Rubrik: Grundlagenwissen
Wie funktioniert der Entfernungsmesser einer Messsucherkamera?
2022-05-14 Leica ist auf der Welt einzigartig und wirkt auf die Fotografenszene durchaus polarisierend. Während sich die japanischen Hersteller mit Neuerungen und technischen Finessen überschlagen, hält Leica bei seiner M-Kameraserie an dem präzisen optisch-mechanischen Sucher fest, der seit einigen Jahren eigentlich obsolet sein könnte. In diesem Fototipp erklären wir, wie diese Art der Entfernungsmessung funktioniert sowie was die Vor- und Nachteile sind. (Harm-Diercks Gronewold)
Das reflektierte Licht fällt vom Objekt in den Sucher und Messsucher. Ist der Messsucherspiegel in der falschen Position, dann wird das Objekt beider Sucher nicht Deckungsgleich angezeigt. [Foto: MediaNord]
Auch wenn Leica den Messsucher immer noch einsetzt, war die 1936 gebaute Contax II von Zeiss Ikon die erste Kamera mit eingebautem Messsucher Entfernungsmesser. Messsucherkameras wurden mit der Zeit immer mehr durch Spiegelreflexkameras vom Markt gedrängt, aber es gab immer wieder Hersteller, die versucht haben, dem Messsucher neues Leben einzuhauchen. Leica ist sich bei der M-Serie immer treu geblieben und zur Zeit der einzige Hersteller, der den Messsucher weiterhin einsetzt und weiterentwickelt. So auch in der im Januar 2022 vorgestellten Leica M11, die einen komplett neu konstruierten Messsucher hat.
Der Messsucher besteht aus dem eigentlichen Sucher, durch den man auf das Motiv schaut und einer weiteren Öffnung, die horizontal zum Sucher versetzt ist. Hinter der zweiten Öffnung, dem Ausblickfenster des Entfernungsmessers, befindet sich ein drehbarer Spiegel, der das Licht des Motivs in Richtung des Suchers umlenkt. Im Sucher befindet sich im 45-Grad-Winkel ebenfalls ein Spiegel, dieser ist allerdings teildurchlässig.
Der drehbare Spiegel besitzt eine mechanische Kopplung zum Fokusring des Objektivs. Wird dieser gedreht, so ändert sich der Winkel des drehbaren Spiegels und damit auch der Strahlengang des umgelenkten Lichts, wodurch sich die Position der Überlagerung ebenfalls ändert. Ist der gewünschte Punkt im Bild deckungsgleich, so ist der Fokus korrekt eingestellt.
Wird der Spiegel durch die Betätigung des Fokusrings in die korrekte Position gebracht, sieht der Fotograf beide Bilder deckungsgleich und weiß, dass der Fokus nun auf dem Objekt liegt. [Foto: MediaNord]
Damit der Fotograf nicht durch eine großflächige Überlagerung abgelenkt wird, wird nur ein kleiner Bereich des überlagerten Bildes eingeblendet. Das wird dank einer fest montierten Blende ermöglicht, die nur ausgewählte Bildbereich durchlässt.
Bei den Leica-M-Kameras ist der Abstand zwischen Sucher und Ausblickfenster recht groß, was keinen kosmetischen Grund hat. Vielmehr sorgt dieser Abstand für ein präziseres Ergebnis bei der Ermittlung des Abstandes. Die Strecke zwischen beiden Punkten wird auch als Messbasis bezeichnet. Damit das so funktioniert, muss die gesamte Mechanik extrem präzise sein – und zwar sowohl das auf Seite der Kamera als auch auf Seiten des Objektivs.
Die Vorteile eines solches Systems sind vielfältig. Darunter beispielsweise die geringe Größe im direkten Vergleich mit Spiegelreflexkameras. Ebenfalls zu den Vorteilen gehört der problemlose Einsatz bei schlechten Lichtverhältnissen. Auch das geringe Auflagemaß ist ein Vorteil von Kameras mit Messsucher. Im Prinzip sind das also die gleichen Vorteile, die auch eine spiegellose Systemkamera aufweist, nur mit weniger Stromverbrauch.
Die Messsucher-Elemente anhand einer Detailaufnahme einer Leica M Monochrom. [Foto: MediaNord]
Doch es gibt auch Nachteile. Dazu gehört der Parallaxen-Fehler. Dieser tritt allerdings bei allen Sucherkameras auf und nicht nur bei Messsucherkameras. Der Grund dafür ist, dass der Sucher horizontal und vertikal vom Objektiv versetzt angebracht ist. Je dichter das Motiv an der Kamera ist, desto größer ist dieser Fehler, den der Fotograf manuell ausgleichen muss, indem man den Bildausschnitt entsprechend anpasst. Die M-Kameras von Leica besitzen einen automatischen Ausgleich, um das Problem zu verringern.
Der Einsatz unterschiedlicher Brennweiten stellt sich zudem aufgrund des festen Bildwinkels des Suchers als schwierig heraus und macht die Verwendung von Aufstecksuchern sinnvoll. Ist der Bildwinkel eines (Ultra-) Weitwinkelobjektivs größer als der des Messsuchers, wird zunächst mit Hilfe des Messsuchers fokussiert und dann der Bildausschnitt mit dem Aufstecksucher gewählt. Beim Einsatz von Telebrennweiten jenseits von 135 Millimetern wiederum wäre der Sucherrahmen sehr klein, so dass man eine sehr große Vergrößerung benötigen würde, um sinnvoll fokussieren zu können. Leica selbst bietet beispielsweise keine längerbrennweitigen Objektive jenseits der 135 Millimeter an.
Glücklicherweise sind die Probleme dank der digitalen Technologie und der LiveView-Funktion kein Hindernis mehr. Im Grunde kann das Livebild den Messsucher fast vollständig ersetzen und das zum Preis von lediglich eines etwas höheren Stromverbrauchs. Doch die Entschleunigung der Fotografie gehört zum Konzept der Leica-M-Serie und alleine damit hat der Messsucher schon für seine Daseinsberechtigung gesorgt.