Ein Nachruf
Nikon 1 System wird eingestellt
Seite 2 von 2, vom 2017-08-01 (Autor: Jan-Markus Rupprecht)Zur Seite 1 wechseln
Das letzte Modell, das in der Nikon 1 Serie auf den Markt kam, war 2015 die Nikon 1 J5. Sie ist technisch natürlich auch das fortschrittlichstes Modell der Serie. Ihr Sensor schließt mit 20 Megapixeln zur Auflösung der seit einigen Jahren in Kompaktkameras erhältlichen Sony-Sensoren auf. Vom Design her verließ die J5 den Pfad ihrer geometrisch reduzierten Vorgängermodelle und sah mit kleinem Handgriff und Belederung der V3 sehr ähnlich. Die J5 ist offenbar die einzige Nikon-1-System-Kamera, die Nikon noch direkt aus dem europäischen Zentrallager liefern kann, die AW1 und die V3 sind seitens Nikon schon durchverkauft und nur noch bei einigen wenigen Händlern zu bekommen.
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Das letzte Modell des Nikon-1-Systems, die Nikon 1 J5, kam im Mai 2016 auf den Markt. Ähnlich wie bei der 1 V3 setzte Nikon nun auf ein eher klassisches Kameradesign in den Farben Silber (mit schwarzer oder weißer Belederung) oder Schwarz. [Foto: Nikon]
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Die Nikon 1 J5, hier in Schwarz mit dem 10-30 mm Motorzoom, hatte 20,8 Megapixel, also etwas mehr als der Sony-Sensor in den sonst üblichen 1-Zoll-Sensor-Kompaktkameras (20,1 Megapixel). [Foto: Nikon]
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Der Monitor der Nikon 1 J5 ist nach unten und oben klappbar und kann für Selbstportäts sogar komplett um 180 Grad nach oben geschwenkt werden. [Foto: Nikon]
Insgesamt 13 Objektive kamen seit 2011 auf den Markt, darunter zwei wasserdichte Versionen speziell für die Nikon 1 AW1. Eigentlich war für alle gängigen Anwendungen etwas dabei. Durch den recht kleinen 1-Zoll-Sensor ergibt sich ein Kleinbild-Umrechnungsfaktor von 2,7. Ein Standard-Zoom 10-30mm beispielsweise entspricht also einer Kleinbildbrennweite von 27 bis 81 mm. Im Nikon-1-Objektiv-Angebot finden sich auch zwei Motorzoom-Objektive, eines ist optimiert für Video-Anwendungen, das andere ist für eine besonders kleine Baugröße ein Powerdrive-Modell. Mit dem Nikon-1-Mount VR 70-300 mm kam 2014 ein 4,3-fach-Zoom-Objektiv auf den Markt, das an einer Nikon-1-Kamera einen spektakulären Brennweitenbereich von 189 bis 810 mm hat. Extrem viel Tele bei nur 550 Gramm Gewicht dank des kleinen Bildsensors im 1-Zoll-Format. Wer seiner Nikon-1-Kamera noch das eine oder andere Objektiv spendieren möchte, sollte damit nicht zu lange warten. Noch ist die Versorgungslage bei den Objektiven gut (auch direkt seitens Nikon), aber das muss nicht so bleiben.
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Mit der Nikon 1 J3 bekam Anfang 2013 auch die J-Serie den 14-Megapixel-Sensor. Zudem gab es als neue Farbe ein edles Beige. Schrille Farben wie Pink oder Orange gab es nicht mehr, weiterhin aber das Weinrot. [Foto: Nikon]
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Mit der Nikon 1 J3 gab es auch ein neues 10-fach-Motorzoom-Objektiv (10-100 mm 4-5.6), das deutlich schlanker und leichter war als das zum Start des Nikon-1-Systems vorgestellte 10-fach-Zoom. [Foto: Nikon]
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Unterhalb der J-Modelle platzierte Nikon die S-Modelle. Die zeitgleich mit der 1 J3 vorgestellte 1 S1 (hier mit 1-Mount 11-27,5 mm) hatte den 10-Megapixel-Sensor früherer Nikon-1-Kameras. Den S-Kameras waren ab sofort die "schrägen" Farben vorbehalten. [Foto: Nikon]
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Die Nikon 1 S1 gab es auch wieder in Rosa ... [Foto: Nikon]
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... und auch wieder in leuchtendem Rot wie seinerzeit die Nikon 1 J1. [Foto: Nikon]
Warum hat das Nikon 1 System nicht so wie vom Hersteller gewünscht funktioniert? Es sind sicherlich mehrere Faktoren, die zusammen dazu geführt haben, dass das Nikon-1-System nicht durchgestartet ist und nun ausläuft.
- Die Erwartung, die die Welt, allen voran natürlich die treuen Nikon-Kunden, an ein spiegelloses Kamerasystem aus dem Hause Nikon hatten, konnte das Nikon-1-System nicht erfüllen. Wahrscheinlich war die Entscheidung zugunsten des kleinen Sensorformats auch von der Angst getrieben, den hauseigenen Spiegelreflexkameras Konkurrenz zu machen. Aber letztere setzen in der Nikon-Gemeinde nun einmal den Qualitätsmaßstab, unter den viele Nikon-Anwender nicht gehen möchten. Anders gesagt: ein spiegelloses System darf nicht schlechter sein als eines mit Spiegel.
- Die 1-Zoll-Sensoren, die übrigens von der Firma Aptina Imaging (später gekauft von ON Semiconductor) kamen, waren im Herbst 2011 nicht annähernd so gut wie die Sensoren von Sony Semiconductor, die Sony ein dreiviertel Jahr später in seiner ersten 1-Zoll-Kompaktkamera an den Start brachte. Zudem beherrschte Sony die Bildaufbereitung mit den kleinen Sensoren besser als Nikon. Die RX100-Modelle als Kompaktkameras mussten sich zudem stets mit Kompaktkameras messen (und gewannen), während die Nikon-1-Kameras mit Systemkameras verglichen wurden (und einen schweren Stand hatten).
- Die beiden ersten Kameras im Nikon 1 System hatten 10 Megapixel Auflösung. Die Pixeldichte war dabei verglichen mit anderen Systemen schon höher, sodass der Eindruck entstand, dass beim Nikon 1 System nicht mehr viel Luft nach oben sei (bei anderen Systemen mit größeren Sensoren hingegen schon). Das förderte bei den Kamerakäufern sicherlich nicht gerade die Investitionsbereitschaft in das neue System. Heute haben sich die Pixeldichten aller Systeme weiter erhöht und Sensor-Technologien wie BSI (rückseitig belichtete Sensoren) bewähren sich gerade bei kleinen Sensoren bestens. Aber hochauflösende 20-Megapixel-1-Zoll-Kameras sind nur mit fortschrittlicher Bildaufbereitung beherrschbar und erreichen unterm Strich nicht die Bildqualität größerer Sensoren. Dennoch würde ein heute (und natürlich mit heutiger Technik) in den Markt neu eingeführtes Nikon-1-System vermutlich für viele Käufer deutlich attraktiver erscheinen als es 2011 der Fall war. So gesehen kam das auf 1-Zoll-Sensoren basierende Nikon-1-System einfach zu früh.
- Die Gehäuse und die Objektive der Nikon 1 Serie sind zwar klein, aber so wirklich winzig in Relation zur Sensorgröße im Grunde doch nicht. Olympus mit seinen E-PL-Modellen und Panasonic mit seinen GM-Modellen hatten ebenfalls sehr kleine Kameras im Programm, die allerdings einen schon signifikant größeren Sensor und eine deutlich bessere Bildqualität hatten. Zudem zeigt sich, dass "klein" bei Systemkameras nur von wenigen Kunden tatsächlich gewünscht ist. Auch Panasonic hat seine besonders kleine GM-Serie eingestellt – sie verkaufte sich nicht gut genug. Die nächst größeren Kameras sind den Kunden offenbar "klein genug".
- Auch für das Nikon-1-System gab es einen Bajonett-Adapter für Objektive mit dem Nikon-F-Bajonett. Solche Adapter sollten ja auch in vielen anderen spiegellosen Systemen den bestehenden Kunden einen sanften Übergang ermöglichen. Anders als in anderen Systemen machte ein solcher Adapter beim Nikon-1-System aber keinen Sinn. Zum einen war der Crop-Faktor zu groß, zum anderen konnten die Nikon-1-Kameras den Spiegelreflexkameras hinsichtlich der Bildqualität nicht das Wasser reichen. Zudem sah ein Nikon-Spiegelreflex-Objektiv an einer Nikon-1-Kamera einfach nur merkwürdig aus, weil beide eine völlig andere Designsprache sprachen.
- Die technischen Eckwerte der Nikon-1-Kameras der ersten Jahre sortierten die Kameras qualitativ unterhalb der damals schon etablierten Konkurrenz ein. Die geplanten Preise waren dafür deutlich zu hoch angesetzt. Die Nikon 1 J1 sollte inklusive 3-fach-Zoomobjektivs 600 Euro kosten. Für den Preis gab es von der Konkurrenz (damals mischte auch Samsung noch mit) Kameras mit deutlich größeren Sensoren, mehr Megapixeln und einer besseren Bildqualität. Dennoch konnte Nikon in einigen Quartalen (auch in den späteren Jahren) mit seinen Nikon-1-Kameras richtig gute Marktanteile erreichen (bezogen auf neu verkaufte Kameras, "GfK-Zahlen"). Das war allerdings nur über den Preis möglich. Teilweise waren Nikon-1-Kameras der J-Serie inklusive Objektivs für deutlich unter 300 Euro zu bekommen. Für den Preis konkurrierten sie mit Kompaktkameras. Wer mehr Bildqualität als eine Kompaktkamera haben, aber nicht mehr bezahlen wollte, konnte bedenkenlos so eine günstige Nikon 1 kaufen. Gerechnet haben dürfte sich das für Nikon aber nicht.
- Nikon geht es aktuell finanziell nicht gerade bestens. Das kommt auch daher, dass generell das Kompaktkamera-Geschäft stark eingebrochen ist und dass Nikon das nicht mit einem erfolgreich laufenden spiegellosen System kompensieren kann (sondern fast ausschließlich von den Spiegelreflexkameras und deren Zubehör lebt). Aber in einer solchen Situation weiter in ein nicht erfolgreiches Kamerasystem zu investieren, macht auch keinen Sinn.
Und wie geht es nun weiter? Hellsehen können wir natürlich nicht und offizielle Statements von Nikon gibt es nicht. Spiegelreflex-Kameras verkaufen sich nach wie vor gut und haben ihre Existenzberechtigung in vielen Bereichen. Nikon ist in dem Bereich sehr gut aufgestellt. Die neueste Ankündigung einer Nikon D850 lässt erwarten, dass Nikon im Bereich der hochauflösenden Vollformat-Kameras ein neues Spitzenmodell mit interessanten Features vorstellen wird (Stichwort "8K Timelapse"). Möglicherweise konzentriert sich der Hersteller also voll auf seine DSLRs.
Aber ignorieren kann Nikon das Thema "Spiegellose" langfristig eigentlich nicht und müsste eigentlich früher oder später auch im spiegellosen Bereich aktiv werden. Man kann dem Hersteller nur raten, bei einem neuen System gleich konsequent auch auf das Kleinbild-Vollformat zu setzen. Systeme mit kleineren Sensoren gibt es eigentlich genug am Markt und der langfristige Trend geht ganz klar zu immer größeren Sensoren. Der APS-C-Bereich ist gut mit Fujifilm und Sony besetzt. Auch Canon hat sich für diese Sensorgröße bei seinen spiegellosen Systemkameras entschieden. Unterhalb der APS-C-Größe sind Olympus und Panasonic mit Micro Four Thirds bestens etabliert – dieses 4/3-Zoll-Format wird aber zunehmend als "kleiner Sensor" angesehen werden (zumal das Nikon-1-System nun nicht mehr die untere Grenze setzt). Die einzigen Hersteller, die spiegellose Kameras mit 36x24mm-Vollformat-Sensor anbieten, sind Leica und Sony. Leica ist eher eine Randerscheinung, aber Sony hat mit seinen Vollformat-Kameras guten Erfolg. Da ist aber durchaus noch Luft für einen zweiten großen Hersteller, zumal Sony nicht preisagressiv unterwegs ist (und Leica allemal nicht), sodass auch für Nikon die Chance zum Geldverdienen bestünde. Zudem würde zu Nikon ein spiegelloses Vollformat-System gut passen und mittels Bajonett-Adapter könnten bestehende Vollformat-DSLR-Objektive weitergenutzt werden. Auch qualitativ wären selbst anspruchsvolle Nikon-Anwender mit einer spiegellosen Vollformatkamera zufriedenzustellen.
Aber solche Kameras sind natürlich eher nichts für die breite Masse. Richtig große Stückzahlen sind nicht zu erwarten. Dafür sind solche Kameras und die zugehörigen Objektive einfach zu teuer. Insofern ist es sicherlich genauso möglich, dass Nikon spiegellos zweigleisig fährt und (wie Sony und Leica) sowohl APS-C- als auch Vollformat-Kameras mit dem mechanisch gleichen Bajonett anbieten wird. Dann allerdings müssten zumindest die wichtigsten Objektive einmal fürs spiegellose APS-C-Format und einmal fürs spiegellose Vollformat neu entwickelt werden. Doppelter Aufwand also. Wie auch immer – um gut für die Zukunft aufgestellt zu sein, wird Nikon mittelfristig wohl nicht um ein spiegelloses System herumkommen.