Rubrik: Motive und Situationen
Mit der Mitziehtechnik Bewegung ins Foto bringen
2016-11-28 Die Mitziehtechnik ist nicht nur ein fotografisches Stilmittel. Mit ihr können Sie auch unter denkbar ungünstigsten fotografischen Bedingungen – selbst im hohen Gras oder durch die Gitterstäbe eines Zoogeheges – ein sehr gutes und sogar dynamischeres Bildergebnis herauszholen als mit kurzen Verschlusszeiten. Dieser Fototipp zeigt Ihnen, wie Sie diese fortgeschrittene Technik erlernen und welche Anfangsprobleme Sie erwarten werden. (Uwe Skrzypczak)
Dieser Fototipp stammt, leicht modifiziert, aus dem Buch "Abenteuer Safari-Fotografie" von Uwe Skrzypczak. Auf seiner Website www.serengeti-wildlife.com kann man übrigens handsignierte Exemplare des Buchs bestellen.
Die Mitziehtechnik ist ein fotografisches Stilmittel, mit dem man die Bewegungsdynamik eines Motivs über ein Standbild visualisieren kann. Sie vermittelt dem Betrachter des Bildes auf den ersten Blick, dass während der Aufnahme das eigentliche Motiv mehr oder weniger schnell in Bewegung war – ob Mensch, Tier oder beispielsweise ein Rennwagen. Durch den synchronen Kameraschwenk mit langer Verschlusszeit verwischt der Hintergrund in die Gegenrichtung und vermittelt dem Betrachter diesen Bewegungseffekt. Dabei sollte das fotografierte Objekt aber noch klar und scharf zu erkennen sein. Bei einem langsam und parallel zur Kamera fahrenden Auto, an dem sich nur die Räder drehen, ist dies mit etwas Übung noch relativ einfach zu erlernen. Cracks unter den Sportfotografen schaffen es sogar, bei einem mit 300 Sachen mitgezogenen Formel-1-Boliden nicht nur die Werbebeschriftung, sondern auch den Fahrer klar erkennbar abzubilden. Scharfe Mitzieher von Lebewesen sind da schon schwieriger zu realisieren. Insbesondere Tiere bewegen ihre Körper viel komplexer und in der Richtung unvorhersehbarer als statische Objekte. Trotzdem habe ich hier einen ähnlich hohen Anspruch an Mitziehaufnahmen: Die Tierart sollte klar zu identifizieren sein und auch die Augen sollten relativ scharf abgebildet sein.
Mit 1/200 Sekunde, nicht mitgezogen (Nikon D750 und AF-S Nikkor 400 mm 1 : 2,8E FL ED VR, 1/200 Sekunde, F2.8, ISO 640). [Foto: Uwe Skrzypczak]
... und Kopfdetail im hohen Gras, nicht mitgezogen. [Foto: Uwe Skrzypczak]
.... Bildvergleich Leopard im hohen Gras mit 1/20 Sekunde, mitgezogen (Nikon D750 und AF-S Nikkor 400 mm 1 : 2,8E FL ED VR, 1/20 Sekunde, F2.8, ISO 200). [Foto: Uwe Skrzypczak]
... Kopfdetail im hohen Gras, mitgezogen. [Foto: Uwe Skrzypczak]
Die Mitziehtechnik ist keine "Anfängertechnik", man kann sie aber zu Hause mit seinem Hund oder mit vorbeifahrenden Autos üben. Wichtig ist, das Motiv früh genug anzuvisieren und mitzuziehen. Wie ich mir das für die Wildlife-Fotografie beigebracht habe, ist hier skizziert. Ich visiere ein Tier bereits am äußersten Rand des Schwenkbereichs der Kamera an und ziehe bereits trocken, also noch ohne Auslösung mit und nehme erst dann eine Serienbild-Folge auf, wenn das Tier einigermaßen parallel zur Kamera läuft. Mit etwas Übung kann man auf diesem Weg sehr schnell zu einem ordentlichen Bildergebnis kommen. Je langsamer die vorgewählte Verschlusszeit, desto schwieriger sind Mitziehaufnahmen. Starten Sie mit einer 1/60 Sekunde und testen Sie sich langsam weiter herunter. Meist erreicht man zwischen der 1/15 und 1/40 die besten Ergebnisse. Bei langsameren Tieren oder zur Erzielung besonderer Effekte kann es auch mal 1/4 Sekunde Verschlusszeit oder noch länger sein. Alles was kürzer als 1/60 ist, macht selbst bei schnell bewegten Objekten wenig Sinn, weil der Hintergrund dann noch nicht völlig zerfließt. Idealerweise fotografieren Sie Mitzieher vom Stativ, auch vom Einbeinstativ. Beim einem Beanbag ("Bohnensackstativ") sollten Sie den sonst nach oben gedrehten Stativanschlussbügel des Objektivs zurück nach unten drehen, um einen größeren Schwenkbereich des Objektivs mit weniger Drehwiderstand zu erhalten.
Mit der Mitziehtechnik kann man allen Tieren und anderen Objekten, die sich zumindest etwas bewegen, deutlich mehr Dampf unter die Pranken, Hufe oder Räder machen. Zum Beispiel wirkt der langsam trabende Gepard als Mitziehaufnahme schon deutlich aufgeweckter. Einer Löwin, die alles um sich herum ignorierend im harschen Mittagslicht durch die Savanne zieht, kann man mit einer 1/15 Sekunde mitgezogen fotografisch auch ziemlich auf Trab bringen. Die dunklen Schlagschatten an den Bäuchen der am späten Vormittag im harschen Licht fotografierten Nashörner fallen viel weniger auf und die grauen Kolosse wirken insgesamt viel dynamischer. Auch die rennenden Gnus im grauen, bewölkten Tageslicht wirken nach solch einer Behandlung nicht übel.
Im linken Bild ist der Aufnahmewinkel noch zu schräg, in der Mitte ist die ideale Aufnahmeposition, praktisch parallel zur Kamera und rechts ist der Aufnahmewinkel wieder zu schräg. [Foto: Uwe Skrzypczak]
Rennendes Gnu im Abendlicht, die Hintergrunddetails sind fast komplett miteinander verflossen (Foto: Nikon D810 und AF-S Nikkor 200-400 mm 1:4 ED VRII, 1/40 Sekunde, F4,0, ISO 64). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Ein laufender Gepard wirkt mit 1/30 Sekunde mitgezogen fast so, als wenn er rennt (Nikon D3 und AF-S Nikkor 70-200 mm 1:2,8 ED VR + TC 14E II, 1/30 Sekunde, F6,3, ISO 200). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Mit 1/15 Sekunde mitgezogen, wirkt die Löwin, als wenn sie rennt, Masai Mara (Nikon D3 und AF-S Nikkor 200-400 mm 1:4 ED VRII, 1/15 Sekunde, F32, ISO 110). [Foto: ©Uwe Skrzypczak]
Auch die Rhinos wirken mitgezogen viel dynamischer (Nikon D3 und AF-S Nikkor 70-200 mm 1:2,8 ED VR + TC 14E II, 1/25 Sekunde, F14, ISO 200). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Rennende Gnuherde, mitgezogen (Nikon D3 und AF-S Nikkor 70-200 mm 1:2,8 ED VR + TC 14E II, 1/30 Sekunde, F18, ISO 200). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Ein Foto von zwei in Kamera-Zugrichtung aufeinanderprallenden, tobenden jungen Geparden in der Abenddämmerung (Nikon D750 und AF-S Nikkor 400 mm 1:2,8E FL ED VR, 1/40 Sekunde, F4,5, ISO 140 ). [Foto: Uwe Skrzypczak]
In der Dämmerung, wenn das Licht nicht mehr ausreichen will, um unter ISO 6.400 Verschlusszeiten von 1/2.000 Sekunde zu realisieren, kann man ruhig auch mal mit einer 1/40 Sekunde mitziehen. Bei den Gepardenjungen hat dies, solange sie parallel zur Kamera gerannt sind, auch noch gut geklappt. Wenn, wie hier, aber einer von rechts angerannt kommt und der andere von links, funktioniert das Mitziehen nicht mehr wirklich. Bei dem Foto habe ich mich erst gefragt, ob das Kunst ist oder weg kann, und wollte es eigentlich in die digitale Tonne hauen, aber manche Leute mögen solche Bilder.
Um zwei Tiere oder mehr brauchbar scharf als Mitzieher abzubilden, benötigt man meist einige Anläufe. Stark abgeblendet wie bei den unteren Gazellenbildern ist es zumindest noch relativ einfach, die Tiere so einigermaßen in eine Schärfenebene zu bekommen, wenn man den Autofokus auf das Tier ausrichtet, das der Kamera am nächsten ist.
Arbeitet man hingegen mit weit geöffneter Blende, beispielsweise, wenn man zusätzlich Graufilter einsetzt, oder mit einer Überbelichtung, um einen besonderen Effekt zu erzielen, wird es schon deutlich schwieriger, genau den richtigen Auslösezeitpunkt zu erwischen. Beim rennenden Gnu mit Kalb habe ich manuell mit sehr starker Überbelichtung (ca. +4 LV) gearbeitet, damit die Reflexionen auf den Tautropfen in den Büschen im Hintergrund völlig ausbrennen, um diesen fast wie mit Buntstift gemalten Fond zu erzielen.
Ein Gazellenbock versucht mit einem Weibchen zu kopulieren ( Nikon D800 und AF-S Nikkor 200-400 mm 1:4 ED VRII, 1/40 Sekunde, F18, ISO 100). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Ein Gazellenbock versucht mit einem Weibchen zu kopulieren ( Nikon D800 und AF-S Nikkor 200-400 mm 1:4 ED VRII, 1/40 Sekunde, F18, ISO 100). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Eine Gnukuh mit neugeborenem Kalb auf der Flucht (Nikon D810 und AF-S Nikkor 200-400 mm 1:4 ED VRII, 1/40 Sekunde, F4,5, ISO 64). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Zebra an der Uferböschung des Talek Rivers (Nikon D810 und AF-S Nikkor 400 mm 1:2,8E FL ED VR, 1/30 Sekunde, F16, ISO 64). [Foto: Uwe Skrzypczak]
Aktionen von Tieren im Wasser sind auch immer sehr gut geeignet, um durch die Mitziehtechnik besondere Effekte zu erzielen. Am besten eignet sich dazu starkes Seitenlicht oder sogar Gegenlicht, um die Wasserspritzer markant abzubilden. Noch besser kann man sie durch eine starke Unscharfmaskierung vom Hintergrund trennen. Dabei müssen aber relativ scharfe Bildbestandteile, wie beispielsweise das Gesicht und die Augen eines Tiers, ausmaskiert werden, damit sich dort keine Schärfeartefakte bilden.
Diese Mitziehtechnik bietet noch weit mehr fotografische Ausdrucksweisen als hier im Artikel gezeigt, allerdings ist dieses fotografische Stilmittel nicht ganz einfach zu erlernen. Eine ruhige Hand und viel Geduld sind dafür die wichtigsten Voraussetzungen. Hohe Kameraauflösungen und sehr teure Objektive sind nicht zwingend erforderlich, weil in solchen Fotos immer einige Restunschärfen verbleiben.
Dieser Fototipp stammt aus dem Buch "Abenteuer Safari-Fotografie" von Uwe Skrzypczak. Auf seiner Website www.serengeti-wildlife.com kann man übrigens handsignierte Exemplare des Buchs bestellen. [Foto: demipress]
Fünf Exemplare des Buchs "Abenteuer Safari-Fotografie" von Uwe Skrzypczak verlosen wir in unserem nächsten Gewinnspiel-Newsletter Anfang Dezember 2016. Um unsere Newsletter zu abonnieren, müssen Sie kein registrierter digitalkamera.de-Benutzer sein. Die digitalkamera.de-Newsletter können Sie ganz einfach hier abonnieren (oder als registrierter Benutzer die Newsletter-Einstellungen ändern).