Rubrik: Bildgestaltung
Das machen wir doch immer so ...
2003-04-21 ... und gerade da liegt vielleicht der Grund, weshalb Sie mit Ihren Fotos keinen Erfolg haben? "Alles bewegt sich" stellten schon unsere Vorfahren fest. Und mit dem ständigen Wechsel, dem alle und alles unterworfen ist, dürfen wir uns nicht wundern, wenn das, was vor zwanzig Jahren als "schön" und "klasse Foto" galt, heute ein alter Hut ist. (Jürgen Rautenberg)
Altes Foto - out [Foto: Jürgen Rauteberg]
Die Bilder, die wir Ihnen hier zeigen, müssen nicht Ihrem Geschmack
entsprechen Aber Sie sollen ja nicht andere kopieren, sondern Ihren eigenen
Stil finden und die Bilder so gestalten, wie Sie ihre Umwelt wahrnehmen.
Eine große Bandbreite an Gestaltungsmitteln steht bereit, um Ihre Aussagen
zu präzisieren. Viele finden Sie in unseren Tipps und Tricks, andere werden
wir Ihnen in weiteren Tipps vorstellen. Je mehr Sie darüber wissen, wie
welche Gestaltungsmittel die Aussagekraft von Bildern verstärken, umso
sicherer werden Sie diese anhand eines konkreten Motivs einsetzen können.Die Skulptur "Die Fremden" von Thomas Schütte auf dem
Dach der Lübecker Musik- und Kongresshalle ist für ein einfaches
"Abfotografieren" zu schade, zu schön und zu interessant. Die
Aufnahmeumstände – die Trave fließt direkt vor dem Gebäude entlang – sind
für den Fotografen ausgesprochen ungünstig Eine extrem lange Brennweite
steht nicht jedem zur Verfügung. Format füllend ist die Gruppe nur vom Dach
aus zu fotografieren. Eine Idee, die schon von vielen Fotografen genutzt
wurde. Also muss man sich andere Möglichkeiten einfallen lassen. Bei Bild 3
schafft das Rigg, die Takelage des Segelschiffs im Vordergrund, einen
Rahmen, der "Die Fremden" größer erscheinen lässt. Obwohl es in Wirklichkeit
nur einen Bruchteil der Bildfläche einnimmt, rückt der Rahmen das Motiv in
den Mittelpunkt des Interesses. Das zweite Bild zeigt das Motiv aus der
Gegenrichtung. Anstelle der Tele- wurde die Weitwinkeleinstellung gewählt.
Zwar ist die Bildgruppe nicht als Ganzes zu sehen, Ihr Charakter aber bleibt
erhalten. Der markante moderne Pfeiler schafft einen Kontrast zur
Stadt-Silhouette. Wer über ein Foto-Bildbearbeitungsprogramm verfügt, kann
zur Vervollkommnung des Bildes die "Stürzenden Linien" des Pfeilers durch
"Entzerren senkrecht stellen. Wir sind so an "schöne" Motive gewöhnt, dass wir uns
mit diesen beiden Fotos zunächst kaum anfreunden können. Kein Leben, keine
Farbe, kaum Licht – einfach trostlos. Aber Melancholie lässt sich nun einmal
nur sichtbar machen, indem man sie dokumentiert. Bei Bild 4 spricht die
kalte, trübe Witterung und die Leere des Motivs für sich. Beim fünften Bild
spiegelt sich das Motiv in einem Fenster. Dieses ist mit einer Holzplatte
vernagelt, deren Flächen durch Feuchtigkeit angelaufen sind. Die braungelbe
Zeichnung überlagert das Motiv und verfremdet es. Das Ergebnis vermittelt
eine stark emotionale Sehensweise, die dem ungeübten Betrachter
Einfühlungsvermögen abverlangt. Aber die Welt ist nun einmal nicht nur schön
– und wir Fotografen wollen sie doch zeigen, wie sie ist – oder?
Schauen Sie sich das erste Bild an. Alles stimmt an der Stadtansicht;
Belichtung, Schärfe, Bildausschnitt, Licht, Farben – deutlicher kann man
die Schönheit dieses Erdenwinkels kaum schildern. Aber das Foto ist
zwanzig Jahre alt – und damit reißen Sie heute eben niemanden mehr vom
Hocker. Unsere Zeit hat einen anderen Rhythmus, ein anderes Zeitgefühl,
eine andere Sicht auf Welt um Umwelt.
Lübeck - St. Marien mit Skulptur (die Wartenden) [Foto: Jürgen Rauteberg]
"Nur das Neue zählt!" Von diesem Unsinn darf man sich nun auch wieder
nicht infizieren lassen. Lassen Sie es uns anders sagen: Jeder, der kreativ
tätig ist, sollte seinen eigenen Weg finden. Dabei hilft Ihnen vielleicht
eine ganz wichtige Erkenntnis: "Wer nur in die Fußstapfen anderer tritt,
hinterlässt keine eigenen Spuren". Allerdings – nicht alles, was als Modern verkauft wird, hat automatisch Klasse. Eine Menge Banalität grassiert oft
gerade dort, wo Anspruch auf den Titel "Kunstfotograf" eingefordert wird.
Tatsache bleibt:
Auffassungen und Stile unterliegen wie alles im Leben dem Wandel.
Skulptur Wartende durch Takelage [Foto: Jürgen Rauteberg]
Wer "am Ball" bleiben will, muss sich diesem Faktum stellen, muss lernen,
den Zeitgeist wahrzunehmen und das Gestaltungsspektrum entwickeln, das
seiner Persönlichkeitsstruktur gerecht wird. Eigene Wege zu gehen, einen
eigenen Stil zu entwickeln erfordert Mut. Denn man weiß nicht im Voraus, ob
man mit seinen Bildern "ankommt". Aber die Chance auf Erfolg ist mit neuen
Sichten auf jeden Fall größer als mit altem Abklatsch.
Öder Hafen [Foto: Jürgen Rauteberg]
Bild 2 und 3
Melancholie - Steigerung durch Einspiegelung [Foto: Jürgen Rauteberg]
Rot - aufgelöst [Foto: Jürgen Rauteberg]
Bild 4 und 5
Bild 6 Das Foto entstammt einer Serie von Variationen zum Thema
"Rote Tulpen – verspielt". Das Ur-Motiv wurde hinter Glas – hier hinter
einer Vase – platziert und durch Umstellung der Motivelemente sowie
Variierung des Lichteinfalls einer Blitzleuchte auf immer wieder andere
Weise verformt, aufgelöst, gespiegelt. So wurde das ästhetische Miteinander
von Form und Farbe selbst zum Hauptmotiv; Motivelemente und Arbeitsweise
spielen für den Betrachter keine Rolle mehr – ein Spiel, das Sie sich zu
ihrem Vergnügen einmal gönnen sollten.