Rubrik: Bildgestaltung
So oder so: Bildvergleiche
2001-01-15 Es ist schade, dass viele hervorragende Bildideen nicht zu dem ebenso hervorragenden Endergebnis heranreifen, das man sich wünscht. Woran kann das liegen? Der Unerfahrene sieht sein Motiv, nimmt die Kamera vors Auge und löst aus. So geht es jedoch nicht! Es sei denn, es handelt sich um eine flüchtige Situation, die im nächsten Moment unwiederholbar fort sein kann. (Jürgen Rautenberg, Jan-Markus Rupprecht)
Rote Tomaten [Foto: Jürgen Rauteberg]
In der Regel jedoch hat man genügend Zeit, sich das Motiv
anzusehen und zu überlegen: "Wie kann ich den
Bildausschnitt, die Perspektive, das Licht finden, mit dem ich
dieses Motiv und meine Vorstellung davon am besten in ein Bild
umsetzen kann?" Wie der Bildhauer, der seinen Rohling
dreht und wendet und sich fragt, welche Form in ihm steckt und
wie er sie ans Licht bringen kann. Zunächst ist auch jedes
Fotomotiv nicht mehr, als ein Rohling. Sie müssen es
analysieren, bis Sie eine Antwort gefunden haben. Wenn Sie
nicht sicher sind, welche von mehreren Vorstellungen die
richtige ist, machen Sie zwei, drei oder mehr Fotos vom Motiv
und stellen sich die Frage: "Ist diese oder jene Lösung
sprechender?" Und genau das wollen wir hier exerzieren.
Die drei folgenden Motive des Fotografen Jürgen Rautenberg
zeigen wir Ihnen in jeweils zwei Variationen und wir stellen
die Frage: "Ist die eine besser oder schlechter als die
andere oder sind sie nur anders?"
Das erste Bildpaar, ein Stilleben, besteht aus einem
Glasgefäß, einmal gefüllt mit Tomaten, einmal mit Paprika.
Eine Jury zog das Bild mit den Tomaten vor mit der
Begründung, das leuchtende Rot vor dem dunklen Hintergrund
habe eine stärkere Wirkung als das Grün der Paprika. Ist das
wirklich so? Zweifellos ist es eine Binsenweisheit, dass Rot
vor Schwarz höchste Leuchtkraft entwickelt. Aber steht
"höchste Leuchtkraft" zugleich für
"wertvollste Aussage"? Vergleichen Sie bitte Formen,
Farben und Gesamtwirkung der Variationen. Uns scheinen die
Tomaten formal etwas zusammengequetscht. Ihr Rot ist
natürlich fröhlicher als das Grün der Paprika, aber es
erzeugt hier eher ein bisschen Aufgeregtheit und Unruhe. Wir
ziehen also die grüne Variante mit der in sich stimmigen,
ruhigen und doch Spannung erzeugenden Form vor.
Grüne Paprika [Foto: Jürgen Rauteberg]
Die Gasse auf Mykonos fotografierte Rautenberg wegen der
Schlichtheit, die das Motiv ausstrahlt. Der Ausschnitt betont
die Räumlichkeit. Das Pflaster selbst ist schon Motiv, führt
aber hin zum Hauptelement, der Idylle aus Tür und Baum. Der
Fotograf erzählt dazu: "Während ich noch einen
genießenden Blick darauf warf, kam die Frau in die Gasse. Wir
grüßten uns im Vorübergehen freundlich anders, als das
bei uns üblich ist ich bedeutete ihr radebrechend wie mir
ihr Haus gefiele. Sie erlaubte mir, sie zu fotografieren und
während sie weiterging wartete ich den Moment ab, der mir der
richtige für die zweite Variante erschien." Bei diesem
Bildvergleich geht es sicher nicht um die Frage "besser
oder schlechter", sondern jedes Bild hat seine eigene
Aussage, die mit der des anderen nicht vergleichbar ist.
Beim dritten Bildpaar hat Rautenberg etwas begangen, was
mancher für ein Sakrileg hält: Er hat von der aus einer
niedrigeren Perspektive aufgenommenen zweiten Variante ein
Stück weggeschnitten. Viele Fotografen neigen dazu, ein Bild
unvollkommen zu zeigen statt es zu verbessern, indem sie
einfach ein Stück abschneiden. Denn das ist eine
Grunderkenntnis: Alles, was von der Aussage ablenkt oder sie
stört, nimmt dem Bild ein Stück Vollkommenheit. Der
Betrachter wird von unwichtigen Elementen abgelenkt und kann
sich dadurch dem Genuss an der Schönheit des Motivs nicht
voll widmen. Also, weg damit. Bei digital vorliegenden Fotos
brauchen Sie weder Schere noch Abdeckband; beschneiden Sie das
Bild einfach im Bildbearbeitungsprogramm.
Gasse Mykonos ohne Frau [Foto: Jürgen Rauteberg]
Gasse Mykonos mit Frau [Foto: Jürgen Rauteberg]
Boot, ganzes Format [Foto: Jürgen Rauteberg]
Boot, Himmel beschnitten [Foto: Jürgen Rauteberg]