Rubriken: Aufnahmeeinstellungen, Bildbearbeitung
Neutrale Farbwiedergabe und Weißabgleich – Teil 1
2011-08-15 Damit eine Kamera Farben korrekt wiedergeben kann, muss sie auf die Farbtemperatur, also die Farbe des vorherrschenden Lichts, geeicht werden. Dieser Weißabgleich geschieht in den Standardeinstellungen vollautomatisch, heutige Kameras zeigen dabei in der Regel eine bemerkenswert gute Präzision. Wenn es allerdings auf eine perfekte Farbwiedergabe ankommt, etwa in der Produkt- oder Portrait-Fotografie, sollte man sich nicht ausschließlich auf den automatischen Weißabgleich verlassen. Dieser Fototipp klärt, wie die Farbtemperatur halbautomatisch oder manuell an der Kamera eingestellt werden kann. In einem zweiten Teil geht es dann darum, wie sich nachträglich mit einem Bildbearbeitungsprogramm der Weißabgleich optimieren lässt. (Martin Vieten)
Für das menschliche Auge hat Licht immer dieselbe Farbe, nämlich weiß. Doch wer einmal eine LED-Leuchte neben eine Kerze stellt, wird schnell bemerken: Auch Licht kann die unterschiedlichsten Farbtöne annehmen: Von Tiefrot, etwa bei glühenden Kohlen, bis Grellblau im Lichtbogen eines Schweißgeräts. Solange nur eine Farbtemperatur vorherrscht, nehmen wir das Licht automatisch als weiß wahr. Daher ist es für die Farbwahrnehmung zunächst nicht so bedeutend, ob eine Glühlampe (Farbtemperatur: ca. 2.700 Kelvin) oder die helle Mittagssonne (ca. 5.600 Kelvin) die Szenerie beleuchtet. Das Sehzentrum im Gehirn kümmert sich um die chromatische Adaption, es neutralisiert den Einfluss der Lichtfarbe auf die Objektfarben.
Ganz ähnlich muss auch eine Digitalkamera auf die Lichtfarbe geeicht werden, um Farben möglichst unverfälscht wiedergeben zu können. Diese Aufgabe übernimmt standardmäßig der automatische Weißabgleich. Dabei analysiert die Kamera eine helle Motivpartie und richtet die Wiedergabe der übrigen Farben daran aus. Das funktioniert in der Regel gut, solange nur eine Lichtquelle mit einer Farbtemperatur vorherrscht. Leuchtstoffröhren gehören übrigens nicht dazu, sie emittieren Licht mit einem diskontinuierlichen Farbspektrum, hier kommt jede Weißabgleichautomatik aus dem Tritt. Zudem tendieren viele Kameras dazu, bei Glühlampenlicht eine recht hohe Farbtemperatur zu wählen, die Aufnahmen erhalten dadurch einen zu kräftigen Gelb- oder Orange-Stich. Auch die Wahl eines bestimmten Motivprogramms beeinflusst bei vielen Kameras den Weißabgleich. Das Programm "Sonnenuntergang" regelt tendenziell die Farbtemperatur herauf, sorgt also für warme Farben. Mit dem Programm "Schnee und Strand" gibt es dagegen eher kühle Farben. Ist eine möglichst neutrale Farbwiedergabe gewünscht, sollte die Kamera also besser zumindest in der Programmautomatik "P" betrieben werden.
Sobald Lichtquellen mit unterschiedlichen Farbtemperaturen das Motiv beleuchten, wird es schwierig für den automatischen Weißabgleich. Dabei kann durchaus schon eine farbige Hauswand, die zum Beispiel diffuses Rotlicht aufs Motiv reflektiert, als Lichtquelle angesehen werden. Das Motiv erhält jetzt eine rötliche Tonung und stellt den automatischen Weißabgleich vor ein Problem: Gehören die Rottöne zur Objektfarbe und müssen erhalten bleiben? Oder sind sie Folge der Lichtfarbe und gehören eliminiert? Die Automatik wird schwerlich stets die richtige Antwort finden, die Farbwiedergabe gerät so zum Vabanque-Spiel.
Wer also eine konsistente und möglichst neutrale Farbwiedergabe wünscht, sollte den Weißabgleich manuell einstellen beziehungsweise eichen. Sogar einfache Kompaktkameras erlauben es zumindest, eine feste Weißabgleicheinstellung vorzugeben, etwa "Kunstlicht", "Bewölkt" oder "Schatten". Selbst wenn sich damit keine neutrale Farbwiedergabe erzielen lässt, so zumindest eine konsistente: Alle Aufnahmen zeigen dieselbe Farbwiedergabe, etwaige Fehler innerhalb einer Fotoserie lassen sich also später am Rechner gleich stapelweise korrigieren (mehr dazu im zweiten Teil dieses Fototipps). Ist schon bei der Aufnahme eine möglichst neutrale Farbdarstellung gewünscht, hilft der manuelle Weißabgleich. Dabei wird die Kamera auf eine neutral-graue Fläche gerichtet und ausgelöst. Eine entsprechende Weißabgleich-Karte sollte also in keiner Fototasche fehlen, zur Not tut es aber auch eine graue Pappe, etwa die Rückseite eines Schreibblocks. Ein weißes Blatt Papier ist weniger geeignet, Papier enthält meist optische Aufheller, die den Blauanteil des Lichts stärker reflektieren. Eine Aufnahme mit Weißabgleich-Karte im Motiv ist zudem ein probates Mittel, um den Weißabgleich später am Rechner zu optimieren.
Ein manueller Weißabgleich bietet indes nicht in jedem Fall die Gewähr einer neutralen Farbwiedergabe. Probleme gibt es insbesondere bei Mischlicht mit unterschiedlicher Farbtemperatur. Eine Schneelandschaft im Sonnenlicht verdeutlicht das Problem: Schnee im direkten Licht zeigt ein deutlich wärmeres Weiß als Schnee im Schatten. Letzterer ist oft blau gefärbt, weil er das wesentlich kältere Himmelslicht reflektiert. Gut ausgestattete Kameras bieten für solche Problemfälle die Möglichkeit, dem Weißabgleich eine Farbtemperatur vorzugeben. Man misst also zunächst per manuellen Weißabgleich jeweils die Farbtemperatur in den Lichter- und Schattenpartien und stellt dann zum Beispiel den Mittelwert ein. Problemtisch wird es allerdings, wenn die Farbtemperaturwerte der Lichtquellen sehr stark voneinander abweichen, etwa beim Einsatz eines Blitzlichtgeräts im Glühlampenlicht. Blitzlicht weist mit ca. 5600° K die Farbtemperatur von hellem Tageslicht auf und ist damit etwa 2000° K kälter als das Licht von Glühlampen. Hier würde auch der Mittelwert aus beiden Farbtemperaturwerten kein zufriedenstellendes Ergebnis zeigen. Jetzt hilft nur, die Farbe des Blitzlichts an die des Umgebungslichts anzupassen. Dazu gibt es entsprechende Filterfolien für das Blitzgerät, etwa von der Firma Lee.