Rubrik: Aufnahmeeinstellungen
Neue Perspektiven mit dem Schwenkmonitor
2007-10-08 Bei Kompaktkameras gibt es ihn schon lange, und jetzt setzt sich die clevere Idee auch bei Spiegelreflexgeräten durch: Ein Schwenkmonitor erlaubt völlig neue Perspektiven – Untersicht, Vogelperspektive, Aufnahmen um die Ecke und in schwierigem Gelände. digitalkamera.de bringt Ideen für die Bildgestaltung mit Schwenkmonitor. (Heico Neumeyer)
Mit dem Hamster auf Augenhöhe, den Fliegenpilz von unten fotografiert: Wer solche Motive sucht, muss sich tief bücken. Naturfotografen breiten sich im Wald gar eine Iso-Matte aus. Die Mühe lohnt sich immerhin, denn ungewöhnliche Sichtweisen wie eben die Froschperspektive garantieren Hingucker-Bilder. Komfortabler gestaltet sich das Fotografieren solcher Motive freilich bei Kameras mit Schwenkmonitor: Man hält die Kamera beliebig vom Körper weg und dreht den Monitor so, dass sich das Bild halbwegs erkennen lässt.
Einen Klappmonitor boten zunächst nur digitale Kompaktkameras, denn den meisten Spiegelreflex- Gehäusen fehlt der erforderliche LiveView, bei dem das Motiv noch vor der Aufnahme auf dem Monitor erscheint. Die Firmen haben sich unterschiedliche Lösungen für Schwenkmonitore ausgedacht. So kann man den Monitor etwa beim Superzoommodell Fujifilm S9600 nur vertikal schwenken. Bei sämtlichen Canon-Kompakten wie etwa der PowerShot S5 IS, PowerShot A640 oder PowerShot A650 lässt sich der Monitor zusätzlich seitlich drehen, was noch deutlich mehr Perspektiven ergibt.
Die erste Spiegelreflexkamera mit LiveView und Schwenkmonitor war die Olympus E-330; auch hier bewegt sich der Monitor nur senkrecht. Freies Schwenken erlaubt dagegen Pasanonics neue DSLR Lumix L10 (siehe weiterführende Links). Olympus will am 17. Oktober 2007 eine neue, professionelle Spiegelreflexkamera mit LiveView und einem vielseitigen, frei schwenkbaren Monitor vorstellen; für dieses Gerät kursieren derzeit die Namen E-3 und E-P1.
Schon weil sie so selten sind, erregen Bilder aus der Froschperspektive Aufsehen. Mit einem Schwenkmonitor fallen solche Motive viel leichter: Man dreht den Monitor nach oben, die Kamera wird nach unten gehalten, das Gesicht muss nicht am Gerät kleben.
Die Untersicht schafft Dramatik und weitet Räume, packende Motive gibt es zuhauf: Pilze oder Laub im Gras, Meereswellen aus der Perspektive einer Strandkrabbe oder Hamster Fips auf Wohnzimmer-Tour. Häufig lässt sich die Kamera komplett auf dem Boden aufsetzen; das ermöglicht lange Belichtungszeiten bei hohen Blendenwerten, und damit mehr Schärfentiefe. Auch Kinderfotos fallen mit dem Schwenkmonitor leichter, die Kamerahaltung insgesamt wirkt komfortabler.
In der anderen Richtung macht der Schwenkmonitor jedoch genauso viel Sinn: Man dreht ihn nach unten, hält die Kamera über den Kopf – und bekommt interessante Vogelperspektiven. Das hilft im Menschengedränge und bei Großveranstaltungen. Auch bei Innenaufnahmen schafft die erhöhte Perspektive oft den besseren Überblick. Auch in schwierigem Gelände bewährt sich der Schwenkmonitor: Oft kann man zwar die Kamera, nicht aber das Gesicht nah ans Motiv bringen. Das gilt etwa, wenn ein fotogenes Insekt im stacheligen Gebüsch sitzt – man dreht den Schwenkmonitor passend und schiebt nur die Kamera, nicht aber sich selbst näher ans Motiv. Oder es sind Schwellen und Gräben zu überbrücken: Den senkrechten Blick auf die Lotusblüte bekommt man nur, wenn man die Kamera am ausgestreckten Arm über den Teich halten kann, dank Schwenkmonitor lässt sich das Monitorbild weiter verfolgen. Zäune, Mauern und Gräben kann man leichter mit der Kamera überwinden, wenn sich das Gerät am ausgestreckten Arm befindet, das Bild bleibt dank flexibel drehbarem LCD im Blick.
Bei vielen Modellen kann man den Schwenkmonitor zudem nach vorn drehen, er zeigt also in die gleiche Richtung wie das Objektiv. Das ist ideal für die beliebten Selbstportraits, wo die Kamera auf Armeslänge entfernt gehalten wird. Das Verfahren lohnt sich aber auch in engen Räumen: Dreht man den Monitor nach vorn, kann man die Kamera komplett an die Wand drücken, aber immer noch die Monitorsicht verfolgen und bekommt so mehr aufs Bild. In solchen Situationen gelingen Bildausschnitt und Bildlage nicht immer perfekt. Aber das stört kaum: Man nimmt schlicht etwas zu viel auf und kann das Foto am PC bequem zuschneiden oder drehen – je nach Programm und Dateiformat sogar verlustfrei.
Nicht nur bei Selbstportraits macht sich der schwenkbare LiveView nützlich, auch Fotos von anderen Leuten werden erleichtert: Wenn man die Kamera nicht mehr vors Gesicht hält, kann man besser mit den Modellen kommunizieren und so eine entspanntere Atmosphäre schaffen. Ein Fotograf, der sich nicht hinter einem schwarzen Kasten versteckt, wirkt weniger bedrohlich, das gilt zum Beispiel auch bei Menschenfotos in fernen Ländern. Und natürlich erlaubt das drehbare Sichtgerät auch sehr unauffällige Fotografien, speziell mit leisen Kompaktkameras: Man stellt die Kamera auf den Schoß oder auf einen Tisch und klappt den Monitor im rechten Winkel weg. Der Blick des Fotografen geht zum Monitor. Das Objektiv aber zeigt in eine ganz andere Richtung – und Leute, die vom Objektiv erfasst werden, ahnen oft nicht, dass sie fotografiert werden.
Beim Transport lässt sich ein Klappmonitor schonend mit der Rückseite nach außen drehen, so dass die Oberfläche nicht verkratzt. Und selbst beim Betrachten der Bilder im Wiedergabemodus punkten Schwenkmonitore: Man kann die Kamera auf einen Tisch stellen und den Monitor beliebig so drehen, wie die Fotos am besten wirken. Selbst eine Diaschau auf dem LCD lässt sich so entspannt genießen. Vorteile über Vorteile, aber noch hat sich der Schwenkmonitor nicht allgemein durchgesetzt: So haben Canon und Nikon in diesem Herbst (2007) neue Spiegelreflexkameras mit LiveView vorgestellt – doch ein Modell mit dem sinnvollen Schwenkmonitor war nicht dabei. Eine Notlösung bietet der drehbare, rund 350 EUR teure Aufsteck-Monitor ZigView S2 (siehe weiterführende Links). Er sitzt auf dem Kamerasucher und liefert quasi eine Fernsehübertragung des Sucherbildes. Dieses Display kann man sogar in der Hand halten, während die Kamera sich woanders befindet, und das bis zu gut 30 Metern Distanz. Und genau das wünschen sich viele Bildgestalter von den Kameraherstellern selbst: einen entfesselten Live-View-Monitor, der sich in der Hand halten, an den Gürtel stecken oder als Brille aufsetzen lässt.