Rubriken: Bildbearbeitung, Motive und Situationen
Mehr Schärfentiefe mit dem „Zufalls-Schärfe-Stapel“ und Photoshop
2015-10-05 Sehr oft geht in der Fotografie die Diskussion um möglichst geringe Schärfentiefe, weshalb Kameras mit sogenanntem „Vollformat“-Sensor, also einem Sensor in der Größe der analogen Kleinbildkameras, wegen deren systembedingt geringen Schärfentiefe den Vorzug bekommen. In der Fotopraxis wird man aber mindestens ebenso oft mit dem gegenteiligen Problem konfrontiert: Insbesondere in der Nah- und Makrofotografie reicht die Schärfentiefe bei weitem nicht aus, um das Objekt vollständig scharf abzubilden. (Stefan Meißner)
In diesem Foto einer Libelle ist nur der Kopf scharf. [Foto: Stefan Meißner]
In diesem Foto einer Libelle sind nur die Beinchen scharf. [Foto: Stefan Meißner]
In der Bildbearbeitung wurden die beiden Ausgangsbilder kombiniert, so dass im Ergebnis sowohl die Beinchen als auch der Kopf scharf sind. [Foto: Stefan Meißner]
Ein kleiner Sensor ist bei diesen Aufnahmen dem Kleinbild-Sensor überlegen, weil die dort geringeren Abbildungsmaßstäbe eine größere Schärfentiefe zur Folge haben. Weiter steigern kann man den Schärfebereich natürlich durch kräftiges Abblenden. Das ist aber häufig unerwünscht, denn gerade im Nahbereich sind die Lichtverhältnisse nicht optimal und wegen der Eigenbewegung des Fotografen sind eher kurze Belichtungszeiten gefragt. Auch der ärgste Feind des Makrofotografen, der Wind, lässt zu kurzen Belichtungszeiten raten. Zusätzlich begrenzt bei kleinen Blendenöffnungen die Beugung die Schärfeleistung insgesamt.
Was kann man also tun, damit der Schärfebereich zumindest für die wichtigsten Teile des Motivs ausreicht? Seit einiger Zeit wird dazu das sogenannte „Fokus stacking“ eingesetzt, eine Methode, bei der ein Stapel von Fotos mit minimal verschobenem Schärfebereich aufgenommen wird. Diese Fotos werden mit Hilfe einer Spezialsoftware derart zusammen montiert, dass jeweils nur die scharfe Ebene des Einzelbildes in der Montage verwendet wird. Im Ergebnis entsteht ein Bild, das einen deutlich größeren Schärfebereich aufweist, als mit einem einzelnen Foto erreichbar wäre. Dass bei dieser Art der Aufnahme weder das Motiv noch die Kamera bewegt werden dürfen, versteht sich von selbst. Die Bedingungen für einen gelungenen Schärfestapel sind also ein statisches Motiv und ein solides Stativ. Erleichtert wird die Verschiebung der Schärfeebene außerdem mit einem präzisen Einstellschlitten. Frei Hand sind solche Fotos unmöglich. Allerdings kann diese Technik mit etwas Übung und Erfahrung und mit folgendem kleinen Trick dennoch frei Hand gelingen:
Wird die Kamera bei einer Nahaufnahme gleich mehrfach ausgelöst – die Serienfunktion kann hierbei helfen – so entsteht allein durch die natürlichen Schwankungen bei der Aufnahme um wenige Millimeter quasi nebenbei ein Schärfestapel. Mit etwas Glück erhält man ein paar Aufnahmen, deren Schärfeebene an der gewünschten Stelle sitzt.
Am Computer können die geeigneten Aufnahmen kombiniert werden. Photoshop versteht sich nahezu automatisch auf diese Technik. Die geeigneten Bilder werden in Ebenen grob übereinander ausgerichtet (das geht sogar vollautomatisch mit „Datei, Skripten, Dateien in Stapel laden...“). Sind alle Ebenen ausgewählt, muss nur noch unter dem Menü „Bearbeiten“ „Ebenen automatisch ausrichten“ und danach „Ebenen automatisch überblenden“ gewählt werden, fertig. Falls das Ergebnis nicht überzeugt, sollte mit den Parametern der automatischen Ausrichtung experimentiert werden. Selbstverständlich ist es auch möglich, selbst Hand anzulegen, um hier und da Bildstellen zu entfernen oder herauszuarbeiten. Natürlich muss bei dieser „Zufallsmethode“ auch die Möglichkeit des Scheiterns einkalkuliert werden, einen Versuch ist es aber immer Wert.
Es gibt übrigens ein paar Kameras, die selbständig einen Schärfestapel anlegen und daraus ein fertiges Bild berechnen. Olympus bietet diese Möglichkeit mit der Tough TG-4 an. Auch Casio hatte eine Kamera mit entsprechender Funktion am Markt, allerdings wurde der Europavertrieb eingestellt. Die Olympus OM-D E-M10 Mark II bietet eine Fokusreihenaufnahmefunktion mit bis zu 999 Bildern, gestackt werden muss am Bildbearbeitungsrechner. Ab November kommen dank kostenlosem Firmware-Update auch die Besitzer der OM-D E-M5 Mark II und der OM-D E-M1 in den Genuss der Fokusreihenaufnahmefunktion, die E-M1 wird zusätzlich aus bis zu acht Bildern automatisch kameraintern ein Foto mit vergrößertem Schärfebereich berechnen können.