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Der Phasenvergleichs-Autofokus (Phasen-AF) und wie er funktioniert

2020-08-23 In diesem Fototipp erklären wir Ihnen, wie der Phasenvergleichs-Autofokus funktioniert, was er mit der manuellen Fotografie analoger Zeiten zu tun hat und welche raffinierte Technik zum Einsatz kommt. Außerdem zeigen wir, wieso der Phasenvergleichs-Autofokus durchaus daneben liegen kann, auch wenn der korrekte Fokusabstand ermittelt wurde.  (Harm-Diercks Gronewold)

Der Phasenautofokus heißt eigentlich Phasenvergleichs-Autofokus, doch das ist ein echt langes Wort und wir werden in diesem Fototipp das System als Phasen-AF abkürzen.

Der Ursprung des Phasen-AF ist in der manuellen Fotografie zu finden, in einer Zeit in der man nicht mal davon träumte den Fokus automatisch einstellen zu lassen. Während die Fokussierung bei Mittelformatkameras, dank der großen Mattscheibe, recht einfach war, hatten 35mm-Kleinbild-Spiegelreflex-Kameras das Problem, dass die Mattscheibe deutlich kleiner war und minimale Fehlfokussierungen auf der Mattscheibe schwer zu erkennen waren, bei der Ausbelichtung oder Projektion aber deutlich sichtbar wurden.

Dem Problem rückten findige Entwickler mit dem Schnittbild-Indikator zu Leibe. Der Schnittbildindikator besteht in seiner "Basis"-Ausführung aus einem Kreis auf der Mattscheibe und zwei Prismenkeilen, deren Anschliff gegenläufig ist. In der Seitenansicht bilden beide ein symmetrisches, plattgedrücktes X. Um die Entfernung einzustellen, muss der Fotograf sich eine “Kante” im Bild suchen, die auf der gewünschten Fokusebene liegt. Diese Kante wird dann in den Schnittbildindikator bewegt, so dass sie durch beide Prismen verläuft.

Durch den unterschiedlichen Anschliff der Prismen wird die Kante nicht deckungsgleich abgebildet, wenn die Entfernungseinstellung nicht korrekt ist. Nun war es am Fotografen, den Fokusring des Objektivs in die richtige Richtung zu bewegen. Das wurde solange gemacht, bis die beiden Kanten deckungsgleich im oberen und unteren Teil des Schnittbildindikators zu sehen waren. Erfahrene Fotografen konnten anhand des Versatzes im Schnittbildindikator erkennen, in welche Richtung der Fokusring gedreht werden musste.

Das Problem war, dass diese Schnittbildindikatoren nur in einer Ebene arbeiten konnten (meist horizontal), doch auch daran wurde gearbeitet und so gab es Schnittbildindikatoren, deren Prismentrennung um 45 Grad zu Mittellinie gedreht war. Auch gab es Schnittbildindikatoren, die insgesamt vier Prismen anzubieten hatten, womit horizontale und vertikale Kanten zur korrekten Fokussierung benutzt werden konnten.

Alternative: Mikroprismen-Rasterring  Ein Mikroprismen-Rasterring funktioniert vom Prinzip genauso wie der Schnittbildindikator. Er kommt zum Einsatz, wenn die Kontraste im Bild schwächer werden und der Schnittbildindikator nicht eingesetzt werden kann. Dank Fujifilm hat es eine digitale Version des Mikroprismenrasterrings in moderne Spiegellose Systemkameras wie die X-T4 geschafft. Bei diesem Ring wird aber der optische Effekt der winzigen Prismen nur simuliert.

Jetzt machen wir einen Zeitsprung ins Jahr 2020. Die ersten AF-Systeme der analogen Zeit liegen weit hinter uns. Nun ja, nicht ganz, denn der AF-Sensor von DSLRs basiert auf dem gleichen Funktionsprinzip wie ein Schnittbildindikator. Außerdem wird der AF-Sensor über eine Doppel-Spiegelmechanik mit einer Reflexion des Motivs versorgt. So war es auch schon in SLRs mit Autofokus zu analogen Zeiten. Der AF-Sensor sitzt nämlich im Kameraboden und zeigt nach oben in den Spiegelkasten. Aufgrund der Position hat das System auch einen entscheidenden Schwachpunkt, doch den erklären wir Ihnen etwas später.

Der AF-Sensor besteht, je nach Kamera, aus vielen verschiedenen einzelnen Sensoren, die zu Messgruppen zusammengefasst sind. Jeder einzelne Sensor wird durch eine Art Prisma (Strahlenteiler) mit Licht versorgt.

Trifft die das Licht einer Kante auf eine solche zusammengehörige Messgruppe, wird durch jeden Sensor der Gruppe ein elektrisches Signal (Phase) erzeugt. Durch die Prismen auf den Sensoren ist die Lage dieser Phase bei inkorrekter Fokussierung zueinander versetzt, wie beim Schnittbildindikator. Das AF-System kann nun aus diesem Vergleich der Phasenlage erkennen, in welche Richtung und wie weit die Fokussierung durchgeführt werden muss. Diese Information wird dann an die Steuerung des AF-Motors übergeben und dieser verschiebt dann die zur Scharfstellung benötigte Linsengruppe.

Es gibt zwei Arten von Sensoren. Einen Sensor, der nur eine Ebene messen kann, nennt man Linearsensor. Dann gibt es welche, die zwei Ebenen messen können, diese werden als Kreuzsensoren bezeichnet. Kreuzsensoren benötigen eine höhere Objektivlichtstärke, um optimal zu funktionieren.

Offenblendmessung und Blendensimulation  Sollten Sie einmal eine sehr hohe Blendenzahl einstellen, so hat das keinen Einfluss auf den Autofokus. Für den Autofokus ist tatsächlich nur die Lichtstärke zu berücksichtigen. Grund dafür ist eine Technik, die schon zur Zeit der analogen Fotografie eingeführt wurde, die Offenblendmessung. Bei dieser Messung bleibt die Blende des Objektivs weit geöffnet und das Objektiv überträgt die eingestellte Blende mechanisch oder elektronisch an den Belichtungsmesser der Kamera und dieser ermittelt die korrekte Belichtungszeit. Dieser Vorgang wird auch als Blendensimulation bezeichnet. Da sich die Blende also erst bei der Aufnahme schließt gibt es keine Auswirkung auf die Autofokusfunktion der Kamera. Für den Fall, dass Sie nun die Idee haben sollten ein wenig Fingeryoga zu betreiben und die Abblendtaste und den Autofokus gleichzeitig betätigen wollen, dann lassen Sie es besser sein. Zum einen kann der Autofokus unter Umständen nicht den korrekten Fokuspunkt finden und zum Anderen kann das in der Tat die effektive Fläche des AF-Sensors bei einer DSLR reduzieren.

Doch wieso kann man die Sensoren einzeln oder in Gruppen im Bildfeld bewegen? Dank der hohen Anzahl an Messfeldern moderner AF-Sensoren lassen sich nicht nur einzelne AF-Punkte auswählen, sondern ganze Gruppen lassen sich über verschiedene Methoden über Bildbereich navigieren. Dank der ausgeklügelten Aufteilung der Sensoren auf der Platine und in Kombination mit hochauflösenden Belichtungsmesssensoren können AF-Systeme beispielsweise Objekte verfolgen und Gesichter erkennen. Außerdem kann ein solches System sogar "vorhersagen", ob ein Objekt sich von der Kamera weg oder auf die Kamera zu bewegt.

Doch was ist der Nachteil dieser Art von AF-Systemen? Für den größten Fehler (der zum Glück eher selten Auftritt) müssen verschiedene Faktoren zusammenkommen. Da der Autofokus-Sensor in einer DSLR nicht auf der Bildebene zu finden ist können überschrittene Toleranzbereiche zu Problemen bei der Fokussierung führen. Diese werden entweder als Front-Fokus bezeichnet, wenn die Schärfenebene vor dem vom AF gemessenen Punkt zu sehen ist. Liegt die Schärfenebene hinter dem vom AF gemessenen Punkt, so spricht man von einem Backfokus.

Toleranzbereiche können in der Kamerafertigung überschritten werden, was sehr selten ist, da die Hersteller extrem genau arbeiten. Leider kann es zu Problemen kommen, wenn die Kamera mechanisch stark belastet wurde. Wie durch einen Sturz oder einen starken Stoß, der dann beispielsweise die Spiegelmechanik minimal verzieht. Auch im Objektiv kann diese Fehlerart zu finden sein. Wie Sie herausfinden ob Ihre Kamera ein solches Problem hat und was Sie dagegen tun können haben wir in einem weiteren Fototipp erörtert (siehe weiterführende Links). Wenn Sie im Besitz bestimmter Nikon DSLRs sind, dann kann die Kamera diese Art der Fokusprobleme automatisch kompensieren (siehe weiterführende Links).

Ein weiterer Nachteil ist, dass bei der Belichtung die Fokussierung unterbrochen wird, da das Spiegelsystem bei der Aufnahme nach oben klappt und so die Belichtung des AF-Sensors kurz unterbricht.

Hybrid-Autofokus  Der Hybrid-Autofokus ist nicht von Problemen wie einem Front- oder Backfokus betroffen. Grund dafür ist, dass die Autofokussensoren sich direkt auf dem Aufnahmesensor befinden. Mechanische Toleranzen im Objektiv sind damit nicht relevant, da die Projektion des Objektivs auf der Aufnahmeebene zur Messung benutzt wird. Auch mechanische Elemente entfallen, da es keine aufwändige Spiegelmechanik zwischen AF-Sensor und Objektivprojektion gibt.

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Harm-Diercks Gronewold

Harm-Diercks Gronewold, 52, ist gelernter Fotokaufmann und hat etliche Jahre im Fotofachhandel gearbeitet, bevor er 2005 in die digitalkamera.de-Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Produktdatenbanken, Bildbearbeitung, Fototipps sowie die Berichterstattung über Software und Zubehör. Er ist es auch, der meistens vor der Kamera in unseren Videos zu sehen ist und die Produkte vorführt.