Rubrik: Zubehör
Die Retrostellung – Makrofotografie ohne Makroobjektiv
2008-06-16 Als Besitzer einer Spiegelreflex-Kamera kann man hochwertige Makroaufnahmen erstellen, ohne in ein teures Makroobjektiv investieren zu müssen. Dies geht mit der so genannten Retrostellung (lat. retro: rückwärts). Dabei wird das Objektiv "falsch herum" an das Bajonett der Kamera gehalten bzw. adaptiert. So sind selbst mit einfachen Standard-Zoomobjektiven Vergrößerungen über den Maßstab von 1:1 hinaus möglich. Eigentlich als Makroobjektiv konstruierte Optiken hören bei dieser Vergrößerung in der Regel auf. (Stephan Klapszus)
Grundsätzlich ist die Retrostellung mit vielen Objektiven möglich. Dazu gehören Festbrennweiten (z. B. 50 mm), Standard-Zoomobjektive (z. B. 18-55 mm) und Superweitwinkel (z. B. 12-24 mm). Dabei gilt: Je weitwinkliger das Objektiv, desto stärker die Vergrößerung. Mit einem 18-55mm-Kitobjektiv, mit dem viele Kameras heutzutage ausgeliefert werden, sind so bei Brennweite 18 mm bereits Vergrößerungen bis zu einem Maßstab von 4:1 möglich. Die Distanz von der Frontlinse zum Objekt beträgt, je nach Brennweite, etwa 3 bis 10 cm. Auch die Bildqualität lässt dabei kaum zu wünschen übrig. Sie ist erstaunlich hoch und kann sich je nach Objektivwahl durchaus mit richtigen Makroobjektiven messen lassen. Bei stärkeren Vergrößerungen als 1:1 ist sie meistens sogar besser als bei der herkömmlichen Verwendung der Objektive.
Ein paar Haken hat die ganze Sache allerdings. Der Autofokus der Kamera funktioniert nicht mehr. Auch ein manuelles Scharfstellen über den Fokusring ist nicht mehr möglich, es ist vielmehr ausschließlich durch die Wahl der Entfernung zum Objekt realisierbar. Ebenso ist je nach Einstellung der Sucher sehr dunkel, da es keine automatische Blendeneinstellung (Springblende) mehr gibt. Je nach Kameramodell findet evtl. auch keine Belichtungsmessung statt, und so muss in der Kameraeinstellung "M" durch Ausprobieren die richtige Belichtung festgestellt werden.
Beim ersten Ausprobieren kann man das Objektiv einfach "falsch herum" vor die Kamera halten. Dabei sollte man allerdings darauf achten, dass die Frontlinse nicht durch das Bajonett zerkratzt wird. Deutlich bequemer wird die Sache mit Hilfe eines Retroadapters, den es im Handel für ca. 30 EUR zu kaufen gibt. Dieser wird auf der einen Seite in das Frontgewinde des Objektivs geschraubt und auf der anderen Seite an das Bajonett der Kamera. Die "Luxusversion" stellt der Retroadapter EOS-RETRO von Novoflex dar. Im Gegensatz zu günstigeren Versionen überträgt der Ring etliche Steuerfunktionen. Autofokus ist dann zwar immer noch nicht möglich, aber wenigstens eine Blendeneinstellung über die Kamera. Auch der Sucher ist hell, da die Springblende wieder funktioniert. Mit einem Preis von ca. 300 EUR liegt dieser Adapter dafür aber auch deutlich höher und ist ausschließlich für Canon-Kameras zu bekommen. Dieser Umkehrring ist z. B. für das Nikon-System nicht erhältlich, da hier Teilfunktionen mechanisch übertragen werden.
Wenn es um die Einstellung der Blende geht, unterscheiden sich die Retroadapter-Hersteller recht stark. Praktisch erweist sich ein Blendenring direkt am Objektiv; dieser ist heute jedoch seltener zu finden. Einige Festbrennweiten von Nikon und Pentax besitzen diesen jedoch noch. Ältere Objektive lassen sich durchaus auch verwenden, selbst wenn sie von einem anderen Hersteller sind. Bei neueren Objektiven ohne Blendenring wird es bei Nikon, Pentax und Sony/Konica Minolta knifflig. In der Standardeinstellung ist die Blende geschlossen und somit der Sucher fast komplett dunkel. Um die Blende zu öffnen, muss man den kleinen Stift am Bajonett mit dem Finger verschieben und die Blendenwahl schätzen. Bei Canon und Olympus ist dies etwas eleganter zu lösen. Hier wählt man bei korrektem Anschluss des Objektivs die Blende in der Kamera vor und nimmt das Objektiv bei gedrückter Abblendtaste ab. Bei fehlender Abblendtaste muss das Objektiv während der Belichtung abgenommen werden. Die fixierte Blende bleibt jetzt so lange erhalten, bis es wieder richtig herum an die Kamera gesetzt wird. Eine empfehlenswerte effektive Blende ist 8-11. Eine kleinere Blende vergrößert zwar die ohnehin sehr geringe Schärfentiefe, allerdings verdunkelt sie den Sucher. So wird es schwer, die Schärfe richtig einzuschätzen. Außerdem verliert das ganze Bild an Details und Kontrast auf Grund der Beugungsunschärfe.
Wenn einen dann die Makrowelt nicht mehr loslässt und man noch stärkere Vergrößerungen erreichen möchte, bietet sich ein Balgengerät an. Je nach Auszug kann durchaus der Maßstab 10:1 erreicht werden. Mit 20 mm und Zusatzbalgen (z. B. Nikon PB-6 + PB6E) erreicht man sogar bis zu 23:1. Da die Verwacklungsgefahr hier jedoch schon fast bis ins Unendliche angewachsen ist und der Lichtverlust gut 9 Blenden beträgt, werden die meisten Fotografen schon früher aufgegeben haben. Der Lichtverlust bzw. die effektive Blende errechnet sich wie folgt: "Effektive Blende = (1 + Abbildungsmaßstab) * nominelle Blendenzahl". Bei einem Abbildungsmaßstab von 4:1 und einer eingestellten Blende von 2,8 ergibt sich daraus: (1 + 4:1) x 2,8 = 14. Auf Grund der Beugungsunschärfe sollte man die effektive Blende bei so starken Vergrößerungen immer im Hinterkopf behalten. Diese richtet sich nach der tatsächlich errechneten Blende und nicht nach der nominellen. Bei zunehmender Vergrößerung empfiehlt es sich daher, die Blende am Objektiv weiter zu öffnen. Für gute Fotos sollte man daher vorher ausprobieren, ab wann das benutzte Objektiv starke Beugungsunschärfen aufweist. Manche Objektive zeigen dies bereits ab Blende 11, andere dagegen erst ab Blende 22.
Es empfiehlt sich auf jeden Fall, auch über die Beleuchtung nachzudenken, die in der Makrofotografie immer ein Problem ist. Sowohl zum Scharfstellen, als auch zum Fotografieren kann eine starke LED-Taschenlampe Wunder bewirken. Ein wirklicher Ersatz für einen externen Blitz ist sie allerdings nicht. Auch ein stabiles Stativ ist unverzichtbar.