Rubriken: Aufnahmeeinstellungen, Bildbearbeitung
Neutrale Farbwiedergabe und Weißabgleich – Teil 2
2011-09-12 Damit eine Kamera Farben naturgetreu wiedergeben kann, muss sie auf die Farbtemperatur des vorherrschenden Lichts geeicht werden. Viele Fotografen verlassen sich dabei auf den Automatischen Weißabgleich (AWB) ihrer Kamera. Dass sich damit nicht immer eine optimale Farbwiedergabe erzielen lässt und wie die Kamera manuell auf die Lichtfarbe eingestellt werden kann, haben wir im ersten Teil dieses Fototipps besprochen. Was aber, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, die Aufnahmen also einen Farbstich aufweisen? Dann bietet praktisch jedes Bildbearbeitungsprogramm eine Reihe von Korrekturmöglichkeiten, um einen Farbstich nachträglich zu neutralisieren und so für eine naturgetreue Farbwiedergabe zu sorgen. (Martin Vieten)
Von Haus aus können heute die allermeisten Digitalkameras Farben sehr naturgetreu wiedergeben. Falls es doch einmal zu einem störenden Farbstich in den Aufnahmen kommt, ist dafür also meist ein falscher Weißabgleich verantwortlich. Nachträglich lässt sich ein Farbstich mit praktisch jedem Bildbearbeitungsprogramm beseitigen. Besonders flexibel und umfangreich sind die Möglichkeiten, die Photoshop bietet. Aber auch mit einfachen Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop Elements oder Paint Shop Pro ist schnell für eine naturgetreue Farbwiedergabe gesorgt.
Ausgesprochen bequem und zuverlässig lässt sich der Weißabgleich in Adobe Camera Raw, dem Raw-Konverter von Photoshop und Photoshop Elements einstellen: Ein Klick mit der Weißabgleich-Pipette auf eine neutralgraue Zone im Bild genügt, und die Farben sind perfekt. Was aber, wenn sich keine neutralgraue Partie in der Aufnahme finden lässt? Meist ist das kein Problem, auch in Natura nahezu weiße Flächen bieten eine gute Basis für den Weißabgleich in Camera Raw. Einzige Vorraussetzung: Die angeklickte Zone muss noch etwas Zeichnung aufweisen, reinweiß darf sie nicht sein. Wer auf Nummer Sicher gehen will, platziert eine Graukarte im Bild (oder der ersten Aufnahme einer Serie), mit ihrer Hilfe ist es nur ein Klick zum perfekten Weißabgleich. Sowohl Photoshop wie Photoshop Elements erlauben es übrigens, auch TIFF- und JPEG-Dateien in Camera Raw zu öffnen. Die Befehlsfolge dazu lautet "Datei, Öffnen als", im Dialog wird dann unter "Öffnen als" der Dateityp "Camera Raw" vorgegeben. Vorsicht ist indes bei der Vorgabe "Automatisch" für den Weißabgleich in Camera Raw geboten. Sie neigt bei vielen Motiven und Kameras zu einer eher kühlen Farbabstimmung, eventuell sollte also das Ergebnis mit den Reglern "Farbtemperatur" und "Farbton" noch nachjustiert werden. Wer Photoshop besitzt, kann in Camera Raw den Weißabgleich für ganze Bildserien optimieren. Dazu werden die entsprechenden Bilder in Bridge oder Mini-Bridge bei gedrückter [Strg]-Taste angeklickt, die Tastenkombination [Strg]+[R] öffnet die ganze Serie dann in Camera Raw. Jetzt noch ein Klick auf "Alle auswählen", und sämtliche Einstellungen am aktuellen Foto werden sofort für alle weiteren Bilder in der Liste übernommen.
Neben den diversen RAW-Konvertern bieten praktisch alle Bildbearbeitungsprogramme die Möglichkeit, einen Farbstich zu korrigieren. In Photoshop und Photoshop Elements zum Beispiel per "Tonwertkorrektur", sie wird am besten als Einstellungsebene über das Bild gelegt. Jetzt bringt ein Klick auf "Auto" oftmals die Farben schon wie gewünscht ins Lot. Wenn nicht, lässt sich die Automatik konfigurieren: Wird bei gedrückter [Alt]-Taste auf "Auto" geklickt, öffnet sich der Dialog "Auto-Farbkorrekturoptionen". Hier sollte "Neutrale Mitteltöne ausrichten" aktiviert werden. Je nach Motiv ergibt sich mit "Kontrast kanalweise verbessern" oder "Dunkle und helle Farben suchen" das ansprechendere Ergebnis. Befindet sich eine in Natura neutralgraue oder weiße Zone im Bild, geht’s noch einfacher: Ein Klick mit der Mittelton- bzw. Graupunkt-Pipette auf eine geeignete Bildpartie genügt, und schon ist der Farbstich neutralisiert. Photoshop-Anwender können übrigens auch die "Gradationskurven" zur Korrektur verwenden, sie bieten dieselben Automatik-Funktionen wie die "Tonwertkorrektur".
Bisweilen zerstört ein technisch perfekter Weißabgleich die Lichtstimmung. Aufnahmen eines Sonnenuntergangs etwa, aber auch Party-Fotos profitieren von einer eher warmen Farbwiedergabe, technische Dinge wirken dagegen bei kühlem Licht ansprechender. Um grundsätzlich die Farbanmutung eines Fotos zu erhalten, ohne dass jedoch ein Farbstich sichtbar wird, reicht meist ein kleiner Trick: Weiß wird neutralisiert, alle anderen Farb- und Helligkeitsabstufungen behalten dagegen die gewünschte Farbtönung bei. Dafür sorgt in Photoshop eine Einstellungsebene vom Typ "Selektive Farbkorrektur": Hier wählt man unter "Farben" die Vorgabe "Weiß" und setzt dann die Werte für "Cyan", "Magenta" und "Gelb" jeweils auf "-90%" herab. Sollte durch diese Korrektur Zeichnung in den Lichtern verloren gehen, lässt sich diese mit "Tiefen/Lichter" leicht wieder rekonstruieren.
Bei aller Finesse heutiger Weißabgleich-Werkzeuge bleibt ein Problem: Die Farbtemperatur kann in Schattenpartien deutlich von der in den Lichterzonen abweichen. Das geschieht vor allem, wenn eine farbige Fläche Licht auf die Szenerie reflektiert und dieses indirekte Licht die Schatten aufhellt. Bei Studio-Aufnahmen ist daher eine neutralgraue oder wenigstens weiße Umgebung Pflicht. Bei einer schneebedeckten Landschaft lässt sich indes nicht vermeiden, dass das sehr kühle Himmelslicht die Schattenpartien mit einem kräftigen Blaustich versieht, wenn der Weißabgleich korrekt auf die Schneeflächen im Sonnenlicht eingestellt wird. Ideal wäre es also, wenn sich die Farbtemperatur getrennt für Tiefen und Lichter einstellen ließe. Zumindest in Camera Raw von Photoshop ist etwas Vergleichbares mit wenig Aufwand möglich: Im Register "Teiltonung" lassen sich die Tiefen und Lichter separat mit einer Tonung versehen, bei einem Winterbild bekommen also die Tiefen eine wärmere Farbe. Nachdem der gewünschte Farbton eingestellt wurde, kann seine Stärke mit dem "Sättigung"-Regler eingestellt werden. Mit "Abgleich" legt man schließlich noch fest, wie sehr die Tonung nur dunkle Bereiche erfassen soll oder auch auf die Mitteltöne wirkt.