Neues spiegelloses Kamerasystem

Canon stellt mit der EOS R ein spiegelloses Vollformat-System vor

2018-09-05, aktualisiert 2018-09-10 Mit einem großen Presse-Event in London stellt Canon seine Interpretation einer spiegellosen Vollformatkamera vor. Die mit etwa 30 Megapixeln auflösende Kamera soll professionellen Ansprüchen von Fotografen gerecht werden. Zudem bietet die Kamera 4K-Videoaufzeichnungen und HDR-Videoaufzeichnungen an. Der Hybrid-Autofokus arbeitet mit insgesamt 5.655 Messpunkten und soll auch bei schlechten Lichtverhältnissen schnell und zuverlässig arbeiten.  (Jan-Markus Rupprecht)

Update  Diese Meldung haben wir nach der ersten Veröffentlichung immer wieder erweitert und mit neuen Informationen angereichert. So wollen wir auch in den kommenden Tagen verfahren, wenn wir neue Informationen zum EOS R System erhalten.

Kurz nachdem Nikon sein spiegelloses Z-System mit Kleinbild-Vollformat-Sensor vorgestellt hat, folgt Canon mit dem EOS-R-System – ebenfalls mit neuem Bajonett. Anders als Nikon mischt Canon schon seit längerem mit dem EOS-M-System bei den Spiegellosen mit, anfänglich nicht sehr erfolgreich, die zuletzt herausgebrachten Kameras sind aber wirklich gut und auch erfolgreich. Das M-Bajonett schien dem Hersteller mit seinem Durchmesser von ca. 46 mm jedoch zu klein für einen Kleinbild-Vollformat-Sensor. Das neue EOS R Bajonett hat mit 54 mm hingegen einen stattlichen Durchmesser (nur 1 mm kleiner als Nikon Z) und ermöglicht damit im Objektiv eine große Hinterlinse und somit einen günstigen Strahlengang auf den großen Vollformat-Sensor in der Kamera. Besonders in den Bildecken verspricht dies im Vergleich zu einem kleineren Bajonett einen geringeren Lichtabfall und eine höhere Auflösung. Wichtig soll das nahezu senkrechte Auftreffen der Strahlen aber nicht nur für die Bildqualität sein, sondern auch für die richtige Funktion des Dual-Pixel-Autofokus, vor allem auch im Randbereich. Der Autofokus der EOS R deckt nämlich horizontal 88 Prozent und vertikal sogar 100 Prozent ab, arbeitet also fast bis in die Bildecken. Der Autofokus der EOS R besitzt sagenhafte 5.655 wählbare AF-Positionen und soll laut Canon der schnellste Autofokus der Welt sein. Innerhalb von nur 0,05 Sekunden soll die Kamera scharfstellen und der Autofokus arbeitet sogar bei extrem wenig Licht: minus 6 LW gibt Canon an. Das bietet bisher kein anderes Autofokus-System, auch nicht das einer DSLR.

Der neu entwickelte Vollformat CMOS-Sensor der Canon EOS R bietet 30,3 Megapixel effektive Auflösung und liefert die Bilder an den neuen Digic 8 Bildprozessor. Dieser besitzt eine so genannte "Digital Lens Optimizer" Funktion (DLO, wie bei Fujifilm), mit der die Abbildungsleistung der Objektive elektronisch optimiert werden soll. Die Korrekturdaten dazu sendet das RF-Objektiv an die Kamera. So sollen beispielsweise mögliche Verzeichnungen ohne Auswirkungen auf die Aufnahmegeschwindigkeit korrigiert werden. Bis zu acht Serienbilder pro Sekunde in voller Auflösung kann die EOR R aufnehmen, dann allerdings ohne Autofokusnachführung. Mit AF-Nachführung sind es fünf Bilder pro Sekunde. Auch ein geräuschloses Auslösen für diskrete Aufnahmen bietet die EOS R. Die geräuschlosen Aufnahmen sollen noch leiser sein als bisher und vor allem eine bessere Bildqualität haben (weniger Rauschen). Ansonsten ist es aber lediglich ein elektronischer Verschluss. Einen optischen Sensor-Shift-Bildstabilisator baut Canon – anders als Sony oder Nikon – in seine neue Kamera nicht ein. Beim EOS-R-System findet die Stabilisierung stattdessen im Objektiv statt (schöner wäre aber natürlich beides bzw. eine Stabilisierung innerhalb der Kamera würde bei nicht stabilisierten Objektiven viel helfen).

Die EOS R ist zudem als hochwertiges Produktionswerkzeug für die Filmindustrie konzipiert, sagt Canon. Sie zeichnet 4K-Videomaterial (UHD, 16:9) mit 30 fps auf und bietet eine umfangreiche Tonregelung, ein dreh- und schwenkbares Display und sowohl Fokus Peaking, als auch den aus der Cinema EOS bekannten Focus Guide zur Unterstützung der manuellen Fokussierung. Die EOS R bietet auch Canon Log, eine Aufnahmeeinstellung mit neutralem Kontrast und bis zu 12 Blendenstufen Dynamikumfang bei ISO 400. Damit lassen sich während der Postproduktion beim Grading selbst kleinste Details in besonders hellen und dunklen Bildbereichen hervorheben. FullHD-Aufzeichnungen sind mit maximal 60 fps möglich, für FullHD-Zeitlupen eignet sich die EOS R also nicht. Bei 4K-Videos beschneidet Canon allerdings den Aufzeichnungsbereich im Sensor, d. h. die EOS R beherrscht kein so genanntes Full-Frame-Readout (bei dem der gesamte Sensor ausgelesen wird). Canon begründet dies damit, dass nur so die thermische Stabilität bei 4K-Aufzeichnungen mit dem relativ kleinen Gehäuse möglich sind. Für den Anwender bedeutet das eine scheinbare Brennweitenverlängerung um einen Faktor von ca. 1,7. Rechnerisch sind es eigentlich sogar 1,8. Die Differenz daraus, so liest an verschiedenen Stellen im Internet, könnte aus der elektronischen Bildstabilisaton herrühren. Diese macht allerdings wiederum Ausschnitt, sodass nach unserem Verständnis sogar effektiv 1,8 wahrscheinlich sind.

Die Speicherung erfolgt übrigens ganz normal auf einer einzelnen SD-Speicherkarte, d. h. die EOS R hat nur einen einzigen Speicherplatz (wie die Nikon Z 7, wofür Nikon derzeit einige Kritik einstecken muss). Die Stromversorgung erfolgt über den bereits bekannten Akku LP-E6N. Nur dieser Typ kann per USB-C in der Kamera geladen werden, wofür allerdings ein USB-Netzteil mit 3 A Strom bei 5 V erforderlich ist, was auf viele "Handy-Ladegeräte" nicht zutrifft. Der ältere Typ LP-E6 (ohne "N") geht auch, kann aber nicht in der Kamera geladen werden. Die Akkulaufzeit gibt Canon mit 370 Aufnahmen an.

Der elektronische Sucher mit 3,69 Millionen Bildpunkten soll auch bei Dunkelheit die Motive noch farbgetreu darstellen und bietet natürlich 100 Prozent Bildfeldabdeckung. Der Vergrößerungsfaktur beträgt 0,76-fach. Schön groß ist bei der EOS R auch der frei dreh- und schwenkbar gelagerte Touchscreen: bei 3,2 Zoll Bilddiagonale (acht Zentimeter) bietet er feine 2,1 Millionen Bildpunkte Auflösung.

Einiges Neues bietet die EOS R bei der Bedienung. Rechts unterhalb des Suchers, noch recht gut mit dem Daumen erreichbar, gibt es ein Touch-Panel, dem verschiedene Funktionen zugeordnet werden können. In unserem separaten Blog-Artikel zeigt digitalkamra.de-Redakteur Benjamin Kirchheim, wie das funktioniert. Neu ist auch eine weitere Aufnahmefunktion, die sich Fv nennt, das "F" steht hierbei für "Flexible", das "v" wie bei Canon üblich für "variable". Ausgewählt wird sie über die Mode-Taste (ein klassisches Programmwählrad hat die EOS R nicht) und ist dort zwischen Vollautomatik und Programmautomatik platziert. Der Modus ermögliche es schnell einen oder mehrere der Parameter Blende, Belichtungszeit, Belichtungskorrektur oder ISO-Empfindlichkeit manuell einzustellen (auch dies demonstriert Benjamin Kirchheim in einem separaten Blog-Artikel). Die Einstellung erfolgt dabei übrigens über die verschiedenen Drehregler, die optische Rückmeldung erfolgt unter anderem auf dem großen Monochrom-Display auf der Oberseite der Kamera.

Neu im Bedienkonzept des EOS-R-Systems ist auch ein flexibel nutzbarer Einstellring am Objektiv. Dieser kann (wie übrigens bei Nikon bei den neuen Z-Objektiven) mit einer beliebigen Funktion belegt werden, klassischerweise natürlich der Blende, aber bei Bedarf genauso z. B. die Belichtungszeit oder die Lichtempfindlichkeit (ISO-Zahl) der Kamera oder anderes. Passend zu der neuen EOS R Systemkamera wurden gleich vier RF-Objektive vorgestellt, die alle auch noch dieses Jahr lieferbar sein werden. 

Fortsetzung auf Seite 2

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