Rubrik: Motive und Situationen
Wintermotive – kühl kalkuliert
2006-11-12 Auch wenn der kalendarische Winteranfang auf den 22. Dezember fällt, kann der phänologische Winter viel früher einbrechen – und der ist für den Fotografen der eigentlich Wichtige. Gemeint ist der erste Schnee, genauer gesagt, die geschlossene Schneedecke. Man sollte also vorbereitet sein, wissen, was man fotografieren will und Klarheit haben, wo die Bilder gemacht werden sollen. Diese Überlegungen stellt man im Herbst an und wartet dann auf den Abend, an dem der Wetterbericht erste Frostgrade ankündigt und Schnee verspricht. Alle Ausrüstungsgegenstände für den Fotografen und die Kamera werden bereitgelegt und der Wecker zu noch nachtschlafender Zeit gestellt. (Günter Hauschild)
Frühaufstehen ist unbedingt angesagt. Denn man möchte schließlich die Motive in "jungfräulichem" Zustand vorfinden, möglichst ohne Spuren verschiedener Fahrzeuge und Lebewesen. Man vermeide deshalb die Gebiete, von denen bekannt ist, dass dort der Berufsverkehr seine Bahnen zieht. Damit soll aber nichts gegen Aufnahmen gesagt sein, die Spuren im Schnee zeigen. Die können sehr reizvoll sein und manche Überlegungen verlangen, um die grafische Wirkung solcher Bilder zu garantieren. Auch Spuren von Tieren zeichnen sich im Schnee gut ab. Diese können auch durch die bloße Abbildung der Wissensvermittlung dienen oder auch, um zu Hause mit Hilfe der Literatur oder/und des Internets herauszufinden, welches Tier denn da gelaufen ist. Vielleicht gehören zum Bekanntenkreis auch Biologie- oder Primarstufenlehrer(innen), die für solche Aufnahmen sehr dankbar sind.
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Stromversorgung. Die Akkus – ja, Mehrzahl – sollten voll geladen sein, und wenn es zu kalt ist, bis zum Einsatz am warmen Fotografenkörper aufbewahrt werden. Vor allem sollte man die Zeit nutzen, in der die Sonne noch recht niedrig steht, lange Schatten wirft und folglich auch noch nicht so viel Kraft hat, um bizarre Eisgebilde (Bild 1) tauen zu lassen. An manchen Wintertagen ist diese Zeit jedoch relativ kurz, man sollte also zügig arbeiten.
Begibt man sich an einem solchen Morgen in den Wald oder einen Park, findet man völlig veränderte Ansichten (und Bilder): Bis zum Laubfall haben die Laubblätter der Bäume und Sträucher die Sicht in den Park oder in den Wald genommen. Hinter ihnen haben sich Stämme, Äste und Zweige versteckt, die nun sichtbar sind. Es ist erstaunlich, welche Figuren in einzelnen Baumkronen stecken. Entweder die Gebilde in dem Gehölz heben sich wegen ihrer Form oder Größe schon allein aus der Umgebung heraus (Bild 2), oder man wählt eine weit offene Blende, um ihr deutliches Bild vor einem verschwommenen Hintergrund zu erhalten (Bild 3). Das wird beim Lichtüberfluss an einem Sonnentag im Winter gar nicht so leicht sein, vielleicht schafft es die Kamera mit einer möglichst niedrigen ISO-Einstellung doch, sonst hilft auch ein neutrales Graufilter.
Ist die Sonne dann voll da und taucht die Winterlandschaft in ihr helles, aber doch recht mildes Winterlicht, wendet man sich im wahrsten Sinne des Wortes diesem Sonnenlicht zu. Am besten an einem Standort, an dem die Sonne als Seitenlicht lange Schatten wirft. Es zeichnen sich dann eindrucksvolle, bildwirksame Linien (Bild 4); die Bäume selbst sind die klaren Senkrechten, deren Schatten bilden einen entsprechenden Winkel zu ihnen, und der Weg führt das Auge in das Bild hinein.
Man kann sich aber auch für das volle Gegenlicht entscheiden, muss dann nur dafür sorgen, dass ein Gegenstand die alles überstrahlende Sonne ganz (Bild 5) oder teilweise (Bild 6) verdeckt. Vorsicht aber vor direktem Sonnenlicht, es kann die Funktion der Kamera empfindlich stören, gelangt es auf direktem Wege in das Objektiv und auf den Bildsensor. Auch der Fotograf selbst sollte den direkten Blick in die Sonne meiden. Die Augen könnten es übel nehmen, wenn auch nur durch Blendung und für kurze Zeit, in der ein kurzzeitig vorhandenes Motiv nicht gesehen werden kann. Vielleicht macht man in dieser Situation zwei Aufnahmen: die eine ohne Blitz, dann wird das die Sonne verdeckende Objekt silhouettenhaft erscheinen, die zweite mit Aufhellblitz, wodurch das Objekt Zeichnung erhält. Am Computer entscheidet sich dann, welche der beiden Aufnahmen den Vorstellungen am nächsten kommt.
In den Wintermonaten fehlen viele Farben in der Natur. Das zwingt den Fotografen wieder, über Gestaltungselemente nachzudenken, die in der Schwarz-Weiß-Fotografie Gang und Gäbe waren: Linien und Formen. Beides bieten die Bäume selbst oder ihre Kronen, zumal wenn sich auf ihnen Schnee abgelagert hat. Linien wirken nur selten gut, wenn sie auf geradem Wege von einem Bildrand zum Gegenüberliegenden verlaufen. Bildwirksam werden sie bei einem geschwungenen Verlauf (Bild 4), wenn sie an der unteren Kante beginnen – idealer Weise in einer der unteren Bildecken –, in das Bild hinein zu wichtigen Motivteilen führen und in diesen "verschwinden".
Eine rechteckige oder quadratische Fläche im rechteckigen oder quadratischen Bild wirkt in aller Regel unschön und langweilig. Daher sucht man im Motiv ein Dreieck (Bilder 2 und 6) und stellt es so ins Bild, dass es Spannung hineinbringt. Formen und Flächen ergeben sich in aller Regel in der mit Schnee zugedeckten Landschaft, wobei man durchaus schon einen Vorgarten, die Verkehrsinsel einer Stadtautobahn oder den Randstreifen einer Umgehungsstraße als "Landschaftsmotive" verstehen kann.