hatte - Art und Empfindlichkeit des Aufnahmematerials, Steigerung der Lichtstärke der Objektive, Beseitigung von Abbildungsfehlern, Ermittlung der korrekten Belichtung und deren Steuerung durch den Verschluss, Synchronisation von Blitzgeräten, Methoden der Scharfeinstellung und vieles mehr - stellte sich von Beginn an auch die Frage, wie man den gewünschten Bildausschnitt möglichst einfach und genau festlegen konnte. Mit Mattscheibenkameras, deren Sucherbild mit dem tatsächlichen Aufnahmeformat 100%ig übereinstimmt, war das gegeben. (Harald Schwarzer)
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Doch die Langsamkeit und Umständlichkeit dieses Kameratyps führte rasch zu anderen Suchersystemen, um die es in diesem und in den folgenden Beiträgen gehen soll.
Einfache Rahmen- und Brillantsucher
Kamerahaltung mit einer EHO Box von 1932 - gar nicht nicht so anders wie bei heutigen Digitalkameras!
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die klassischen Porträtmaler immer mehr durch die Porträtfotografen abgelöst. Wer es sich leisten konnte, machte sich fein und ging zum Fotografen ins Studio - dort konnte Mann/Frau in aller Ruhe posieren und sich in der gewünschten Umgebung darstellen lassen. Der Fotograf hatte seine Kamera auf ein stabiles Stativ aufgebaut und verschwand zeitweise unter einem schwarzen Tuch. Denn nur in entsprechend abgedunkelter Umgebung konnte er auf der Mattscheibe alle Aufnahmeparameter prüfen. Gegen Ende des Jahrhunderts kamen kleinere Kameras mit Rollfilmen auf den Markt und der Fotograf konnte sie mit nach draußen nehmen; die Straßen- und Momentfotografie begann. Aber wie sollte man bei hellem Tageslicht die Bildgestaltung auf der Mattscheibe beurteilen? Eine zusätzliche Einrichtung musste her und so bekamen die Kameras einen Bildsucher. Dazu schreibt P. Hanneke in seinem Buch „Das Arbeiten mit kleinen Kameras" von 1928: „Der Bildsucher, dieses Instrument zum Richten der Kamera nach dem aufzunehmenden Gegenstande, ist kein voller Ersatz für die Mattscheibenbeobachtung; er zeigt uns zumeist nicht das Bild in gleicher Größe, wie es aufgenommen wird, noch veranschaulicht er uns die vorhandene Schärfeverteilung. Bei der Momentfotografie liegt der Zweck des Suchers häufig nur darin, ein Werkzeug zu haben, das uns anzeigt, ob der aufzunehmende Hauptgegenstand vollständig im Bilde wiedergegeben ist."
Drei unterschiedliche Suchertypen waren zu dieser Zeit an den Kameras anzutreffen - der Rahmensucher (links), der Newtonsucher (Mitte) und der Brillantsucher (rechts).
Der Rahmensucher ist immer zweiteilig und an der Vorder- und Rückseite der Kamera angebracht; er besteht aus dem vorderen Rahmen (meist aus Draht und manchmal mit Fadenkreuz) und der rückseitigen Visiereinrichtung (meist ein Metallstift). Die Spitze des Stiftes muss der Betrachter mit der Mitte des Rahmens in Deckung bringen, um die Kamera gerade auszurichten. Dabei muss der Fotograf auch durch Vergleichen mit dem tatsächlich aufgenommenen Bild den korrekten Abstand zum Rahmensucher herausfinden.
Der ständige Wechsel zwischen dem Blick in die Nähe und in die Ferne ermüdete zudem die Augen. Konstruktiv anders gelöst wurde es z.B. an der kleinen Box Tengor von Zeiss Ikon. Zieht man den Rahmen an der Vorderseite heraus, ist die Kamera aufnahmebereit. Die Visiereinrichtung an der Rückseite ist ein kleiner Klapprahmen, dessen innere Begrenzung mit dem vorderen Drahtrahmen in Deckung gebracht wird - und das ist nur dann der Fall, wenn sich die Kamera direkt am Auge des Fotografen befindet.
Der Newtonsucher beruht auf dem gleichen Prinzip wie der Rahmensucher, enthält jedoch eine Konkavlinse, die das Bild zwar verkleinert aber immer den gleichen Bildausschnitt anzeigt. Das ist eine Verbesserung gegenüber dem einfachen Rahmensucher, bei dem sich der Bildausschnitt ja mit dem Augenabstand verändert. Außerdem wurde der Sucher viel kleiner, wie man an den frühen Foth Derby Modellen sehen kann. Das Fadenkreuz ist nun in die Linse eingraviert.
Eine besondere Bauform ist der Lupensucher der ersten Box von Emil Hofert - die EHO 110 von 1932. Hält man die Box im richtigen Abstand vor sich, sieht man ein verkleinertes Bild der Umgebung - stimmt der Abstand nicht, erscheint das Sucherbild unscharf. Bei Nichtgebrauch wird der Sucher um 180 Grad gedreht und dient dann als Staubschutz für das Objektiv.
Einfache Rahmensucher finden sich aber nicht nur an frühen Box-Kameras sondern auch an vielen Balgenkameras. Dabei ist der Drahtbügel an der ausziehbaren Objektivstandarte angebracht und kann zur Seite ausgeklappt werden. Vielfach befindet sich an der Standarte auch noch ein zusätzlicher winziger Sucher - der Brillantsucher (manchmal kombiniert mit einer kleinen Libelle zur Kontrolle der horizontalen Ausrichtung). Anders als bei den beiden ersten Suchertypen erfolgt hierbei der Einblick von oben; denn das durch eine Sammellinse erzeugte Bild wird im Sucher durch einen kleinen Spiegel um 90 Grad umgelenkt und auf eine winzige Mattscheibe mit Vergrößerungslupe projiziert. Fehlt die Lupe, spricht man von einem Mattscheibensucher, dessen Bild zwar scharf begrenzt, aber deutlich dunkler ist. Wird ein nicht-quadratisches Filmformat verwendet, sind im Brillantsucher Ecken eingeblendet, die die Begrenzung des Bildausschnittes andeuten sollen. An Balgenkameras ist er häufig drehbar angebracht, um die Bedienung der Kamera von oben und von der Seite zu ermöglichen.
Taschenkameras müssen schon auf Grund ihrer Bestimmung klein sein; und dennoch haben es die Entwickler der Ensign Midget geschafft zwei Sucher einzubauen. Im zusammengeklappten Zustand misst die Kamera gerade mal 91x43 mm und ist nur 20 mm tief. Der Spieltrieb erwacht, wenn man sie in Aufnahmebereitschaft versetzen will. Zunächst wird der zweiteilige Rahmensucher aufgeklappt, denn nur so kommt an die beiden Griffmulden heran und kann den Balgen herausziehen. Dabei bewegt sich der Rahmen mit nach vorne. Dann noch den auf der Rückseite befindlichen kleinen Rahmen aufrichten und den vorderen Brillantsucher ausklappen.
„Man kann mit dem Brillantsucher ziemlich unauffällig fotografieren, da man die Kamera nur vor den Bauch halten muss und nicht vors Auge. Ein gut geputzter Brillantsucher kann mit einiger Übung durchaus zum schnellen Ausrichten der Kamera benutzt werden und stellt eine brauchbare Alternative zu Rahmen- und Sportsuchern dar." schreibt Oliver Corff auf seiner Webseite „Das Klappkamera-ABC".
Bei den einfachen Box-Kameras hingegen sind zwei Mattscheiben- oder Brillantsucher eingebaut - einer oben und einer an der Seite, um Aufnahmen im Hoch- oder Querformat zu ermöglichen. Generationen von Boxen haben daher auf der Vorderseite die typischen drei Augen - in der Mitte das Objektiv und darüber rechts und links die beiden Sucher. Das zuvor erwähnte unauffällige Fotografieren führte zu einer vollkommen neuen Kamerahaltung - der Bauchperspektive. Anders als bei dem Newtonsucher ist das projizierte Bild beim Brillantsucher aber seitenverkehrt. Nicht alle Boxen haben ein rechteckiges Bildformat (z.B. 6x9 cm), denn es gibt auch Ausführungen, die auf einem 120er Rollfilm Negative im Format 6x6 cm erzeugen. Die Wahl zwischen Hoch- und Querformat entfällt und somit auch ein Sucher.
Geschickt genutzt haben das die Entwickler von Ising in Bergneustadt. Ihre Pucky Boxen haben auf der Oberseite einen großen Brillantsucher - dementsprechend groß fällt auch die vorderseitige Sammellinse aus und zusammen mit dem darunter liegenden Objektiv kann man die Kamera durchaus für eine zweiäugige Rolleiflex halten. Ising hat viele seiner Kameras exportiert und so gab es für den amerikanischen Markt eine Bolsey-Flex mit eleganter, hellgrauer Belederung. Und auch einen aufklappbaren Lichtschacht hat diese Kamera.
Die Weiterentwicklung des Newtonsuchers ist der Fernrohrsucher, der vorderseitig eine zusätzliche Sammellinse besitzt. Das Sucherbild ist aufrecht und - anders als beim Brillantsucher - seitenrichtig. Bei diesem umgekehrten Galilei-Fernrohrprinzip liegt der Fokuspunkt außerhalb des Suchersystems und erlaubt daher keine Einbringung irgendeiner Bildfeldgrenzung. Immerhin ist die Kamerahaltung endlich wieder „richtig" - man hält sie ans Auge und nicht vor den Bauch. Dabei nimmt man in Kauf, dass die Sucherbegrenzung immer unscharf erscheint und somit der Bildausschnitt nicht exakt bestimmt werden kann. Zunächst wurden diese Fernrohrsucher auf das Kameragehäuse aufgesetzt; später bekam das Gehäuse eine entsprechende Ausbuchtung.
Was man machen musste, um auch Bildfeldrahmen, Entfernungsmesser oder Belichtungsinformationen in den Sucher zu integrieren, darüber wird im zweiten Teil berichtet.
Weiterführende Links:
http://www.corff.de/Klappkameras/Klappkameras.html#toc4