Rubrik: Bildgestaltung

Durchblicke

2002-04-08 Ein Motiv, im Vordergrund eines Bildes, wirkt oft nackt, vordergründig, nüchtern. Warum wohl steckt man Bilder in Rahmen? Weil er sie gegen die eventuell störende Umgebung, vielleicht eine Blümchentapete, abgrenzt. Das Bild erhält mehr Eigenleben, mehr Selbständigkeit, wenn es eine Grenze, einen Abschluss hat. Dieser Tipp soll Ihnen zeigen, dass es vorteilhaft sein kann, dem Bild den Rahmen gleich mitzugeben.  (Jürgen Rautenberg)

Ein solcher Rahmen muss durchaus nicht rechteckig sein und auch keine vier gleichen Seiten haben. Es genügt, wenn er einen Durchblick schafft, durch den hindurch der Betrachter das eigentliche Motiv klarer, konzentrierter, abgegrenzt von störenden Elementen erleben kann, ja, vielleicht durch den Charakter des Rahmens zusätzliche Informationen zum Motiv erhält.

So verdeutlicht das Gestänge des Portalkrans im Vordergrund des ersten Bildes, dass es sich hier um eine Hafenstadt handelt, während das Motiv selbst etwas über das Wesen der mittelalterlichen Stadt aussagt. Hinzu kommt, dass der Kran den hellen Himmel um ein Stück verkleinert, sodass er das Motiv nicht allzu sehr beherrscht, sondern ein Pendant zu den Sonnenuntergangsschatten der Kirchen bildet.

Ganz anders der Durchblick beim zweiten Bild. Wo hört der Vordergrund auf, wo beginnt das Motiv. Es scheint eher, als sei beides miteinander verwoben. Das ist für diese Situation wesentlich. Es kommt nicht auf eine Rahmenfunktion an, sondern wirklich auf einen Blick durch ein Stück orientalischen Lebens; den Basar in Marakesch.

Das Motiv des dritten Bildes, mit Teleobjektiv herangeholt und allein in einer weiten Wasserfläche, würde ohne die Leinen im Vordergrund flach wirken. Das die Leinen unscharf sind, spielt überhaupt keine Rolle, denn in diesem Fall ist ihre einzige Aufgabe die Abgrenzung. Die im Verhältnis zum Schiff überdimensionierten Stränge schaffen einen rein graphisch betonten Vordergrund, der dem Motiv Raum gibt – und es letztlich größer und näher erscheinen lässt als das tatsächlich der Fall ist.

Beim vierten Bild ist nicht der Hintergrund, sondern der Vordergrund das eigentliche Motiv. Gezeigt werden sollte die Qualität des handgeschmiedeten Gitters. Da dieses nun einmal nicht für sich allein da ist, wurde es so aufgenommen, dass die Fensterfunktion und Gebäude- sowie Umgebungsteile mit ins Bild kommen. Nicht zuletzt gelang das, weil die Sonne ein hervorragend gestaltendes Gegenlicht beisteuerte.

Das Licht spielt auch beim Bild von der venezianischen Begräbnisinsel San Michele eine Rolle. Diese flache, weit in der Lagune liegende Insel bietet eine wunderschöne Ansicht. Die Fassade ist leider so breit hingelagert, dass sie im Bildformat nicht recht zur Geltung kommt. Nicht einmal die strahlende Sonne ändert etwas daran, obwohl sie in diesem Fall fast tröstend auftritt. Es fehlt ein verbindendes Element. Große dunkle Flächen im Vordergrund hätten die zarte Fassade erschlagen. Da kamen die fast filigranen Linien gerade recht, um den für diese Sicht idealen Durchblick zu schaffen.

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