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Stürzende Linien mit einem Shift-Objektiv beseitigen
2016-05-02 In unserem letzten Fototipp haben wir erläutert, was die scheimpflugsche Regel bedeutet und was diese mit einem Tilt-Objektiv zu tun hat. In diesem Fototipp zeigen wir, was passiert, wenn Sie bei einem Shift-Objektiv die optische Achse nach oben verschieben, den Sensor aber an Ort und Stelle lassen. Warum dies gerade bei Architekturaufnahmen zu einer Erleichterung des Arbeitsablaufes führt, zeigen wir in diesem Fototipp. (Harm-Diercks Gronewold)
Nikon Tilt-Shift-objektiv vertikal nach oben verschoben. [Foto: MediaNord]
Nikon 45 mm Tilt-Shift-Objektiv in der neutralen Position. [Foto: MediaNord]
Jeder, der schon einmal ein hohes Gebäude aus der Nähe fotografiert hat, kennt das Problem, dass Kanten, die eigentlich parallel sein sollten, nicht parallel sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Kamera bei der Aufnahme nicht gerade ausgerichtet war, sondern nach oben geneigt wurde, um das gesamte Gebäude auf das Bild zu bekommen. Diesen Effekt nennt man unter Fotografen „stürzende Linien“. Zwar haben sich die meisten Fotografen an diesen Effekt der „stürzenden Linien“ schon gewöhnt, dennoch sieht es in den meisten Fällen und gerade bei Architekturaufnahmen suboptimal aus. Die Stärke der stürzenden Linien wird maßgeblich von dem genutzten Neigungswinkel und dem Bildwinkel des Objektivs bestimmt.
Um genau diese stürzenden Linien zu vermeiden, bieten sich drei Lösungswege an. Zum einen können Sie beispielsweise mit DxO ViewPoint oder Photoshop die stürzenden Linien per Bildbearbeitung beseitigen. Allerdings gehen Ihnen hier Bildteile und damit einher auch Auflösung verloren. Das liegt daran, dass die Entzerrung der stürzenden Linien Das Bild in Form eines Trapezes verformt und somit der obere Teil des Bildes auseinander gezogen und der untere Teil, unter Umständen, gestaucht wird. Somit müssten Sie schon bei der Aufnahme diese Stauchung einplanen und genügend Platz auf der linken und rechten Seite des Motivs lassen.
Oftmals ist es nicht möglich, ein hohes Objekt auf die Speicherkarte zu bannen, ohne das die Kamera nach oben geneigt wird. [Foto: MediaNord]
Wird in einem solchen Fall die Kamera geneigt, entstehen immer stürzende Linien. [Foto: MediaNord]
Das Shift-Objektiv erlaubt es, die Kamera neutral ausgerichtet zu lassen und durch verschieben des Objektivs die stürzenden Linien verschwinden zu lassen. [Foto: MediaNord]
Möchten Sie der Problematik optisch entgegenwirken, benötigen Sie entweder ein sehr hohes Stativ oder ein Shift-Objektiv. Bei einem Shift-Objektiv kann das Objektiv parallel zur Bildebene verschoben werden. Es ändert dabei weder die Projektion noch die Perspektive. Dadurch muss die Kamera bei der Aufnahme nicht angewinkelt werden und stürzende Linien können gar nicht erst entstehen. Damit ist es dann möglich, ungünstige Kamerastandpunkte ein wenig zu korrigieren, ohne dass Sie die Position wechseln müssen. Um das „Shiften“ oder Verschieben überhaupt ermöglichen zu können, ist der Bildkreis eines Shift-Objektivs üppig proportioniert und damit deutlich größer als der Bildkreis, der eigentlich für den Aufnahmesensor notwendig wäre. Bei dem von uns verwendeten Nikon-Objektiv sind uns auch im maximalen Shiftbereich keine starken Randabschattungen aufgefallen.
Auch wenn das Lübecker Holstentor durch seine baulich beeinträchtigte Symmetrie immer asymetrisch aussieht, kann man stürzende Linien an der Petrikirche (rechts) und der Marienkirche (links) sowie dem Salzspeicher (rechts vorne) erkennen. [Foto: MediaNord]
Mit dem Shift-Objektiv werden die vormals stürzenden Linien wieder in die Parallele gebracht und das Bild wirkt harmonischer Proportioniert. [Foto: MediaNord]
Doch wie setzt man das Shift-Objektiv richtig ein? Zunächst müssen Sie sich entscheiden, ob das Bild im Hochformat oder Querformat eingesetzt werden soll. Jedes hochwertige Shift-Objektiv besitzt ein Drehgelenk mit Verriegelung. Diese erlaubt es, die Richtung der Verschiebung zu verändern. Das Nikon PC-E 45 mm F2.8 besitzt beispielsweise Arretierungen für je 30° über einen Bereich von 180°. Sobald Sie entschieden haben, ob das Bild hoch- oder querformatig sein soll, wird die Kamera gerade zum Boden ausgerichtet und der Shiftbereich so angepasst, dass dieser nach oben verschoben werden kann. Da sich der Bildausschnitt ebenfalls bewegt, sollten Sie unterhalb des Objekts ein wenig „Luft“ lassen. Ist der Bildausschnitt korrekt eingestellt, können Sie mit der Mechanik das Objektiv nach oben verschieben. Im Sucher beziehungsweise Monitor sehen Sie dann auch sofort, wie die stürzenden Linien im Objekt wieder zu Parallelen werden. Eine vollständige Parallelität der Linien kann dazu führen, dass ein unwirklicher Bildeindruck entsteht und die Plausibilität des Bildes leidet. Das ist der Tatsache geschuldet, dass das menschliche Auge ebenfalls den Effekt der stürzenden Linien besitzt. Unser Gehirn ist lediglich zeitlebens daran gewöhnt, und unser Sehzentrum ist so leistungsfähig, dass wir diesen Effekt bis zu einem gewissen Grad als „normal“ wahrnehmen.
Neben echten Shift-Objektiven verschiedener Hersteller sind auch Adapter erhältlich, die alte Vollformatobjektive für APS-C- oder Micro-Four-Thirds-Kameras zu Shift-Objektiven umfunktionieren. Bei den Objektiven sollte es sich aber am besten um Modelle handeln, die besonders geringe Randfehler aufweisen. Mittelformatobjektive würden sich für so einen Einsatzzweck besonders gut eignen. Es gibt auch einige günstige Adapterlösungen mit verschiedenen Bajonetten. Im nächsten Fototipp zeigen wir Ihnen, wozu die Shift-Funktion zweckentfremdet werden kann.