Rubriken: Bildbearbeitung, Bildgestaltung
"Unwirkliche" Fotografie – Das Richtige im Falschen, Teil 1
2007-08-13 Eigentlich bildet die Fotografie mehr oder weniger nur das Vorhandene und Sichtbare ab. Dennoch kann man mit dem Licht ebenso schreiben, wie der Maler seine Bilder mit dem Pinsel gestaltet. Auch mit der Kamera und in der (digitalen) Dunkelkammer kann man etwas Neues, bis dahin Ungesehenes erschaffen. Mit etwas Geschick entstehen Szenen, die scheinbar alle Grenzen und Gesetze der Realität auflösen. Zwar verliert die Fotografie dabei ihren dokumentarischen Charakter – dafür gewinnt sie aber viele künstlerische Freiheiten hinzu. (Franko Hoffmann-Samaga)
Bevor man Bilder verfremdet und surrealistisch kombiniert, sollte man sich überlegen, warum man bei einer Fotografie von vornherein davon ausgeht, dass sie eine reale Situation abbildet. Warum also sind wir so schnell bereit, eine Fotografie als etwas Wahres anzunehmen – obwohl es sich doch mittlerweile herumgesprochen haben sollte, wie leicht sich Bilder fälschen und manipulieren lassen? Achtet man einmal darauf, was Ausgangsbilder realistisch erscheinen lässt, stellt sich heraus: Dies sind sicher allen voran gewohnte Farben, klare Konturen, die korrekte Form, eine logische Perspektive, eine normale Ausleuchtung und eine gewohnte Dimension der fotografierten Objekte. Stimmen diese Parameter, wird unser Gehirn eine Fotografie als reales Abbild der Wirklichkeit deuten. Ist aber nur ein kleiner Fehler zu finden, entsprechen Farben nicht dem Gewohnten oder fällt ein Schatten falsch, schlägt unser Gehirn sofort Alarm.
Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man versuchen, diese Grundbedingungen entweder so zu verändern, dass jedem sofort deutlich die Verfälschung klar wird. Oder man achtet penibel darauf, die surrealen Objekte in gewohnte Umgebungen einzubinden. Dadurch fällt es dem Betrachter schwer, die Fälschungen zu erkennen. Er bemerkt vielleicht, dass irgendetwas nicht stimmt, kann aber nicht genau erkennen, was Fiktion und was real ist. Auf diese Weise entstehen die interessanteren und für den Betrachter verwirrenderen Bilder.
Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen. Am auffälligsten sind Collagen, wenn sie darauf verzichten, die einzelnen Bildelemente exakt aufeinander abzustimmen, sondern plakativ alle Bilder nebeneinander stellen. Auch damit können interessante Wirkungen erzielt werden. Im Bild 1 wurden Ausschnitte mehrerer Aufnahmen vom Start eines Heißluftballons verwendet, um eine Art dokumentarische Collage zu schaffen. In der nächsten Abbildung (Bild 2) wird es hingegen schon etwas schwieriger, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Äußerlich ist zwar ein Rahmen vorhanden, der das Bild abgrenzt, aber bei den ineinander geschachtelten Gebäuden ist man sich nicht ganz sicher, wie man seinen Augen trauen kann. Türen, Fenster und viele andere Öffnungen waren schon immer ein oft verwendetes Sujet der Surrealisten. Man weiß nie, was hinter einem solchen Eingang wartet und welche Welt sich dahinter auftut – der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Gleichzeitig gewinnt man durch natürliche Öffnungen eine geeignete Kulisse für die eigenen Fantasien.
Bei einer anderen Verfremdung werden Größenverhältnisse ausgenutzt, um Verwirrung im Gehirn zu stiften. Man denke nur an Salvatore Dalis Elefanten, die auf viel zu langen und dürren Beinen über die Öde staken. Man hat beim Betrachten dieser Bilder Angst, die Beine würden jeden Moment einknicken, die schweren Elefantenkörper zu Boden fallen. Dali nutzt hier geschickt unsere als Gewissheit verinnerlichten Vorstellungen von Masse und Größe aus, um den Verstand zu narren. Ähnliches kann man leicht auch mit Hilfe der Bildbearbeitung erreichen. In Bild 3 sind zwei Plüschtiere – in der Realität nicht mehr als 20 cm hoch – zum Leben erwacht und von einem Kind beim Spaziergang entdeckt worden. Natürlich handelt es sich dabei nur um eine Fiktion. Da aber die kühlen Lichtverhältnisse bei allen zusammengefügten Objekten (die Tiere, das Kind, die Mauer und der Hintergrund mit dem grauen Himmel) beibehalten und aufeinander abgestimmt
wurden, wirkt die Szene recht real. Werden dann noch leichte, diffuse Schatten gesetzt, fällt es schwer, Fiktion und Wirklichkeit auseinander zu halten.
Einen ähnlichen Effekt macht sich Bild 4 zu nutze. Auch hier stimmen die Größenverhältnisse zwischen dem See und der Blume nicht. Da aber alle anderen Bildeigenschaften (Beleuchtung, Perspektive, Spiegelungen, Wellen usw.) unseren gewohnten Sehbedingungen entsprechen, erliegt das Gehirn erneut dem Schein und hält das Bild prinzipiell für eine mögliche Realität.
Das Bild 5 schlägt einen anderen Weg ein. Hier handelt es sich offensichtlich um eine Fälschung, denn Schiffe fahren eher selten die Berge hinauf. Und dennoch ist gerade dies das Schönste an der surrealistischen Nachbearbeitung von Fotografien – sie können mit ein wenig Phantasie und Kreativität nahezu alles möglich machen. Die einzelnen Komponenten (das Meer, das Schiff, der Berg und der Himmel) sollten dabei aber stimmig zusammengefügt werden.
Dabei ist besonders auf Lichter, Richtungen und sinnvolle Übergänge zu achten. Letzterer wurde hier dadurch gewährleistet, dass das Wasser vor dem Bug des Schiffes in den Wolken ausläuft, die sich um die Bergspitzen des Ausgangsbildes gebildet hatten. Die grelle Sonne wurde später als zusätzlicher Lichteffekt eingefügt und überstrahlt einige Unstimmigkeiten, die sonst die Wirkung zerstört hätten.
Im Bild 6 wurde versucht, eine perfekte Illusion zu erzielen. Zwar ist auch hier alles erfunden und aus verschiedenen Bildern ineinander kopiert. Dennoch wurde auf eine realitätsnahe Kombination der Bildelemente Wert gelegt. Da unser Gehirn schon bei kleinen Unstimmigkeiten einen Täuschungsversuch entlarven würde, sollte man besonders auf die Details achten. So muss der Pinguin natürlich ein bisschen im Schnee versinken sowie Licht und Schatten aufeinander abgestimmt sein. Mit den bei Fotos eher ungewollten Linsenreflexen kann man den Betrachter zusätzlich verwirren – denn nichts lässt den Betrachter mehr nach Fehlern suchen, als zu große Perfektion.