Rubrik: Sonstige Tipps
Mit Bildern kleine Geschichten erzählen
2006-01-02 Im Filmgeschäft nennt man die Sache "Drehbuch" oder auch "storyboard": Bildfolgen, die eine Geschichte erzählen, mit oder ohne Worte. Es ist eine hohe Kunst, die man aber erlernen kann. Denn Bilder beginnen und enden im Kopf. Gerade mit der Digitalkamera und etwas Phantasie lassen sich kleine Geschichten erzählen, die mehr sagen, als ein einzelnes, noch so perfektes Bild es oft vermag. Dieser Fototipp regt dazu an, mit einfachen Mitteln einmal einen ersten Versuch zu wagen. (Markus Lappat)
Gelegentlich
schießen wir mit unserer Kamera ein Bild, das uns begeistert. Da stimmt
einfach alles, die Schärfe, die Farben, der Weißabgleich sitzt sowieso.
Vielleicht per Software noch ein bisschen beim Kontrast nachbessern, und
selbst ein großer Meister könnte das Motiv kaum besser inszenieren. Nur
diesen Ignoranten im Forum scheint meine kleine "Kieselsteinskulptur im
Sonnenaufgang" trotzdem einfach nicht zu gefallen.
So oder so ähnlich trägt es sich häufig zu, egal ob in den Welten des
Internets oder auch bei der Präsentation der Urlaubsfotos im Kreise der
Familie. Das Problem liegt in unterschiedlichen fotografischen Interessen
und der damit verbundenen Wahrnehmung. Den Schlüssel hierzu bildet unser
Unterbewusstsein – sobald wir etwas wahrnehmen, werden Erlebnisse und
Bilder aus unserem Unterbewusstsein abgerufen. Falls wir mit unseren
wahrgenommenen Eindrücken – beispielsweise digitalen Bildern – keine
entsprechenden unterbewussten Bilder verknüpfen können, schwindet unser
Interesse meist rapide. Davon betroffen sind auch sehr gute und
fotografisch anspruchsvolle Bilder. Bei denen bleiben wir vielleicht ein
paar Sekunden länger hängen. In wenigen Minuten werden aber auch sie
vergessen sein. Ein perfektes Bild ist und bleibt damit nur ein perfektes
Bild.
Wenn
schon auf keine vorhandenen Eindrücke zurückgegriffen werden kann, dann
müssen wir wenigstens Emotionen bei den Betrachtern unserer Bilder wecken.
Und genau hierfür eignen sich kleine Geschichten. Am Anfang einer jeden
Geschichte – ganz gleich, ob sie nur aus wenigen Bildern oder aber in
einem abendfüllenden Hollywoodfilm erzählt wird – steht die Idee. Lassen
Sie Ihrer Kreativität freien Lauf, verwenden Sie Haushaltsgegenstände,
engagieren Sie Familienmitglieder und Haustiere oder suchen Sie nach etwas
Geeignetem in freier Natur. Dabei kann es sich um eine traurige, lustige
oder spannende Bildererzählung handeln. Die Möglichkeiten und Anregungen
durch Filme, Bücher oder persönliche Erlebnisse sind beinahe unbegrenzt.
Nach der Idee benötigen wir ein fotografisches Drehbuch. Mit wie vielen
Bildern wollen wir unsere Geschichte umsetzen und wie wollen wir die
einzelnen Bilder gestalten? Lassen Sie uns das Ganze einmal anhand eines
einfachen Beispieles durchspielen.
Bild1:
Wir sehen ein Bad und eine Frau, die Lippenstift aufträgt. Im Vordergrund
sitzt eine Barbiepuppe. Um eine Hintergrundunschärfe zu erhalten, wurde im
Makromodus fotografiert. Die Kamera wurde freihändig bei einer
Belichtungszeit von 1/4 s gehalten, der Hintergrund ist dadurch zusätzlich
noch etwas verwackelt. Um den Lichteindruck zu verstärken, wurde mit einer
Bildbearbeitungssoftware (hier dem kostenlos erhältlichen IrfanView), der
Rotkanal angehoben.
Bild2:
Es ist einige Zeit vergangen, der Arm der Barbiepuppe greift nach dem
abgestellten Lippenstift. Da dieses Foto am nächsten Tag bei
Tageslichtbedingungen entstand, mussten der Rot- und Grünkanal verstärkt
werden. Denselben Effekt hätte ein falscher Weißabgleich bewirken können.
Bild3:
Auf einen Spiegel hat die Puppe mit dem Lippenstift "Happy New Year"
geschrieben. Auch dieses Foto entstand erst am nächsten Tag und erforderte
ebenfalls einen gesteigerten Rotkanal sowie eine leichte Schärfung, die
allerdings das bei ISO 400 bereits vorhandene Rauschen noch fördert.
Die Puppe wünscht dem Betrachter der Geschichte ein "Gutes neues Jahr".
Alternativ hätte man jetzt natürlich ein Bild der Puppe mit rotem
lippenstiftverschmiertem Mund zeigen können oder sogar eine männliche Puppe
mit entsprechenden Knutschflecken.
Jedes dieser Bilder würde bei einzelner Begutachtung durch unser Raster
des perfekten Bildes fallen, teilweise unscharf, hohes Rauschen und ein viel
zu dominanter roter Farbkanal. Durch die Einbindung in eine Geschichte steht
die Idee im Vordergrund, und die Qualität der Bilder fällt weniger ins
Gewicht, ja man könnte die bei den einzelnen Bildern noch aufgeführten
Mängel als künstlerische Freiheiten im Gesamtzusammenhang anerkennen. Lassen
Sie sich deshalb nicht entmutigen, die fotografische Idee/Perspektive sollte
im Vordergrund stehen. Ob die Umsetzung dann mit einer DSLR oder
Kompaktkamera erfolgt, spielt dabei keine Rolle.
Da sich diese Geschichte nur auf drei Bilder beschränkt, dürfen wir nicht
zuviel Inhalt erwarten. Mit mehreren Bildern lassen sich natürlich auch
komplexere Ideen verwirklichen. Trotzdem sollte eine Geschichte nicht zu
viele Bilder enthalten. Eine Obergrenze wären vielleicht sieben bis zehn,
der Betrachter soll ja nicht das Interesse verlieren.
Außerdem sollte die Geschichte im Idealfall selbsterklärend sein bzw.
entsprechenden Raum für Interpretationen lassen. Eine jeweilige
Bildunterschrift ist zwar in Einzelfällen denkbar, passen Sie aber auf, dass
Sie nicht zu sehr in die Comic-Ecke abdriften und am Ende mit Sprechblasen
arbeiten müssen. Stellen Sie auch nicht jedes Detail bzw. jeden
Zwischenschritt mit einem Bild dar, beschränken Sie sich auf das Hauptthema,
verlieren Sie den roten Faden nicht aus den Augen und seien dabei nicht zu
detailverliebt.
Sobald eine Geschichte steht, kann man diese noch nach Belieben ausbauen:
Was passiert danach, welche Ereignisse haben dazu geführt? Aus einer
vorhandenen Basis könnten Sie so z. B. zwei verschiedene Geschichten mit
einem alternativen Anfang oder Ende kreieren.
Und nun, frei nach einer bekannten Fernsehreihe im Kinderprogramm:
Schalten Sie das Internet ab und überlegen sich eine Geschichte, die Sie
fotografisch umsetzen möchten. Wie bei allen Dingen im Leben ist der
wichtigste Schritt, erst einmal damit zu beginnen.