OEM-/ODM-Produkte
Dem Technologie-Tabu auf der Spur
2007-10-08 Dass heutzutage fast alles in China oder in anderen fernöstlichen Ländern gefertigt wird, ist kein Geheimnis mehr. Besonders seit den aktuellen Schlagzeilen aus den USA, wo Millionen von Spielzeugen wegen bleihaltiger Farbe aus dem Verkehr gezogen werden mussten, kommen diese internationalen Verflechtungen von OEM- und ODM-Firmen immer mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Auch in der Fotobranche ist diese Form der internationalen Arbeitsteilung recht verbreitet. Aus wohlverständlichen Marketing-Gründen ist das Thema allerdings vielfach tabu, sowohl bei Auftraggebern wie auch bei Auftragsfertigern. Unser Fernost-Korrespondent versucht dennoch mit aller gebotenen Diskretion etwas Licht in das Phänomen zu bringen. (Wilfried Bittner)
"ODM" steht für Original Design Manufacturer, also Firmen, die Produkte selbst entwickeln und herstellen, dann aber meistens unter anderem Namen auf den Markt bringen. Bei "OEM" ist die Begriffserklärung etwas verwirrend: OEM steht für Original Equipment Manufacturer (Originalausrüstungshersteller), also für den ursprünglichen (Marken-)Hersteller eines Produktes. Mittlerweile wird der Begriff jedoch sowohl für den namenlosen Hersteller als auch für den Abnehmer mit dem guten Markennamen verwendet. In der Photobranche wird aber mit OEM weiterhin die praktisch namenlose Firma gemeint, die ihre Produkte an große Marken verkauft und auf diese Weise (unter deren Label) auf den Markt bringt.
Es gibt vielerlei Gründe für eine Markenfirma, mit OEM- und ODM-Partnern zusammenzuarbeiten. Einmal geht es um die Erweiterung der Produktpalette, entweder nach oben, wenn es sich um Technologien handelt, die im Hause nicht vorhanden sind, oder nach unten, wenn man sich lieber auf das Kerngeschäft – wie z. B. Spiegelreflexkameras – im Hause konzentrieren will, und die billigen Sucherkameras auswärts (ggf. konstruieren und) fertigen lässt. Um ein paar Namen zu nennen: Auf japanischem Boden ist Sanyo wohl der größte OEM-Hersteller von Digitalkameras, und außerhalb Japans sind es die vier großen Taiwanesen Foxconn (fusioniert mit Premier), Asia Optical, Ability und Altek mit ihren Fabriken in China.
Kamerazubehör, wie z. B. Taschen, Schulterriemen, Elektronenblitzgeräte, Ladeteile, Netzgeräte und Kabel werden fast immer von OEM- oder ODM-Firmen bezogen. Bei den Netzteilen ergibt sich dadurch auch noch der Vorteil, dass die langwierigen Zertifikationsprozesse für die diversen Sicherheitsvorschriften bereits abgeschlossen sind. Bei den Blitzgeräten hat mittlerweile jedes Kamerasystem der verschiedenen Marken seine eigenen Schnittstellen zum Gehäuse. Firmen wie Nissin oder Sunpak arbeiten dann mit den Kameraherstellern zusammen und entwickeln Geräte, die voll in die jeweiligen Systeme integriert sind.
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Ein sehr markantes 10-17mm-Fisheye-Zoom: Links das Original von Tokina, daneben die OEM-Varianten für Pentax und Samsung. Das Samsung-Objektiv ziert sich auch noch mit dem Schriftzug "D-Xenogon" von Schneider-Kreuznach |
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Ein ähnlich markantes 11-18mm-Weitwinkel-Zoom: Links das Original von Tamron, daneben die OEM-Variante für Sony |
Diese "offizielle", wenngleich nicht publizierte bzw. beworbene Zusammenarbeit mit den Kameraherstellern hat für die Dritthersteller von Objektiven übrigens einen wichtigen Vorteil: Anfangs mussten sie den Objektivanschluss nachbauen, ohne aber die technischen Unterlagen zu haben. Vereinfacht gesagt mussten sie eine große Zahl von Kameragehäusen kaufen und ausprobieren, ob ihre nachgebauten Objektive auch wirklich an die entsprechenden Modelle passten. Da aber die Kameras aus dem Laden auch Fertigungstoleranzen haben, wussten sie nie so genau, wo eigentlich das Sollmaß liegt. Bei einer geregelten Zusammenarbeit mit den Kameraherstellern bekommen sie zumindest einen kleinen Einblick in die technischen Unterlagen sowie Zugriff auf geeichte Grenzmaßlehren. Dass es ohne die technischen Unterlagen zu peinlichen Problemen mit der Kompatibilität kommen kann, zeigte sich bei der Einführung der Nikon D200. Da musste einer der Dritthersteller die bereits ausgelieferten Objektive kostenlos beim Kundendienst nachbessern, damit die elektronische Funktion des AF-Locks funktionierte.
Der japanische Hersteller Cosina hatte vor vielen Jahren eine eigene Marke für Spiegelreflexkameras, aber sie schaffte nicht den Sprung ins elektronische Zeitalter der Autofokuskameras. Cosina machte aus der Not eine Tugend und spezialisiert sich nun auf "Retro", wie z. B. die "Voigtländer"-Sucherkameras und die neuen Carl Zeiss ZF Objektive für Nikonanschluss. Bei Letzteren gibt es daher verständlicherweise keinen Autofokus und keine CPU im Objektiv. Cosina half auch Epson mit der R-D1, und die Firma baut weiterhin eine der beiden letzten Nikon Spiegelreflexkameras für Film, das Modell FM10 (die andere ist das Prunkstück F6, das Nikon aber selbst baut).
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Solide alte Mechanik von Cosina: Die Nikon FM10 und die Carl Zeiss ZF Objektivreihe, wie hier das Planar 1,4/85mm ZF |
Die Trennung von OEM-Fabriken und OEM-Kunden ist nicht immer so klar. Es gibt etliche Fälle, wo eine Firma beide Rollen spielt. So produzierte z. B. eine amerikanische Firma mit Fabrik in China Einwegkameras für Kodak oder Konica Minolta auf OEM-Basis, aber zur gleichen Zeit kaufte diese Firma Digitalkameras aus Taiwan für den Vertrieb unter dem eigenen, wenn auch bescheidenen Markennamen (Namen sind der Redaktion bekannt). Ein umgekehrter Fall ist Rollei: Auf der einen Seite werden für Sinar hochwertige digitale Studiokameras gefertigt, auf der anderen Seite werden vergleichsweise billige Digitalkameras von taiwanesischen OEM-Herstellern zugekauft.
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Links eine Digitalkamera, die Rollei von einem taiwanesischen Hersteller bezieht, und rechts die demnächst auf den Markt kommende Sinar Hy6, die bei Rollei gefertigt wird |
Ein anderer wichtiger Grund für die Markenfirmen, mit OEM/ODM-Partnern zusammenzuarbeiten, ist ein rein wirtschaftlicher: Erstens profitiert man von den Billiglohnstandorten der Partner, und zweitens kann man die Liefermengen leichter an den Markt anpassen, ohne dabei Überkapazitäten in der eigenen Fabrik aufzubauen. Ein weiterer logischer Grund für den Gang zum ODM-Hersteller ist der Fall, wenn z. B. ein traditioneller Kamerahersteller in eine völlig neue Produktsparte einsteigen will, etwa Multimedia Players. Hier kann der Kamerahersteller dann nur den guten Namen und das Vertriebsnetz beisteuern.
Bei der Zusammenarbeit mit den Markenfirmen gibt es auch für die OEM/ODM-Firmen einige Vorteile. Allen voran ist es natürlich der Absatz in großen Stückzahlen über die Vertriebsnetze der Markenfirmen, wobei die Markenfirmen auch die hohen Werbekosten tragen. Der nächste Vorteil ist die finanzielle Hilfe; oft ist es für eine kleine Firma zu teuer, ein aufwändiges neues Produkt zu entwickeln, die Werkzeuge bauen zu lassen und die teuren Bauteile in der Mindeststückzahl auf Lager zu legen. Da kommt dann die Markenfirma mit ins Spiel und finanziert die teuren Werkzeuge oder die Masken für maßgeschneiderte Elektronik. Andererseits sind kleine OEM-Firmen oft auch sehr scharf darauf, mit renommierten Firmen zusammenzuarbeiten. Wenn z. B. Carl Zeiss eine Anfrage selbst über eine lächerlich kleine Anzahl von nur ein paar hundert Linsenbaugruppen herausschickt, die sehr hohe Anforderungen stellt und praktisch keinen Gewinn verspricht, dann reißen sich trotzdem viele OEMs darum. Es geht hier dann rein um den Prestigegewinn. Die Bauteile werden dann gut sichtbar in den Vitrinen der Besprechungszimmer oder in den Firmenbroschüren zur Schau gestellt. Das soll künftigen Kunden (potentiellen Auftraggebern) bei Verhandlungen mehr Respekt einflößen. So etwas nützen auf der anderen Seite wiederum die großen Markenfirmen wie Nikon, Apple oder Nokia natürlich gerne aus, um die Preise zu drücken.
Abgesehen von dem Prestige gewinnen die OEM-Firmen so aber auch Know-how. Von den großen und erfahrenen Firmen lernen sie neue Technologien. Sie werden auch dazu gezwungen, ein straffes System für die Qualitätssicherung einzuführen, was letztendlich auch der eigenen Fertigung zu Gute kommt. Und sie müssen sich auch die diversen Zertifikationen für internationale Qualitätsnormen beschaffen, wie z. B. ISO9000 oder für SA8000 (Social Accountability für menschliche Arbeitsbedingungen) – auf die lange Sicht gesehen, ist das immer von Vorteil für die OEM-Auftragnehmer.
Auch kann es für kleine Firmen schwer sein, an begehrte Bauteile von großen Herstellern zu kommen, die wollen oft nicht einmal mit so "kleinen Würstchen" reden. Wenn nun aber so eine kleine OEM-Firma ein Projekt für eine renommierte Markenfirma vorzuweisen hat und etwa den neuesten Sensor von Sony braucht, dann klopfen eben beide zusammen bei Sony an – und schon kriegen sie ihre Bauteile. Wenn das erst einmal eingelenkt ist, dann kann die kleine Firme diese bestehenden guten Kontakte auch für eigene Projekte nutzen.
Aber es gibt natürlich auch Nachteile bei der OEM/ODM-Praxis. Wie bereits zu Anfang erwähnt, sind das in erster Linie Qualitätsprobleme. Es ist ganz klar: Wenn etwas so wenig wie möglich kosten soll, dann muss ja irgendwo ein Kompromiss gemacht werden. Um die Produktqualität unter Kontrolle zu halten, stationieren die Markenfirmen daher oft ganzzeitlich ihre eigenen Qualitätsingenieure vor Ort. So arbeiten dann z. B japanische Kontrolleure täglich in einer chinesischen Fabrik und überprüfen die statistischen Daten, kontrollieren Messvorrichtungen und machen Stichproben. Wenn sie clever sind, heuern sie sich auch noch ihre eigenen Assistenten an, die der Landessprache mächtig sind, um wenigstens ein bisschen von dem zu erfahren, was man ihnen am liebsten vorenthalten würde. Aber zur guten Produktqualität gehören beide Seiten. Wie sich im Falle des US-Spielzeugherstellers Mattel herausgestellt hat, war das anfängliche Fingerzeigen in Richtung China mit der folgenden Hetze in den Medien sehr unfair, und Mattel fand es daher angebracht, sich öffentlich bei seinen amerikanischen Kunden sowie beim chinesischen Volk zu entschuldigen, denn 85 % der Produkte mussten wegen Konstruktionsmängeln zurückgerufen werden.Ein weiteres Problem ist die Geheimhaltung. Viele OEM-Firmen sind für mehrere, auch konkurrierende OEM-Kunden tätig. Die brandneuen und noch hochgeheimen Produkte liegen bei ihnen schon Monate vor der Markteinführung offen herum. Da ist es natürlich schwierig, dem Konkurrenten Einblick zu verwehren. Einige OEM-Firmen haben das Problem so gelöst, dass sie die OEM-Kunden räumlich so weit wie möglich trennen ("Hier auf der linken Seite sehen Sie unser Pentax-Gebäude, und hier ist die Ricoh-Halle"). Aber trotz solcher Maßnahmen ist Geheimhaltung schwierig; die Belegschaft trifft sich im Bus und in der Kantine, und manche teure Fertigungsanlage, wie z. B. die Galvanik, muss gemeinsam für alle Fabrikate benützt werden. Außerdem kann es auch zu peinlichen Missgeschicken kommen, wenn ein E-Mail versehentlich an den falschen "Tony" geschickt wird, der aber unglücklicherweise beim Konkurrenten arbeitet. Oder der häufigere Fall, wenn die Ingenieure der Firma B in das Besprechungszimmer kommen, und auf dem Whiteboard (einer Metalltafel mit Kopiervorrichtung) stehen noch vertrauliche Notizen von der Firma A. Schließlich kann es auch bei der Verteilung von knappen Ressourcen zu Konflikten kommen. Das gilt sowohl für Fertigungskapazitäten als auch für die guten Fachkräfte, um brenzlige Probleme in der Fertigung zu lösen. Wenn es eng hergeht, dann zieht meistens der kleinere OEM-Kunde den Kürzeren.
OEM-Hersteller werden manchmal auch Opfer der "X-Mart"-Falle. Die folgt diesem Schema: Zuerst scheint es wie ein Sechser im Lotto, wenn eine kleine Fabrik einen großen Auftrag für eine der globalen Handelsketten landet. Die Bänder laufen rund um die Uhr, es wird in neue Maschinen investiert, es werden mehr Arbeiter angeheuert. Die kleine Firma wächst zu einer mittelgroßen Firma. Plötzlich aber bleiben die Aufträge von "X-Mart" aus. Die Bänder sind nur noch schwach ausgelastet, aber die Schulden müssen pünktlich jeden Monat zurückgezahlt werden. Nach einer bestimmten Zeit im Schwitzkasten wird die OEM-Firma dann von dem alten Kunden "gerettet", d. h. es kommen wieder Aufträge herein, aber nunmehr zu niedrigeren Preisen. Es bleibt nichts mehr für einen Gewinn übrig, aber man hat dann keine Wahl.
ODM-Firmen haben beim Design von neuen Geräten nicht zu viel Spielraum: Eine Kamera darf kein eigenartiges Aussehen oder Layout haben. Am besten ist ein generisches Design. Dann fällt es nicht allzu leicht auf, wenn zwei der baugleichen Kameras nebeneinander im Schaufenster stehen, aber verschiedene Markennamen tragen. Hat eine Kamera jedoch ein sehr markantes Konstruktionsmerkmal, dann kann auch eine neue Frontkappe oder ein anderer Griff nicht darüber hinwegtäuschen, dass es baugleiche Geräte sind. Wenn die Kamera im Allgemeinen so aussieht, wie eben die meisten Kameras halt so aussehen, dann lässt sich das Modell mit kleinen kosmetischen Variationen glatt unter einem halben Dutzend verschiedener Marken ("Private Label") auf dem Markt bringen, und es fällt nicht auf.
Das gilt natürlich nicht nur für die Fotobranche. Schon seit langem liest man in den Vergleichstabellen der Stiftung Warentest öfters die Hinweise "baugleich mit Gerät xxx", seien es nun Waschmaschinen, Videorecorder oder MP3-Player. Ein einziger namenloser Hersteller fertigt die Waren, und viele verschiedene Firmen verkaufen sie unter ihrer eigenen Marke, oft mit erheblichen Preisunterschieden. Der Trend ist wachsend: Besonders im Zeitalter der Globalisierung kommt es immer mehr zu dieser Arbeitsteilung und Spezialisierung durch OEM- und ODM-Firmen, und man kann immer seltener sicher sein, wer genau ein Produkt tatsächlich gemacht hat.