Rubrik: Bildgestaltung
Atmosphärisches
2002-08-12 Sie sollten dem Betrachter ein Motiv nicht einfach nüchtern und lieblos auf den Schirm klatschen. Ohne eigene Handschrift, ohne mitzuteilen, wie angetan Sie selbst davon sind. Runden Sie es ab, indem Sie ihm zusätzliche, ergänzende oder schmückende Elemente mitgeben, die aus dem Motiv ein Bild machen. (Jürgen Rautenberg)
Traumschiff, bedroht [Foto: Jürgen Rauteberg]
Ein Bild soll eine Geschichte erzählen, nicht mit einem mürrischen Halbsatz
abspeisen. Und das erfordert Fantasie! Versuchen Sie es, indem Sie Atmosphäre
schaffen. Das kann auf vielerlei Weise geschehen. Meist hängt es davon ab, was
es im Umfeld des Motivs zu sehen gibt – beziehungsweise was man selbst sieht …
Glück haben Sie, wenn sie etwas entdecken, das der Story einen besonderen
Effekt verleiht. Das Kreuzfahrtschiff, mit dem Sie unterwegs sind oder gerne
sein möchten, wurde von Tausenden Passagieren geknipst und findet sich in
ebenso vielen Alben oder auf Festplatten oder CD-ROMs wieder. Unser stolzer
Schwan schwimmt zwar auch schön in der Sonne. Groß in den Vordergrund jedoch
wurde hier die Uralt-Kanone gesetzt. Ob Sie eine Bedrohung hineinsehen oder nur
einen Gag, auf jeden Fall rundet die Kanone das Motiv ab, bringt durch den
Kontrast modern/alt ein Stück Hafenromantik hinein. Anders als tausend andere
erzählen Sie ihre eigene Geschichte.
Fensterblick Island [Foto: Jürgen Rauteberg]
Ihnen ist das Schiff im Verhältnis zur Kanone zu klein? Wählen Sie eine
längere Brennweite; sie holt das Schiff heran. Sie müssen dann nur soweit
zurückgehen, bis der Vordergrund wieder so groß ist, wie vorher. Umgekehrt:
Wählen Sie eine kürzere Brennweite, dann sehen Sie mehr vom Vordergrund, das
Schiff wirkt klein und weit entfernt.
Der Hafen nahe dem Polarkreis ist nicht gerade ein berauschendes Erlebnis.
Dennoch fasziniert die Konfrontation mit Island, seinen Menschen und seinen
Lebensumständen. Interessant der Baustil der den Hafen beherrschenden
Holzkirche. Deren Panoramafenster bot sich als Kontrast an; Das Ergebnis lässt
etwas von typisch isländischer Atmosphäre spüren.
Theater Epidauros [Foto: Jürgen Rauteberg]
Aufgrund der Geschichte antiker Bauwerke werden Sie von vielen Menschen
besucht. In diesem Bild zogen die Besucher sich für die Erläuterungen der
Führerin in den Schatten zurück. Optisch geschieht zweierlei: Einmal entsteht
ein Zeit-Kontrast zwischen dem geschichtlichen Bauwerk mit seinem berühmten
akustischen Phänomen – man hört selbst im obersten Rang jedes Wort, das im
Rund gesprochen wird – und den Menschen von heute. Zum anderen entwickelt sich
ein Hell-Dunkel-Kontrast, der das sonnendurchstrahlte Stadion aus dem umgebenden
Dunkel hervortreten, fast kann man sagen "erstrahlen" lässt. Trotz
der Platzierung im Hintergrund wird es zum zentralen Blickpunkt. Auch bei diesem
Bild also ein Abweichen vom Schema, um das Erlebnis Geschichte auch im Bild
nachvollziehbar zu machen.
Falls Sie bei diesem Motiv befürchten, aufgrund des enormen Lichtkontrastes
könne die Belichtung misslingen, dann schießen Sie drei Fotos. Eines ohne
Korrektur, eines mit einer Unter- und eines mit einer Überbelichtung um je eine
Blendenstufe (hochwertige Digitalkameras bieten dafür oft die Möglichkeit
automatisch Belichtungsreihen zu schießen). War eine Korrektur nicht
erforderlich, haben Sie nur Speicherplatz verschwendet. War sie es aber doch,
haben Sie zumindest ein gelungenes Bild im Kasten. Wollen Sie die Gruppe im
Vordergrund der Helligkeit des Hauptmotivs angleichen, dann müssen Sie mit
Blitz aufhellen. Ob das Bild dadurch aber gewinnt, ist zweifelhaft, denn gerade
der starke Kontrast schafft die Atmosphäre dieses Bildes.