Rubrik: Bildgestaltung
Zauberhaftes Glas
2003-03-10 Für Fotografen hat Glas eine unwiderstehliche Anziehungskraft; es spiegelt auf unterschiedlichste Weise, es reflektiert, bricht das Licht, verändert Farbe und Form des Motivs. Der Werbefotograf muss verflixt aufpassen, dass er all diese Reaktionen in den Griff bekommt. Wer frei fotografiert, kann sie alle einsetzen und wird zu interessanten fotografischen Ergebnissen kommen. (Jürgen Rautenberg)
Drei Gläser, einfaches Stllleben [Foto: Jürgen Rauteberg]
Wer für Glasprodukte wirbt, der muss jede unmotivierte Spiegelung,
jeden weißen Fleck auf dem Bild vermeiden; das Motiv muss "fehlerfrei
ausgeleuchtet" sein. Was beim Werbefotografen ein Fehler ist, kann für den
Liebhaberfotografen, aber durchaus auch für den freischaffenden Profi zum
Genuss werden.
Antike Vasen Museum Bodrum [Foto: Jürgen Rauteberg]
Jeder Lichtpunkt im Raum spiegelt sich auf unterschiedliche Weise in
einem Glaselement, je nachdem, welche Form es hat. Trifft das Licht auf eine
Kugelform, erscheint es dort als Punkt. Ist die Form dagegen gestreckt, hat
sie Wölbungen, Winkel, Kanten, dann können die Reflexe zu Bögen, Linien oder
Flächen werden. In gleicher Weise sorgen Leuchten für größere oder kleinere
Reflexe. Sie können das testen, indem Sie eine bewegliche Leuchte auf ein
Glasgefäß richten und sie um das Gefäß herum führen; jeder Ort der Leuchte
verändert die Reflektionen, führt zu neuen Licht-, Farb-, Schattengebilden.
Und wenn Sie die Leuchte gegen eine weiße oder gar farbige Fläche richten,
die das Licht ihrerseits in das Motiv reflektiert, erhalten Sie wiederum
neue Variationen.
Farbe kann zweifach auftreten: als farbiges Glas oder als farbiges Licht.
Glas kann transparent, opak oder lichtundurchlässig sein. Klares,
transparentes Glas erhält Farbe, wenn es sich vor einem farbigen Element
befindet. Setzen Sie ein Farbfilter vor eine Leuchte, nimmt das Motiv dessen
Farbe an. Arbeiten Sie mit zwei oder mehr mit Farbfiltern versehenen
Leuchten – was beim Einsatz von "entfesselten Blitzen" (siehe Tipp "Der
entfesselte Blitz") ohne Probleme möglich ist – steigern Sie die Farbigkeit.
Bei all dem fließen Farben ineinander, mischen sich, ändern Intensität und
Charakter. Dennoch – versuchen Sie nicht, die gesamte Farbwelt in einem Bild
unterzubringen; es könnte Unruhe entstehen, die den Betrachter eher
abschreckt als anzieht.
Motive finden sie überall. Falls Ihr Fundus nichts Geeignetes hergibt.
können Sie sich in einem entsprechenden Geschäft eine teure geschliffene
Vase ausleihen, der Inhaber tut dies sicher gegen Einsicht in Ihren Ausweis
und wenn Sie ihm die Ergebnisse zu zeigen versprechen. Sie können ebenso gut
bei einem Kunstglaser einen halben Eimer farbiger Scherben bekommen, aus
denen sich abstrakte Farbspiele schaffen lassen.
Glühendes Glas [Foto: Jürgen Rauteberg]
Das fotografische "Spiel mit Glas" hat schon so mancher Fotograf zu
seinem Arbeitsschwerpunkt gemacht. Sei es für Tage oder für Jahre. Falls Sie
sich an dem wiederkehrenden Begriff "Spiel" stören, als einem Begriff, mit
dem zu beschäftigen unter der Würde eines ernsthaften Fotografen liegt, hier
ein Zitat von J. Huizinga aus seinem Buch "Homo Ludens" (Der spielende
Mensch): "Spiel ist eine bestimmte Qualität des Handelns, die sich vom
"gewöhnlichen" Leben unterscheidet. Spiel an sich ist etwas Überflüssiges.
Erst durch das Einströmen des Geistes wird das Vorhandensein des Spiels
möglich, denkbar und begreiflich."
Bild 1 Ein einfach gebautes "Stillleben", mit einem
links seitlich platzierten Blitz ohne zusätzlichen Reflektor ausgeleuchtet.
Die zarte Farbigkeit wird durch den dunklen Hintergrund (faltig drapierter
schwarzer Samt) betont.
Stilles Stllleben [Foto: Jürgen Rauteberg]
Bild 2 Glasgefäße aus einem antiken Schiffswrack im
Museum von Bodrum/Türkei. Der Raum ist völlig abgedunkelt (daher die geringe
Schärfentiefe; entstanden durch die notwendig große Blende trotz langer
Belichtungszeit), die Gefäße stehen in einer Vitrine auf einer schwarzen
Fläche. Diese ist durchbohrt und darunter sind Lampen angebracht. Allein
deren Licht scheint durch diese Öffnungen, über denen je eine Vase steht.
Eine interessante, nachahmenswerte und dem Werkstoff entsprechende
Ausleuchtung.
Bild 3 Birgit Braune fotografierte nichtfarbige
Glasgefäße vor einem dunklen Hintergrund. Ihre nahezu "glühende" Farbigkeit
erhalten sie durch ein vor der Blitzleuchte befestigtes Farbfilter, die
ihrerseits auf den Hintergrund gerichtet wurde und von dort in das Motiv
zurückstrahlt.
Bild 4 Martina Traum wählte für ihre konzentrierte,
ruhige Komposition sehr schwach und weich von rechts einfallendes Licht:
Blitz mit meinem kleinen Zusatzreflektor.
Gebrochenes Glas [Foto: Jürgen Rauteberg]
Bild 5 Das Blumenmotiv befindet sich hinter einer
geschliffenen Vase, dadurch werden die Formen teilweise – ob völlig oder
teilweise entscheidet der Macher – aufgelöst. Sonnenlicht von links.