Rubrik: Grundlagenwissen
Weitwinkel richtig einsetzen
2000-02-14 Jedes Objektiv hat seine Eigenart: Teleobjektive bilden das Motiv anders als Normal- oder Weitwinkelobjektive ab. Weitwinkelobjektive umfassen nicht nur einen großen Blickwinkel, sondern beeinflussen das Bild auch auf andere Weise. (Yvan Boeres, Jan-Markus Rupprecht)
Als Weitwinkel betrachtet man alle Brennweiten unterhalb der
Normalbrennweite von 50 mm (alle Werte sind bezogen auf das 35-mm-Kleinbild-Format angegeben). Während 35 mm noch als
gemäßigtes Weitwinkel gilt, werden Objektivbrennweiten ab
28 mm als "echtes" Weitwinkel bezeichnet, ab
20 mm spricht man gar von einem Superweitwinkel-Objektiv. Eine
Klasse für sich sind sogenannte Fisheye-Objektive, die in der Regel
eine Brennweite von 16 mm haben und damit einen Bildwinkel von
ungefähr 180° abbilden. Dabei unterscheidet man zwischen
korrigierten und unkorrigierten Fisheye-Objektiven; bei letzteren
wird das Bild kreisförmig wiedergegeben.
Je größer der Aufnahmewinkel, desto komplizierter gestaltet
sich die Objektivkonstruktion: Es wird zunehmend schwieriger
Randunschärfen, Verzerrungen oder Reflexionen zu verhindern.
Während man solche "Unfeinheiten" in der Linsenmitte noch
gut in den Griff bekommt, verstärken sich diese Effekte an den
Bildrändern. Asphärische Linsen, d. h. Linsen mit einer
besonderen Bauform, und der gleichzeitige Gebrauch von organischen
(Glaslinsen) und anorganischen Linsen (aus hochwertigem Kunststoff)
sind einige der Techniken, mit denen die Hersteller diese Effekte
auf ein erträgliches Maß reduzieren.
Deshalb sollte man die Eigenschaften seines Objektives, egal ob
Weitwinkel-, Normal- oder Teleobjektiv genau kennen, und sich die
jeweiligen Eigenarten zunutze machen. Bei Teleobjektiven kommt es
wegen des geringen Bildwinkels zum Kompressionseffekt, d. h. Vorder-
und Hintergrund rücken optisch enger aneinander. Folglich schwindet
die Schärfentiefe bei solchen Objektiven viel schneller als bei
Weitwinkelobjektiven. Bei Weitwinkelobjektiven erscheinen Vorder-
und Hintergrund weit voneinander entfernt, gleichzeitig erstreckt
die Schärfentiefe sich über einen weiten Bereich. So sind selbst
mit großer Blende fast alle Bildebenen scharf. Deshalb werden
Weitwinkelobjektive nicht nur wegen des großen Bildwinkels sehr
gerne für Landschaftsaufnahmen eingesetzt.
Bei Weitwinkelobjektiven sollte man besonders darauf achten, die
Kamera möglichst parallel zum Motiv zu halten. Liegt der
Aufnahmepunkt höher oder tiefer, entstehen sogenannte
"stürzende Linien": Vertikale Linien im Bild laufen
aufeinander zu. Diese Bildverzerrungen kann man allerdings zu kreativen
Zwecken einsetzen. Genau wie im Spiegelkabinett auf dem Rummelplatz
kann man mit Weitwinkelobjektiven und einem versetzten Aufnahmepunkt
skurrile Personenaufnahmen machen, die in letzter Zeit in der
Werbung stark in Mode gekommen sind. Der Effekt ist umso stärker,
je kleiner die Brennweite ist.
Bei Weitwinkelaufnahmen sollte man auch darauf achten, dass das
Auge einen Anhaltspunkt auf dem Bild findet. Die Versuchung,
möglichst viel auf ein Bild zu bekommen ist hier besonders groß.
Deshalb sollte man eine Person oder ein Objekt in den Vordergrund
bringen, damit das Auge später nicht ziellos auf dem Bild
umherwandert. Wegen der großen Schärfentiefe ist es gut möglich,
sich der Person bzw. dem Gegenstand zu nähern, ohne eine unscharfe
Abbildung zu riskieren.
Reflexionen der Sonne kann man mit einer geeigneten Gegenlichtblende
verhindern. Besonders bei Weitwinkelobjektiven ist es wichtig, dass
die Gegenlichtblende das Bild in den Ecken nicht abschattet. Ist eine
passende Sonnenblende nicht zur Hand, kann man sich mit der eigenen
Hand weiterhelfen (siehe Tipp). Auch gegen Randunschärfen gibt es ein
Mittel: Abblenden um zwei Stufen über der größtmöglichen
Blendenöffnung. Dadurch wird die Blendeniris soweit geschlossen, dass die Randabschattungen oder Vignettierungen, wie sie im
Fachjargon heißen, meist nicht mehr auftreten. Nebenbei wird bei
dieser Blendenöffnung auch die maximale Abbildungsleistung des
Objektives erreicht, also Randunschärfen und Farbsäume minimiert.
Unser Beispielfoto entstand mit einer Nikon
Coolpix 900 mit Weitwinkelkonverter (resultierende Brennweite ca. 24
mm) und zeigt die Dachkonstruktion einer Rundkirche auf der Insel
Bornholm (Dänemark). Bei Innenaufnahmen unter beengten
Platzverhältnissen ist es meist nur mit Weitwinkelobjektiven
möglich, größere Teile des Raumes auf einmal abzubilden.