Rubrik: Grundlagenwissen
Am Ende der Schärfe
2002-03-11 Wie gerne möchte man ein Gesicht oder sogar eine Rose formatfüllend auf das Bild bekommen. Doch das ist nicht ohne weiteres möglich, leider. Wenn Sie mit der Kamera einen Mindestabstand überschreiten, werden Ihre Bilder unscharf. Das hängt mit der Konstruktion des Objektivs zusammen. (Jürgen Rautenberg)
Bayernband als Beispiel für Tiefenschärfe [Foto: Jürgen Rauteberg]
Jede Linse erzeugt, abhängig von ihrer Form, Schärfe nur in einer sehr
begrenzten Entfernung. Das Gleiche gilt für ein Objektiv, das ja aus mehreren
Linsen besteht. Erst durch den Einsatz der Blende ist es möglich, die
punktförmige Schärfe auf eine gewisse Strecke auszudehnen. Die Blende ist eine
im Objektiv-Tubus montierte Vorrichtung, mit deren Hilfe der Durchmesser des
Strahlenganges im Objektiv verkleinert und vergrößert werden kann. Das
bewirkt, dass die Punktschärfe des Objektivs auf eine bestimmte Strecke gedehnt
wird. Diese Dehnung nennt man Schärfentiefe – sie ist umso größer, je kleiner
die Blendenöffnung ist. Zur Erinnerung: Je größer die Blendenzahl, desto
kleiner die Blendenöffnung.
Die Schärfe kann jedoch nicht unendlich gedehnt werden, der
Konstruktionsaufwand und damit der Preis würden in keinem Verhältnis zum
Nutzen stehen. Es ist jedoch unbedingt ein Leistungskriterium, bis zu welchem
Motivabstand das Objektiv noch ein scharfes Bild zeichnet. Es gibt Objektive,
deren Mindestabstand einen DIN A4-Ausschnitt erlaubt, andere erfassen einen
Ausschnitt von DIN A6; was etwa dem Abbildungsmaßstab 1:4, also einer
vierfachen Verkleinerung des Motivs, entspricht. Einige Digitalkameras können
sogar ohne optische Vorsätze eine Visitenkarte formatfüllend ablichten, bei
anderen lässt sich dies durch die Montage von Vorsatzlinsen oder Achromaten
erreichen. Soweit zur Technik.
Osterhasenschule als Beispiel für Tiefenschärfe [Foto: Jürgen Rauteberg]
Haben Sie schon einmal versucht, den Mindestabstand ihres Objektives und so
dessen kleinsten erreichbaren Abbildungsmaßstab zu testen? Das sollten Sie
unbedingt tun. Sie werden erstaunt sein, wie weit Sie in den Nahbereich
eindringen, welche kleinen Motive Sie ohne zusätzlichen Aufwand noch
formatfüllend fotografieren können.
Das Problem "Je länger die Brennweite, desto geringer die
Schärfentiefe" trifft für die Digitalfotografie in wesentlich geringerem
Maße zu, als für Kameras mit größeren Bildformaten. Gültig bleibt jedoch
die Regel "Je kürzer der Aufnahmeabstand, desto geringer die
Schärfentiefe". Deshalb kann es auch mit einem winzigen CCD-Chip einer
digitalen Kompaktkamera schon geschehen, dass Bereiche Ihres Bildes im Vorder-
oder Hintergrund nicht scharf abgebildet werden. Der Tubabläser der Bayernband
beispielsweise ist leicht unscharf; für ihn hat die Schärfentiefe nicht
gereicht. Vergleichen Sie das mit dem Osterhasenschulenbild, das die gleiche
Motivtiefe hat, dann erkennen Sie, warum hier alle Bildteile scharf sind: Das
Foto wurde schräg von oben aufgenommen, was die Tiefenausdehnung des Motivs
verringert. Die Schrecke auf dem dritten Bild im Abbildungsmaßstab etwa 1:2
wird allerdings auch bei komplett geschlossener Blende kaum ganz scharf werden.
Mit solchen Resten von Unschärfe muss man im Nahbereich halt leben. Wichtig:
Die Hauptschärfe immer auf das bildwichtigste Motivteil legen, bei Lebewesen
also Kopf oder Auge. Am besten, Sie testen das mit ein paar Übungen aus, dann
bekommen Sie das Problem schnell in den Griff.
Schrecke als Beispiel für Unschärfe [Foto: Jürgen Rauteberg]
Herbstlaub als Beispiel für Schärfentiefe [Foto: Jürgen Rauteberg]