Rubrik: Bildgestaltung
Die erzwungene Perspektive
2015-09-21 Kaum jemand kennt die erzwungene Perspektive beim Namen, doch nahezu jeder kennt Bilder oder Videos, die mit dieser Technik aufgenommen wurden. Die erzwungene Perspektive erlaubt es, kleine Dinge größer erscheinen zu lassen als sie sind oder größere Dinge kleiner. Auch wenn diese Technik heute eher für amüsante Bilder eingesetzt wird, so sind auch ernsthafte und professionelle Anwendungen, zum Beispiel in der Architektur, möglich. Worauf Sie bei der Aufnahme achten sollten, zeigen wir in diesem Fototipp. (Harm-Diercks Gronewold)
Fototipp erzwungene Perspektive – Beide Figuren haben den gleichen Aufnahmeabstand zur Sensorebene und besitzen die gleiche Größe. [Foto: MediaNord]
Durch die Abstandsänderung einer Figur entsteht der Bildeindruck, dass die Größe der Figuren nicht mehr identisch ist. [Foto: MediaNord]
Bei der Aufnahme mit negativem Kamerawinkel ist bei gleichem Abstand der Figuren das Bild in Ordnung. [Foto: MediaNord]
Bei verschobener Figur zeigt sich deutlich, dass der Effekt der erzwungenen Perspektive so nicht funktioniert. [Foto: MediaNord]
Doch bevor wir mit dem Shooting starten, möchten wir noch einiges zur Geschichte der „erzwungenen Perspektive“ erzählen. Besonders in den 50er und 60er Jahren war die erzwungene Perspektive ein häufig eingesetztes Mittel in Filmproduktionen, um Geld und Platz zu sparen. Aber auch heute wird diese Technik noch eingesetzt, wie zum Beispiel in dem Fantasy-Film „Herr der Ringe“ von Peter Jackson (siehe weiterführende Links). In der Architektur wird die erzwungene Perspektive schon seit sehr langer Zeit verwendet, um Bauwerke gewaltiger wirken zu lassen, wie zum Beispiel die Potemkinsche Treppe in Odessa (siehe weiterführende Links).
Die erzwungene Perspektive ist eigentlich eine optische Täuschung, die Dimensionen verzerrt und den Betrachter in die Irre führt. Abhängig ist die Täuschung dabei vom Objekt, der Kameraposition und dem Standpunkt des Betrachters. Damit die Täuschung plausibel und nicht zu leicht zu durchschauen ist, sollten einige Dinge beachtet werden. Zunächst sollten Sie sich Gedanken machen, was dargestellt werden soll. Am wichtigsten ist jedoch zu vestehen, wie das ganze funktioniert.
Das Prinzip ist simpel und wir erläutern dies an einem Beispiel zweier Figuren, die die gleiche Größe haben. Werden diese nebeneinander gestellt und ist die Sensorebene der Kamera parallel zu den beiden Figuren, dann haben die Figuren auf dem Bild die gleiche Größe. Wird der Abstand einer der Figuren zur Sensorebene vergrößert und ein Foto gemacht, so scheint es auf diesem Foto, als würde die Figur deutlich kleiner sein. Das ist auch schon das einfache Prinzip. Dennoch können sich Probleme offenbaren. Das häufigste Problem tritt auf, wenn die Kamera in einem negativen Winkel ausgerichtet ist, sprich die Kamera wird nach unten geneigt. Dadurch offenbart sich der räumliche Abstand der beiden Figuren zueinander und der Betrachter erkennt, dass die Figuren nicht nebeneinander stehen. Besser ist es eine neutrale oder positive Kameraausrichtung einzustellen. Bei dieser Einstellung ist es schwerer, die räumliche Tiefe zu erkennen, da die Objekte ihre dritte Dimension (Tiefe) nicht verraten.
Das klassische Beispiel, um ein großes Objekt kleiner erscheinen zu lassen, als es in Wirklichkeit ist. [Foto: MediaNord]
In diesem Beispiel steht das Modell hinter dem Objekt und durch die Darstellung scheint es, als würde das Modell im Wanderschuh sitzen. [Foto: MediaNord]
Das Modell scheint durch die Kameraausrichtung auf der Flasche zu balancieren. [Foto: MediaNord]
Ein weiteres Problem ist der Schärfenbereich. Soll der Betrachter getäuscht werden, so müssen beide Figuren scharf abgebildet werden. Aus diesem Grund sind Makroaufnahmen mit erzwungener Perspektive nur schwer zu realisieren. Grundsätzlich hilft es, eine Schärfenbereichstabelle oder einen -rechner zu Rate zu ziehen und sich mit dem Thema Hyperfokaldistanz auseinanderzusetzen (siehe weiterführende Links). Auch sollte der Fotograf auf den Schattenwurf achten, dieser kann unter Umständen den Effekt der erzwungenen Perspektive ebenfalls zunichte machen. Als Erkenntnis lässt sich behaupten, dass Weitwinkelobjektive ideal geeignet sind, um Aufnahmen mit erzwungener Perspektive zu erstellen. Da natürlich auch die Sensorgröße auf den Schärfenbereich Auswirkung hat, sind Kameras mit kleinen Sensoren hier klar im Vorteil. Somit ist die erzwungene Perspektive nicht nur etwas für DSLRs oder Systemkameras.
Der Fantasie, wo die erzwungene Perspektive eingesetzt werden kann, sind keine Grenzen gesetzt. Egal ob Sie nun die Sonne in der Hand halten, den schiefen Turm von Pisa stützen oder aber einen Freund auf der Hand balancieren möchten.