Wie alles begann

Die Geschichte der Digitalfotografie (Teil 1)

2002-12-24 Vor gut sechs Jahren begann die Arbeit an digitalkamera.de zunächst als "Marktübersicht kompakter Digitalkameras". Seitdem berichten wir kontinuierlich über neue und interessante digitale Fotokameras. Doch die Anfänge der digitalen bzw. elektronischen Standbildfotografie gehen noch wesentlich weiter zurück. Die Vorgeschichte der Digitalfotografie begann vor über zwei Jahrzehnten! Und wie manch gute Geschichte fängt auch unsere mit "Es war einmal ..." an.  (Yvan Boeres)

   Sony Mavica mit Zubehör [Foto: Sony]
 

Dennoch war das Mavica-System eine Revolution. Es war nämlich kein chemischer Prozess mehr notwendig, um die Bilder zu entwickeln. Die Mavica war als Spiegelreflex-Kamera aufgebaut und besaß ein Wechselobjektiv. Ursprünglich umfasste das Mavica-Wechselobjektiv-System drei Objektive: je eine 25 mm/F2.0 und eine 50 mm/F1.4 Festbrennweite sowie ein 16-65 mm/F1.4-Zoom. Ein 10 x 12 mm kleiner CCD-Chip mit einer Empfindlichkeit von ISO 200 und einer Auflösung von 570 x 490 Pixel war das elektronische Herzstück der ersten Mavica. Die Kamera bot nur eine feste Verschlusszeit (nämlich 1/60 Sekunde) an; die Blende musste den Lichtverhältnissen entsprechend manuell eingestellt werden, wozu die Kamera eine visuelle Hilfe anbot. Bis zu 50 Farbbilder speicherte die Mavica auf die "Mavipak" getauften Disketten.

Canon RC-701 [Foto: Canon]
  
  

Obwohl die Ur-Mavica ein Prototyp war, erahnten viele Hersteller das in diesem System steckende Potential und so sah man in den darauf folgenden Jahren unzählige Prototypen so genannter Still Video Cameras das Licht der Welt erblicken. In einem Feldversuch erprobte Canon anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles die drahtlose Übertragung von Bildern mit dem eigenen Still Video-System. Diese Kamera, die ein paar Jahre später als Canon RC-701 auf den Markt kommen sollte, wurde dazu benutzt, Bilder von den Spielen mittels eines Transmitters über die Telefonleitung an die japanische Tageszeitung Yomiuri Shimbun zu senden. Das Experiment war erfolgreich. Innerhalb von weniger als 30 Minuten gelangten die Bilder über den Pazifik in die Redaktionsräume von Yomiuri Shimbun und wurden in der nächsten Ausgabe der Zeitung gedruckt. Zwei Jahre später (Juli 1986) war die RC-701 marktreif. Mit einem Preis von 390.000 Yen (damals umgerechnet etwa 3.900 DM oder rund 1.950 EUR) für die Kamera samt 11-66 mm/F1.2-Zoom richtete sich die RC-701 hauptsächlich an den professionellen Markt – speziell dem der Zeitungs-Presse. Ein komplettes System, bestehend aus der Kamera selbst, einem Abspielgerät, einem Drucker (RP-601), einem Laminiergerät und dem Transmitter (RT-971), kostete fast zehn mal soviel. Der 2/3"-CCD-Chip der RC-701 (RC stand für Realtime Camera) hatte eine Empfindlichkeit, die ISO 200 entsprach und eine Auflösung von lediglich 187.200 Pixel. Natürlich wirkt heutzutage solch eine Auflösung lächerlich, doch für das grobe Raster einer Tageszeitung reichte das für einen Zweispalter in akzeptabler Qualität. Die RC-701 hatte einen Schwingspiegel wie bei gewöhnlichen Kleinbild-Spiegelrefkelx-Kameras, mehrere Programmautomatiken, eine Blendenautomatik, einen schnellen Serienbildmodus mit bis zu 10 Bildern pro Sekunde und Verschlusszeiten von 1/2.000 bis 1/8 Sekunde. Der Strom kam aus einem proprietären Nickel-Cadmium-Akku. Wem die vier speziell für das System entwickelten Objektive (darunter das bereits erwähnte 11-66 mm/F1.2-Zoom, ein 6 mm/F1.6-Festbrennweiten-Objektiv und 50-150 mm-Zoom) nicht reichten, konnte mit einem speziellen Adapter (LA-RC) die KB-Wechselobjektive aus Canons FD-Serie an der Kamera montieren. Gespeichert wurden die Bilder – wie schon bei der Sony Mavica – auf 2 Zoll großen Disketten. Die RC-701 von Canon war somit die erste tatsächlich auf dem Markt erhältliche Still-Video-Kamera.

Canons Erzrivale Nikon ließ nicht lange auf sich warten. Schon 1985 hatte Nikon auf der Photokina seinen Prototypen einer professionellen Still Video-Kamera, die Nikon SVC (für "Still Video Camera") vorgestellt. Die Nikon SVC hatte (wie die Canon RC-701) einen 2/3"-CCD, jedoch mit 300.000 Pixel eine erheblich höhere Auflösung. Die SVC hatte gewisse Ähnlichkeiten mit dem Kleinbild-Spiegelreflex-Klassiker von Nikon, der F801, und kam mit zwei kameraspezifischen Objektiven (jeweils Festbrennweiten mit 6 mm/F1.6 bzw. 40 mm/F1.4). Auch die Nikon SVC bediente sich 2 Zoll großer Disketten, um ihre Bilder zu speichern. 1988 folgte dann Nikons erste auf dem Markt erhältliche Still-Video-Kamera, die QV-1000C. Während die Canon RC-701 im Set oder einzeln erworben werden konnte, gab es die Nikon QV-1000C ausschließlich im Set, zusammen mit zwei Zoomobjektiven (ein QV Nikkor 10-40 mm/F1.4 und ein QV Nikkor 11-120 mm/F2), dem QV-1010T-Transmitter, einem Akku und dem dazu passenden Ladegerät zu kaufen. Allein schon wegen des horrenden Preises (über zwei Millionen Yen – damals umgerechnet ca. 20.000 DM bzw. über 10.000 EUR) verkauften sich insgesamt nur rund 100 Exemplare des QV-1000C-Sets. Im Gegensatz zur Canon RC-701, die schon Farbbilder machen konnte, nahm der 2/3"-CCD-Chip  mit 380.000 Pixel nur Graustufen-Bilder auf. Immerhin besaß die QV-1000C damals schon variable Lichtempfindlichkeitsstufen von ISO 400, 800 und 1.600. Der Brennweitenverlängerungsfaktor der QV-1000C vervierfachte die ursprüngliche Brennweite des Objektivs. So entsprach das 11-120 mm-Zoom einem 44-480 mm-Zoom bei Kleinbild. Wer mit dem QM-100-Adapter Nikkor F-Objektive an die QV-1000C anschließen wollte, musste ebenfalls mit einer Vervierfachung der nominellen Brennweite rechnen. Eine kleine Anekdote am Rande: Die meisten Zeitungen, die Still-Video-Kameras einsetzten, schrieben als Bilderzeile "mit Still-Video-Kamera aufgenommen von …". Damit wollte man dem Leser verdeutlichen, dass nicht der Fotograf oder die Druckerei an der dürftigen Bildqualität Schuld waren.

In der Zwischenzeit kamen noch weitere Still-Video-Kameras auf den Markt oder wurden als Prototyp auf Messen ausgestellt. Darunter auch die Sony Mavica MVC-A7AF (1986), die Sony ProMavica MVC-2000 (1986), die mit einem 600.000 Pixel-Farb-CCD bestückte RC-701-Nachfolgerin RC-760 von Canon (1987) oder die Still Video-Rückwände SB-70S und SB-90S für Minoltas Kleinbild-AF-Spiegelreflexkameras 7000AF und 9000AF (1987). Richtig salonfähig wurde Still Video erst mit der 1988 von Canon eingeführten ION-Serie; die erste für den Massenmarkt bestimmte Still-Video-Kamera-Serie. Kodak DCS-100 auf Nikon-F3-Basis und mit DSU-Einheit [Foto: Kodak]Die ION-Serie verkaufte sich verhältnismäßig gut und auch heute noch sind zahlreiche gebrauchte ION-Kameras auf Elektronik-Flohmärkten oder auf Online-Auktionsplattformen wie eBay zu finden. Doch das digitale Zeitalter hatte noch nicht richtig begonnen, da das Still Video-System die Bilder immer noch als analoges Videosignal auf Disketten speicherte. Ein Durchbruch kam von der Firma Fujifilm, die statt Disketten erstmals Speicherkarten einsetzte, auch wenn die Bilder weiterhin in analoger Form als farbige Video-Standbilder auf die Speicherkarte landeten. Weitere Vorboten des digitalen Zeitalters waren die Entwicklung des JPEG-Bildkomprimierungsstandards (1988) sowie PhotoMac, das erste Bildverarbeitungsprogramm für Macintosh-Rechner (PCs waren 1988 in Sachen Grafik den Macs noch weit unterlegen).

1990 fiel dann der wirkliche Startschuss für die digitale Fotografie: Kodak stellte die DCS-100 vor. Die DCS-100 war eine modifizierte Nikon F3, bei der fast die gesamte Elektronik (inkl. eines S/W-Monitors zur Wiedergabe der aufgenommenen Bilder) in einem fünf Kilo schweren Umhängepack untergebracht war. Der DSU-Einheit (für "Digital Storage Unit") getaufte Umhängepack war per Kabel mit einer speziellen Kamerarückwand verbunden, in der ein 1,3-Megapixel-CCD den Platz des Filmes einnahm. Gespeichert wurden die Bilder auf einer in der DSU-Einheit eingebauten 200 MByte großen Festplatte. Die DCS-100 kam 1991 auf den Markt. Bei einem Verkaufspreis von umgerechnet rund 25.000 EUR war die DCS-100 für Normalsterbliche schier unbezahlbar. Doch noch im selben Jahr setzte die Digitalfotografie auch zum "Ansturm auf den Massenmarkt" an. Der Impuls dafür kam von Logitech. Der Hersteller von Computermäusen brachte ein weiteres PC-Zubehör-Produkt auf den Markt, den ersten Fotoman. Der Logitech Fotoman konnte für seine Zeit erstaunlich viel. So wurde das Gerät schon damals mit einer Docking-Station geliefert, die zum Aufladen der kamerainternen Batterien (zwei Nickel-Cadmium-Akkus im AA/Mignon-Format) und zur Bilddatenübertragung über die serielle RS-232C-Schnittstelle auf einen PC diente. Der Fotoman war auch sehr einfach zu bedienen. Das einzige Bedienelement an der Kamera war nämlich der Auslöser. Logitech Fotoman mit Zubehör [Foto: MediaNord]Die Kamera besaß weder einen Ein/Aus-Schalter noch ein LC-Display oder gar einen LCD-Monitor. Die Auslöseverzögerung war gering, denn Zeit raubende Vorgänge wie das Fokussieren oder der Weißabgleich entfielen. Das Objektiv hatte eine Festbrennweite (entspr. 55 mm bei KB) mit Fixfokus. Das Objektiv besaß sogar ein Filtergewinde, an dem der zum Lieferumfang gehörende ND8-Graufilter und ein optional erhältlicher Weitwinkel-Konverter aufgeschraubt werden konnten. Die Belichtungsmessung und -steuerung erfolgte automatisch; der eingebaute Miniaturblitz schaltete sich automatisch zu, sobald es zu dunkel wurde. Der 1/3"-CCD des Fotoman lieferte Graustufenbilder in einer Auflösung von 376 x 240 Pixel – aber mit einem Tonwertumfang der noch heutzutage seinesgleichen sucht. Selbst Firmware-Updates kannte der Fotoman schon. Über das Datenkabel konnten neuere Versionen des Kamera-Betriebssystems aufgespielt werden; bis zu 32 Bilder im herstellerspezifischen Dateiformat passten ins 4 MByte große DRAM, die während bzw. nach der Übertragung auf den PC mit der mitgelieferten Software ins JPEG- oder PICT-Format umgewandelt wurden. Zwei Jahre später kam eine erweiterte Version des Fotoman, der Fotoman Plus, auf den Markt, der alternativ zu Graustufenbildern auch 24Bit-Farbbilder in einer Auflösung von 496 x 358 Pixel aufnahm.

In der Zeit begann eigentlich die Ära der "echten" Digitalfotografie und die elektronische Bildbearbeitung erschloss sich größeren Benutzergruppen. 1990 stellte Adobe das wohl noch heute bekannteste Bildverarbeitungsprogramm Photoshop in seiner ersten Version vor. 1991 wiederholte Fujifilm den Coup mit den Speicherkarten, diesmal aber mit einer echten Digitalkamera – der DS-100. 1992 brachte Logitech den zuvor erwähnte Logitech Fotoman Plus auf den Markt. 1994 kamen weitere Digitalkameras, sowohl in bezahlbaren Preisregionen als auch für den professionellen Markt, heraus. Zu den bekanntesten zählten die Kodak DC40 und DC50, die Apple QuickTake 150 sowie die Casio QV-10A. Im Jahrestakt folgten immer mehr Digitalkameras mit immer mehr Funktionen und Ausstattungsmerkmalen. Dies war auch die Zeit, in der der digitalkamera.de-Gründer Jan-Markus Rupprecht zum ersten Mal in Kontakt mit Digitalkameras kam und die Idee zum digitalkamera.de-Projekt hatte. Bereits Mitte 1996 wurden die ersten Daten zusammengetragen für ein Projekt, das im März 1997 als digitalkamera.de das Licht der Welt erblickte. Mehr über die Geschichte von digitalkamera.de und die weiteren Meilensteine unter den Digitalkameras lesen Sie demnächst in einem weiteren Artikel.

Wir danken den Firmen Canon, Nikon und Sony für die freundliche Unterstützung bei der Beschaffung von Informationen und Bildmaterial für diesen Artikel.

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