Rubrik: Bildgestaltung
Die Blaue Stunde
2001-12-31 Die Blaue Stunde hat nichts mit Alkohol, wohl aber mit Stimmung zu tun. Sie ist Teil des Tages, lässt sich aber nicht auf die Minute festlegen. Sie ist für jeden sichtbar, aber nur wenige bemerken Sie. Wer sie aber bemerkt und dann auch noch fotografieren kann, der wird zum Genießer. (Jürgen Rautenberg)
Gletschersee Blau-Weiß [Foto: Jürgen Rauteberg]
Die Blaue Stunde beginnt, wenn die Sonne am Abend den Horizont erreicht und
endet, wenn Ihre Kraft nicht mehr ausreicht, auch von unterhalb des Horizontes
noch den Himmel anzustrahlen. Sind die Wolken zu dicht oder liegt Dunst über
der Landschaft, kann Sie sich nicht durchsetzen. Je nach Witterung kündigt sie
sich auch mit einem Orange oder einem kräftigen Rot an. Ihren speziellen
Charakter verleiht ihr jedoch das starke, leuchtende Blau, das den sichtbaren
Rest der Welt in eine abwechselnd ruhige, melancholische oder heitere, aber
immer das Gefühl ansprechende Stimmung taucht.
Der blaue Himmel allein genügt nicht für ein Foto. Man benötigt einen
Katalysator, der aus einem blauen Himmel und etwas Drumherum ein Motiv macht.
Also ein Stück Landschaft, Häuser, Pflanzen, Menschen, Leuchtkörper. Mit
Ausnahme letzterer werden diese Motivelemente zwar nur als Schattenrisse
auftreten, jedoch macht gerade der Kontrast zwischen bildbeherrschender,
leuchtendblauer Farbfläche und Scherenschnitt-haftem Formenspiel den
physikalischen Vorgang zum Bild.
Himmel - rot verlaufend vor Silhouette [Foto: Jürgen Rauteberg]
Das Farbspiel Ihrer Blauen Stunde könnte eventuell nur zwanzig Minuten
dauern. Viel Zeit bleibt also nicht, eine Umgebung zu finden, die als
Vordergrundmotiv für das Naturgeschehen dienen kann. Deshalb sollte man im
Voraus denken: An welcher Stelle, in welcher Richtung im Verhältnis zu einem
gewählten/gewünschten Kamerastandpunkt versinkt die Sonne hinter dem Horizont?
Welche Landschafts- oder anderen Elemente eignen sich als Vordergrund? Wo genau
muss ich mit der Kamera stehen, um beides wirksam miteinander zu verweben? Auf
diese Weise ist eine Vorbereitung durchaus möglich – aber das Erscheinen der
Blauen Stunde durchaus nicht garantiert.
Glücklich kann sein, wer zufällig am richtigen Standort steht, wenn sich
eine Blaue Stunde ankündigt und wer dann auch noch in der Lage ist, die
einzelnen Faktoren ohne Zeitverlust und gestalterisch gekonnt miteinander zu
verbinden. Doch auch wenn sie nicht kommt; Sonne und Himmel schenken uns
prächtige Färbungen anderer Couleur. Wichtig ist, das zu akzeptieren und keine
Gelegenheit zu versäumen, solche kosmischen Ereignisse auf den Chip zu bannen.
Recife - echte Blaue Stunde [Foto: Jürgen Rauteberg]
Die Technik dürfte keine Schwierigkeiten bereiten. Die Belichtung reagiert
auf die Helligkeit des blauen Himmels, aber auch auf Lichter im Motiv. Reihen
von Straßenlampen werden zu Lichterketten, Werbeleuchten zum heiteren
Farbspiel. Fotografieren Sie zunächst ohne Korrekturversuche. Später werden
Sie wissen, wann Sie korrigierend eingreifen müssen. Lesen Sie über Korrektur
im Tipp "Regen" nach. Die Schärfe braucht nicht bis zum Hintergrund
zu reichen. Wenn die Vordergrundelemente allerdings nur Scherenschnitte sind,
soll wenigstens ihre Konturenschärfe stimmen.
Beim ersten Bild steht die Sonne links außerhalb des Motivs knapp über dem
Horizont; eine ruhig-kühle Szene vor lichtdurchflutetem Hintergrund. Beim
zweiten ist die Sonne untergegangen und reflektiert ihren starken roten
Widerschein in die feinen Partikel des Dunstes, der dicht über der Erde lagert.
Das dritte ist die Grundlage für eine "echte" Blaue Stunde. Warum
echt? Betrachten Sie das vierte: Es entstand am Vormittag bei strahlender Sonne
– mit Hilfe eines Blaufilters.
Hafen Lübeck - Blaufilter [Foto: Jürgen Rauteberg]