Rubrik: Bildgestaltung
Stil – muss man haben
2003-02-24 Ohne uns in Begriffsbestimmungen erschöpfen zu wollen – woran liegt es, dass von zwei Fotografen der eine ein Motiv in Kunst verwandelt und der andere in Kitsch? Tatsache ist: Wer das geschmackvollere Foto zustande bringt, erntet den Preis. (Jürgen Rautenberg)
Teeservice vor unruhigem Hintergrund [Foto: Jürgen Rauteberg]
Das Gespür für Stil oder Geschmack lässt sich entwickeln. Man kann sich
gute Bilder – nicht nur Fotos – ansehen oder gut dekorierte Schaufenster.
Wichtig ist, nicht nur zu denken "Oh, wie schön", sondern Bild oder
Arrangement zu analysieren und seine Schlüsse daraus zu ziehen. Auch aus
dem Besuch von Ausstellungen und aus guten Bildbänden kann man lernen.
Besonders wichtig sind Gespräche mit Freunden, mit Kennern und Könnern,
besonders mit Menschen, deren Stil man schätzt. Feilen Sie ständig an der
Entwicklung Ihres eigenen Stiles. Vergleichen Sie Ihre Bilder mit denen
anderer. Möglichst mit denen, die besser als Sie fotografieren. So sehr
Ihr Selbstgefühl beim Anblick schlechterer Leistungen anderer Fotografen
gestreichelt wird – lernen können Sie nur von besseren.
Teeservice mit unpassendem Beiwerk Apfel [Foto: Jürgen Rauteberg]
Ein Beispiel: Vereinbaren Sie mit Ihren Fotofreunden, dass jeder
unabhängig von den anderen dasselbe Motiv fotografiert. Beim späteren
Vergleich werden Sie feststellen, wie unterschiedlich die Ergebnisse
ausgefallen sind. Lassen Sie die Werke aller neidlos vor Ihrem Auge Revue
passieren und Sie werden erstaunt sein über die Anstöße, die Ihnen aus der
Begegnung mit der Kreativität anderer erwachsen. Das ist kein Plagiat,
solange Sie nicht das Bild eines anderen einfach "abkupfern".
Werbe- oder Sachaufnahmen und Stillleben sind eng miteinander verwandt –
auch wenn die einen eher sachlich, die anderen eher emotional angelegt
werden. Alle eignen sich hervorragend als Etüden, die helfen, Stilgefühl zu
entwickeln. Denn alles, vom Arrangement bis zur Ausleuchtung, müssen Sie
selbst entwerfen. Verzeihen Sie sich dabei nicht die geringste
Nachlässigkeit. Alles bis zur unscheinbarsten Kleinigkeit muss stimmen.
Vielleicht zahlt der Kunde doppeltes Honorar, wenn Sie aus einem getöpferten
Gefäß eine Ming-Vase zaubern. Wenn Sie Ihre Bilder nicht verkaufen sondern
ganz privat an Stillleben Ihre Freude haben, gilt das gleiche:
Vollkommenheit kann vielleicht nicht immer erreicht, aber sie muss
angestrebt werden.
Teeservice mit Keks [Foto: Jürgen Rauteberg]
Betrachten Sie unser "Motiv in Variationen" und machen Sie sich Ihre
eigenen Gedanken dazu. Für die Ausleuchtung wurde, um die stark glänzenden
Glasuroberflächen in den Griff zu bekommen, ein Softrahmen verwendet, der
extrem weiche Ausleuchtung ermöglicht (siehe Tipp "Wir bauen einen
Softrahmen"). Um das Motiv besonders wirken zu lassen, wurde es vor einem
weißen Karton mit Hohlkehle freigestellt, der zusätzlich die Aufhellung
übernimmt. Betrachten Sie das gewählte Motiv als eine "Auftragsarbeit", die
der Kunde nutzen will, um damit Käufer zu animieren. Das heißt, die
geschmackvolle Präsentation des Motivs ist bestimmend über den Erfolg des
Herstellers. Da tragen Sie ein Stück Verantwortung!
Bild 1 Der Hintergrund ist derart aufdringlich,
dass das eigentliche Motiv an Wirkung verliert. Verwenden Sie gerne
Accessoires, aber überlassen Sie die Starrolle immer dem Motiv.
Teeservice mit überbetonter Rose [Foto: Jürgen Rauteberg]
Bild 2 und 3 Ein Arrangement sollte logisch sein.
Erstens isst man zum Nachmittagstee keinen Apfel. Zweitens: Wenn man ihn
denn wählte, sollte er sich farblich nicht derart in den Vordergrund
drängen. Hier passen schon eher ein paar leichte, farblich dezente Kekse;
die gewählten sind zu groß. Oder passen zu dem edlen Service vielleicht doch
eher zwei Petit Fours? Diese allerdings ohne Schokoüberzug, der gäbe einen
zu schweren Akzent. Höchstens ein leichtes Schokolinien-Dekor vor Marzipan
oder Zuckerguss mit Schnipseln von kandierter Kirsche? Ehrlich, das ist
keine Spinnerei; mit solchen Überlegungen arbeiten Sie sich an das Optimum
heran.
Bild 4 und 5 Eine Blume als Schmuck kommt immer an.
Sie stiehlt dem Motiv auf Bild 4 aber ebenso wie der Apfel die Schau. Wenn
schon, dann sollte sie sich etwas mehr unterordnen, etwa wie auf Bild 5, und
die Blätter müssten auch gestutzt werden. Je mehr der Farbton der Rose dem
des Dekors gleicht, um so gefälliger die Optik. Von solchen Kleinigkeiten
hängen Annahme oder Verweigerung der Bilder durch den Auftraggeber ab,
vielleicht sogar die Chance eines Folgeauftrages.
Teeservice mit dezent angeordneter Rose [Foto: Jürgen Rauteberg]
Teeservice mit symetrischem Aufbau [Foto: Jürgen Rauteberg]
Teeservice mit Verzicht auf Zubehör [Foto: Jürgen Rauteberg]
Bild 6 Sie haben in Ihrem Harmoniebedürfnis den
einen Tassenhenkel nach links, den anderen nach rechts ausgerichtet. Das
wirkt gestellt. Man hat sich in der Porzellan-Branche weitgehend geeinigt,
dass alle Tassen-, Kannen-, Saucieren- und sonstigen Henkel nach rechts
weisen.
Bild 7 Fragen Sie den Auftraggeber, ob er überhaupt
angefüllte Arrangements möchte. Mancher traut seinem Geschirr zu, für sich
allein zu wirken und möchte das auch in den Bildern herausgestellt wissen.
Dann ist Ihr Stilgefühl beim Arrangieren von neun bis einundzwanzig Teilen
bei einem 6-Personen-Service in besonders hohem Maße gefragt. Sie sollten es
einmal mit dem eigenen Service probieren. Kinder machen gerne solche
Spielchen, Erwachsene sehen sie als Spielerei. Aber Pädagogen wissen, wie
viel man "spielend" lernen kann.