Rubrik: Bildgestaltung
Größenvergleich
2002-02-11 Es gibt Dinge, deren Größe ist auf dem Foto nicht erkennbar. Unter Umständen will oder muss der Betrachter das aber wissen. Was tun? Natürlich kann der Anbieter entsprechende Angaben schriftlich geben. Aber ein Bild soll, wo immer möglich, selbst Auskunft geben. (Jürgen Rautenberg)
Venezianisches Glas ohne Größenvergleich [Foto: Jürgen Rauteberg]
Was meinen Sie, wie groß die in einem venezianischen Edelladen ausgestellten
Gegenstände des ersten Bildes sind? Gerne würde man ein so exquisites Stück
über das Internet ordern, aber die Frage stellt sich: "Passt es auf den
vorgesehenen Platz in der Wohnung?" In diesem Fall hätte der Fotograf
einen Gegenstand von allgemein bekannter Größe in die Komposition lancieren
können, der außerdem die Harmonie des Ensembles unterstützt. In einem anderen
Fall hätte er vielleicht das Motiv in ein Umfeld platzieren können, das
Rückschlüsse auf die Größe erlaubt. Eine Lösung findet sich für wohl jede
Situation, wenn der Fotograf mit Biss an seine Aufgabe herangeht.
Beim zweiten Foto kommt es nicht unbedingt auf die Stimmigkeit an. Es wurde
angefertigt, um auf Seminaren die kürzeste Einstell-Entfernung von Objektiven
zu demonstrieren (dieses vernachlässigten Themas werden wir uns in einem
anderen Tipp annehmen). Zur Auflockerung wurde ein eher scherzhaftes Motiv
gewählt; ein sogenanntes "Tabletop". Der Frosch sitzt auf einem
Mess-Stab, der erkennen lässt, dass der Frosch drei und das ganze Bild ca. 15cm
breit ist – schon ein ganz interessanter Nahbereich, den man mit diesem Objektiv
erreicht.
Tabletop mit Größenvergleich [Foto: Jürgen Rauteberg]
Das dritte Bild zeigt den "Svartifoss", einen Wasserfall auf
Island, berühmt aufgrund der einer Orgel gleichenden Basaltformation. Von der
realen Größe des Naturphänomens zeugen die winzigen, zu Punkten reduzierten
Menschlein im Bild. Hier brauchte der Fotograf keine Regie; er fand die
Situation so vor, dass sein Foto dem Betrachter einen natürlichen Eindruck
vermittelt.
Svartifoss mit Größenvergleich [Foto: Jürgen Rauteberg]
Anders die Situation beim vierten Bild, der Abbruchkante – in diesem Fall
mehr Abtaukante – eines Gletschers. Ein Größenvergleichs-Element war zunächst
nicht vorhanden. Der Fotograf bat einen Touristen (bei solchen Monumenten stehen
immer irgendwelche herum), sich auf die kleine Landzunge zu stellen. Das tat der
und guckte stolz in die Kamera, wie viele Leute sich gute Fotos halt vorstellen.
Die Situation sah ein bisschen gestelzt aus. Um sie natürlicher erscheinen zu
lassen bat der Fotograf, einen bestimmten Eisfleck links außerhalb des
Bildfeldes anzuvisieren. Der Bildausschnitt wurde dann so gewählt, dass der
Eindruck entsteht, als fotografiere das Modell den vom Fotografen gewählten
Ausschnitt. Sollten sie von den schwarzen Flecken im Eis irritiert sein: Im
Laufe der Jahrhunderte fällt bei Vulkanausbrüchen immer wieder deren
Ascheregen auf die Gletscher – und macht sie zu tiefgefrorenen schwarz-weißen
Schichttorten.
Die vier Beispiele zeigen: Es genügt nicht, irgendein als Größenvergleich
geeignetes Element zusätzlich ins Bild zu bringen. Der Fotograf sollte sich
vielmehr Gedanken machen, wie er das Vergleichselement in das Motiv integriert,
um die Bildaussage möglichst lebendig und schlüssig erscheinen zu lassen. Er
darf eben nicht einfach "draufhalten", sondern muss vor dem Druck auf
den Auslöser solange am Motiv feilen, bis größtmögliche Vollkommenheit das
Ergebnis prägt.
Gletscher mit Größenvergleich [Foto: Jürgen Rauteberg]