Rubrik: Bildgestaltung
Sag's durch die Blume II
2003-05-05 Blumen – ein Motivbereich, in dem Liebhaber sich ihr Leben lang ausleben können. Doch auf die Gefahr hin, der Penetranz angeklagt zu werden: Eine Blüte einfach abzulichten genügt nicht. Blumen haben ihre Charaktere, Farben, Formen. Man findet sie in unterschiedlicher Umgebung; bei Sonne, Regen, Schnee, am Meeresufer und im Fels – und alle diese Umstände wollen berücksichtigt werden. (Jürgen Rautenberg)
Staude auf Island [Foto: Jürgen Rauteberg]
Darum zeigen wir in diesem Tipp nicht ausgesprochen "schöne" Bilder,
sondern gehen auf ein paar der oben angeführten Umstände ein. Eines haben
die vier Bilder gemeinsam: Sie entstanden alle unter denkbar einfachen
technischen Voraussetzungen, so dass jeder Fotograf, Anfänger oder Profi –
nun ja, der braucht es nicht mehr – ähnliche Situationen ohne
Schwierigkeiten nachvollziehen kann.
Vergangene Schönheit [Foto: Jürgen Rauteberg]
Keines der Bilder erfordert zusätzliche Ausleuchtung. Kein Blitzgerät,
keine aufwändigen Hintergründe sind gefragt. Alle Überlegungen, die
angestellt wurden, sind hier nachzulesen. Vielleicht reizt Sie das zu
eigenen Versuchen?
Zur Wiederholung: Räumliche Wirkung erhält man, indem ein
Vordergrund-Element, zusätzlich unterstützt durch Weitwinkeleinstellung, groß
an den vorderen Bildrand gerückt wird. Das erste Bild ist eigentlich mehr
Landschaft als Blumenfoto. Allerdings nimmt die Staude im Vordergrund rund
ein Drittel des ganzen Bildes ein. Das hat seinen Grund. Die Verhaltenheit
dieser kargen isländischen Landschaft benötigt einen Katalysator, der ihr
Wesen in einer auf zwei Dimensionen reduzierten Abbildung, die weder Duft
noch Wind noch persönliche Befindlichkeit im Moment der Aufnahme wiedergeben
kann, überhaupt erst sichtbar macht. Diese Aufgabe übernimmt das
Vordergrund-Element Staude: Indem der Betrachter gezwungen wird, die
Landschaft durch die Staude hindurch wahrzunehmen, nimmt er ihren Charakter;
ihre Ursprünglichkeit, Weite und Einfachheit in sich auf.
Weihnachtsstern [Foto: Jürgen Rauteberg]
Schauen Sie verblühte Blumen an, bevor sie in den Kompost wandern.
Entdecken Sie den Charme der Vergänglichkeit, den das Sterben Form, Farbe
und Struktur einer Blüte zuweilen schenkt. Nicht mehr stolze, leuchtende
Farbenpracht spielt eine Rolle, nicht mehr der Duft betört. Mit dem Verfall
entstehen neue und manchmal äußerst interessante Formen, Farben und
Bewegungen; nature morte hat ihre eigene Schönheit. Wie wirklich schöne
Menschen auch im Alter ihre Würde und Schönheit nicht verlieren. Maler
wissen das schon lange. Versuchen Sie nicht, den Welkvorgang durch
zusätzliche Wärmebehandlung zu beschleunigen. Lassen Sie einfach ein paar
Tage verstreichen und beobachten Sie, bis Ihnen der richtige Moment für die
Fotos gekommen scheint.
Die Motive drei und vier wurden unter gleichen Bedingungen fotografiert.
Durch das Fenster einfallendes Tageslicht erscheint auf den Bildern, je nach
Standpunkt, als Streif- oder Gegenlicht. Beim dritten Bild leicht bedeckter
Himmel und entsprechend weiches Licht, beim vierten Bild strahlender
Sonnenschein. Erkennen Sie den Unterschied? Die Konturen der Schatten
belegen es. Alle Blätter des Weihnachtssterns sind relativ gleich weit von
der Kamera entfernt. Dadurch war es kein Problem, das Motiv scharf
abzubilden. Beim vierten Bild ist der Tiefenraum so groß, dass bei dem
kurzen Aufnahmeabstand die Schärfentiefe selbst bei der Digitalkamera an
ihre Grenzen stößt. Betrachten Sie das aber nicht als Fehler, sondern als
Gestaltungsmittel! Die Blende wurde sogar ganz geöffnet, um die partielle
Unschärfe zu vergrößern; das Bild wird dadurch ruhiger, konzentrierter und
bleibt dennoch lebendig. Wir hatten das schon einmal; schauen Sie im Tipp
"Unschärfe macht Sinn" nach.
Gelbe Rose [Foto: Jürgen Rauteberg]