Rubrik: Aufnahmeeinstellungen
Stellung beziehen – Dokumentieren oder Interpretieren
2005-04-04 Mit den meisten Fotos, die wir machen, dokumentieren wir im Allgemeinen Gesehenes und Geschehenes in unserer Umgebung. Mit der richtigen Einstellung zum fotografierten Objekt können wir das Gesehene aber auch interpretieren – und erhalten oft Bilder, die dem Betrachter Denkanstöße geben. (Dieter Roth)
Ob wir die Fotos zu dokumentarischen Zwecken machen, etwa weil das
Objekt einem größeren Publikum in einer Zeitschrift zur besseren
Anschauung dienen soll, oder ob es sich um persönliche Erinnerungsfotos
handelt, in jedem Fall wird als Erstes die Totale (Bild 1) gewählt – und
das aus gutem Grund: Die Totale liefert uns eine Übersicht des Objekts,
zeigt es in seiner Umgebung und gibt uns so einen Eindruck von den
Ausmaßen des Motivs, sie verdeutlicht (und dokumentiert) uns seine
Funktion und seine Lage in der Umgebung. Am Beispiel eines
Hochbauentwurfes in Lübeck (eine Arbeit des Architektur-Studenten Helge Kahlcke
im 3. Semester an der Fachhochschule Lübeck) soll das einmal demonstriert
werden.
Für diese Totale muss aus der Vielzahl der möglichen Kamerastandorte der
Beste ausgewählt werden. Da der Fotograf oft durch die gegebene räumliche
Enge in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, hilft unter
Umständen der Einsatz eines Weitwinkelobjektivs oder einer "kurzen"
Brennweite am Zoomobjektiv. Dies sollte jedoch mit Bedacht geschehen, da
sonst nahe am Objektiv befindliche Teile des Motivs im Vergleich zu weiter
entfernten überproportional groß wiedergegeben werden könnten. Leider gehen
dabei auch viele Einzelheiten des Motivs verloren, da einige Bildbereiche zu
klein abgebildet oder von anderen Motivteilen verdeckt werden. Diese Ansicht
eines Hochbaumodells liefert uns bestenfalls also eine Übersicht über den
gesamten Komplex. Aus diesem Grund werden weitere Aufnahmen in der
Halbtotalen gemacht, die in diesem Beispiel die Aufgabe übernehmen, die
verschiedenen Bereiche des Mehrfamilienhauses zu erläutern. Der besseren
Verständlichkeit wegen wurden die beiden Fotos (Bilder 2 und 3) aus der
Sicht der (in etwa maßstabsgleichen) Menschen gemacht. Um dem Betrachter
einen Eindruck von der Größe zu vermitteln, welche die reale Anlage später
haben wird, wurden im Umfeld und am Bauentwurf menschliche Figuren als
Hinweis auf die Größenverhältnisse maßstabgerecht aufgestellt. Da man sich
vorstellen kann, wie groß ein Mensch im Verhältnis zu einem solchen Bau sein
wird, lässt sich die wahre Dimension der Anlage auf diese Weise erahnen, und
die Vorstellungskraft der Betrachter wird nicht überfordert.
Während Bild 4 das Modell aus einer Perspektive zeigt, die schon eher
unserer gewohnten Sehweise entspricht, sozusagen „Einblick“ gewährt, und so
die Dimensionen schon etwas besser veranschaulicht, wird in Bild 5 unsere
Vorstellungskraft unterstützt, und es kann einen Eindruck davon vermitteln,
wie ein Besucher, der die Anlage betritt, diese wahrnehmen wird. Hier wird
durch den Einsatz eines leichten Weitwinkels bzw. einer leichten
Teleeinstellung – verbunden mit der Makrofähigkeit des Objektivs – eine
Interpretation der Größenverhältnisse gegeben.
Die Beispielbilder verdeutlichen, das man mit wenigen Hilfsmitteln bei
der Herstellung solcher Fotos auskommen kann. Die Aufnahmen wurden mit zwei
Flächenleuchten ausgeleuchtet. Grundsätzlich hätte man das Modell (auf einer
Grundplatte von 35 x 45 cm) auch durch ein an die Decke gerichtetes
Blitzlicht aufhellen können, das ist aber nur bei weißem, neutralfarbigem
Anstrich möglich und auch nur dann, wenn der nötige Abstand für eine
gleichmäßige Ausleuchtung erreicht wird. Wegen der möglichst genauen
Dosierung der Schärfentiefe kam ein Stativ (für die Kamera) zum Einsatz,
welches die erforderlichen langen Verschlusszeiten (bei kleiner Blende)
verwackelungsfrei ermöglichte. Nicht alle Digitalkameras verfügen über eine
Schärfentiefeskala am Objektiv oder lassen sich vor der Aufnahme auf die
Arbeitsblende zur Beurteilung der Schärfentiefe abblenden. Dann hilft nur
Experimentieren: eine Reihe von Aufnahmen mit verschiedenen Blenden und
Belichtungszeiten, und anschließende Auswahl am Bildschirm.