Rubriken: Aufnahmeeinstellungen, Motive und Situationen
Langzeitaufnahmen mit Graufiltern
2019-09-09 Graufilter, auch Neutraldichte-Filter genannt, sind das Werkzeug, das eingesetzt wird, wenn bei einer Aufnahme Licht reduziert werden soll und das Schließen der Blende beziehungsweise Verkürzen der Verschlusszeit keine Option mehr darstellt. In diesem Fototipp zeigen wir mit Hilfe von Neutralgraufiltern interessanter gestaltete Landschaftsaufnahmen und erklären, wie man die korrekte Belichtungszeit mathematisch bestimmt und wie der EV-Stufen-Verlust und der Verlängerungsfaktor bei einer Kombination aus Neutraldichtefiltern errechnet werden. (Harm-Diercks Gronewold)
Dieser Neutraldichtefilter besitzt eine Dichte von 1,8. Damit wird die Belichtungszeit um das 64-fache verlängert beziehungsweise eine Lichtreduktion um sechs Blendenstufen erreicht.. [Foto: B+W]
Landschaftsaufnahmen mit Graufilter haben einen ganz besonderen Reiz. Dieser kommt durch die sehr unscharfe Darstellung von sich bewegenden Objekten zustande. Oft wird der Effekt von langer Belichtungszeit auch dazu verwendet, einen verträumten und surrealen Effekt in die eigenen Bilder zu zaubern. Meistens wird dieser Effekt bei Motiven benutzt, bei denen Wasser das dynamische Element darstellt. Für diese Aufnahmen werden vornehmlich Graufilter eingesetzt, weil sie die Farben im Bild nicht verändern und auch keinen Einfluss auf den Schärfebereich haben, da auch die Blende im Objektiv nicht zwangsläufig geschlossen werden muss. Allerdings macht oftmals der Belichtungsmesser Probleme, da er durch starke Neutraldichte-Filter (ND-Filter) keine korrekte Messung mehr durchführen kann. Wir zeigen, wie man die korrekte Belichtung ermittelt, auch wenn mehrere Graufilter kombiniert werden.
Bei ND-Filtern mit nur geringer Dichte und ausreichendem Umgebungslicht kann die TTL-Belichtungsmessung der Kamera dagegen problemlos eingesetzt werden. Bei schlechtem Umgebungslicht sieht das Ganze aber möglicherweise schon anders aus. Unser Fototipp zur Anatomie der Graufilter erklärt das recht einfach (siehe weiterführende Links). Anhand der Filterdichte kann man ermitteln, wie hoch der Lichtverlust in Blendenstufen (EV-Stufen) und wie stark der Verlängerungsfaktor ist. Ein ND1,8-Filter reduziert beispielsweise die Lichtmenge um sechs EV-Stufen beziehungsweise verlängert die Belichtungszeit um das 64-fache. Doch dazu später mehr.
Für eine Langzeitbelichtung mit einem Graufilter benötigen Sie einen oder mehrere Graufilter, eine Kamera mit langen Verschlusszeiten oder einer Bulb-Funktion, ein stabiles Stativ sowie die Möglichkeit, die Auslösung mit einer Fernbedienung oder einem Fernauslöser zu machen. Die Arbeitsschritte stellen sich dann wie folgt dar:
Ohne Graufilter wirkt das Wasser eingefroren und die Dynamik der Aufnahme ist nur zu erahnen. [Foto: Harm-Diercks Gronewold]
Mit Graufilter konnte die Belichtungszeit so verlängert werden, dass die Geschwindigkeit des Wassers fast spürbar ist. [Foto: Harm-Diercks Gronewold]
Die Kamera sollte am Besten im manuellen Modus betrieben werden. Die ISO Automatik gehört ebenso ausgeschaltet wie eine etwaige elektronische Dynamikoptimierung.
- Der ND-Filter wird zunächst nicht montiert.
- Der Bildausschnitt des Motivs wird nach eigenem Geschmack festgelegt.
- Bei der Fokussierung sollten Sie auch den durch die Blende erzeugten Schärfebereich miteinbeziehen. Wenn der Autofokus eingesetzt wird, dann sollte dieser abgeschaltet werden, nachdem die Fokussierung erfolgt ist.
- Achten Sie bei der Belichtungsmessung auf die korrekte Belichtung des Motivs und notieren oder merken Sie sich den hier ermittelten Wert.
- Montage des ND-Filters. Besonders bei der Montage von Rundfiltern sollten Sie darauf achten, die Fokussierung nicht zu verändern. Aus diesem Grund ist es auch sinnvoll, den Schärfebereich der Blende zu nutzen (siehe Schritt 3).
- Die Anpassung der Belichtungszeit steht als nächstes auf dem Plan. Hier können Sie sich nun entscheiden, ob Sie die EV-Stufen abzählen wollen oder ob Sie einfach die Zeit mathematisch errechnen. Eine EV-Stufe entspricht der Halbierung beziehungsweise Verdopplung der Belichtungszeit. Wenn Sie beispielsweise einen ND1,8-Filter einsetzen und die Basisbelichtungszeit aus Schritt 4 eine 1/400 Sekunde ist, dann muss die Belichtungszeit mit dem ND1,8-Filter auf 1/6 Sekunde eingestellt werden. Möchten Sie das über den Verlängerungsfaktor errechnen, dann multiplizieren Sie 1/400 s mit 64 und das Ergebnis ist 0,16 Sekunden (rund 1/6 Sekunde).
- Ist die Belichtungszeit in der Kamera eingestellt, kann die Aufnahme stattfinden.
Wenn Sie ein Rechteckfiltersystem mit unterschiedlichen Filterdichten benutzen möchten, ermitteln Sie den Verlängerungsfaktor beziehungsweise den EV-Verlust folgendermaßen: Vom Prinzip ist das ganz einfach, denn die Filterdichte kann addiert werden. Wenn zum Beispiel ein ND1,8- mit einem ND0,9-Filter kombiniert werden sollen, dann haben beide Filter zusammen die Wirkung eines ND2,7-Filters. Alternativ lässt sich auch der Verlust der EV-Stufen mit Hilfe einer einfachen Addition ermitteln. ND1,8 = 6 EV und ND0,9 = 3 EV, in Kombination ergeben 6 EV und 3 EV = 9 EV.
Ohne Graufilter sind Wolken und Wasser in ihrer Dynamik "eingefrohren". [Foto: Harm-Diercks Gronewold]
In diesem Beispiel ist der Effekt einer Langzeitbelichtung mit einem Graufilter deutlich zu sehen. Das Wasser hat eine weiche, strukturlose Oberfläche bekommen und die Wolken verwischen. [Foto: Harm-Diercks Gronewold]
Beim Verlängerungsfaktor sieht das aber anders aus. Hier werden die einzelnen Faktoren nicht miteinander addiert, sondern müssen multipliziert werden. Die Rechnung sieht dann so aus: ND1,8 = 64-fach und ND0,9 = 8-fach. Der Verlängerungsfaktor ist am Ende dann 512-fach (64-fach x 8-fach). Bei der Belichtunsgzeit aus unserem Beispiel mit 1/ 400 Sekunde wird daraus dann eine Belichtungszeit von rund 1,3 Sekunden.
In unserem nächsten Fototipp zeigen wir, wie man sich die lästige Belichtungszeit-Rechnerei vor Ort ersparen kann, indem man die Möglichkeiten der modernen Technologie eines Smartgeräts ausnutzt.