Start in die "vierte Dimension"
Novoflex QuadroPod-Stativsystem im Praxistest
2009-08-12 Im vergangenen Jahr, zur photokina 2008, startete die Memminger Firma Novoflex Präzisionstechnik mit einem überraschend neuartigen Stativsystem, genannt "QuadroPod". Wie der Markenname bereits andeutet, handelt es sich dabei um ein vierbeiniges Stativsystem, das von Kopf bis Fuß modular aufgebaut ist und sich vor allem an "ambitionierte Fotografen" richtet. Mit dieser revolutionären "vierten Dimension", wie Novoflex sie bezeichnet, verheißen die renommierten Allgäuer Präzisionstechniker den Anwendern mehr Kippsicherheit, Tragfähigkeit, Verwindungssteifheit und Schwingungsarmut. digitalkamera.de hat eine QuadroPod-Grundausstattung im Wert von knapp 1.000 EUR im Praxistest auf seine Praxistauglichkeit untersucht. (Ralf Germer, Jan-Gert Hagemeyer)
Jeder Mensch erfährt irgendwann in seiner Schul- oder Studienzeit, dass drei Punkte/Beine immer eine Ebene bilden, vier oder mehr Beine nur unter bestimmten Bedingungen. Deswegen haben klassische Foto- oder Videostative drei Beine und können theoretisch nicht wackeln. Tische und Stühle haben trotzdem meist vier Beine (und wackeln fast immer), Bürodrehstühle inzwischen fünf, und die Mondlandefähre LM-5 von Apollo 11 etwa war zur Landung auf unbekannter Mondoberfläche mit vier (allerdings extrem verstellbaren) Standbeinen ausgerüstet. Solche Grundüberlegungen müssen auch Reinhard Hiesinger (Geschäftsführer) und Klaus Bothe (Marketing), die beiden Erfinder, angestellt haben, als sie daran gingen, das neuartige Novoflex-QuadroPod-System zu entwickeln.
Tatsächlich argumentiert Novoflex in seinem vierfach ausfaltbaren Prospekt zum QuadroPod damit, dass sich dank Vierbeinigkeit sowohl die Standfestigkeit wie auch die Kippsicherheit gegenüber klassischen Dreibeinen verdoppele und belegt dies durch entsprechende Grafiken, in denen als Standfläche ein Quadrat mit 4 x 90° statt eines Dreiecks mit 3 x 60° markiert ist. Die Tragfähigkeit wird offiziell mit 50 kg für alle Versionen angegeben. Wie bei Novoflex üblich, liegt dem QuadroPod ein ausgeklügeltes, modulares Gesamtsystem zugrunde. Im Zentrum stehen drei unterschiedliche Köpfe, zwei vierbeinig Angelegte mit und ohne Mittelsäule sowie ein vier- oder dreibeinig Verwendbarer ohne Mittelsäule. Neben einer Nivellierlibelle weisen alle Drei eine Besonderheit auf: Sie sind seitlich mit drei 1/4"-Gewindebohrungen versehen, in die diverses Novoflex-Zubehör eingeschraubt werden kann, etwa Schwanenhälse mit unterschiedlichen Adaptern.
An die Kopfgelenke lassen sich derzeit sechs verschiedene Stativbeine per 1/4"-Gewindeschraube anflanschen. Dazu werden drei- oder viersegmentige Aluminium- oder Carbonbeine geliefert, die das QuadroPod auf eine maximale Arbeitshöhe von bis zu 155 cm hieven sollen. Alternativ können statt der Beine auch Wanderstöcke mit Längen bis zu 145 cm an den Köpfen angebracht werden. Und drittens schließlich stehen dafür auch noch sogenannte Mini-QuadroLegs mit Kugelfüßen in Längen von 20 cm zur Verfügung. In der Planung existiert bereits auch eine Bein-Variante für eine Arbeitshöhe von bis 250 cm.
Eine noch weit größere Vielfalt an Zubehör – von Flexarmen über Klemmen bis zu Köpfen und Adaptern sowie Verlängerungen – soll das QuadroPod-System komplettieren und seine Verbindung zur übrigen Novoflex-Komponentenwelt herstellen. Eine grundsätzlich wohldurchdachte Idee, insbesondere auch für das Marketing. Denn wer sich als engagierter Fotograf gänzlich auf das QuadroPod-System einlässt, kann gut und gerne mehr als 1.500 EUR dafür auf den Tisch legen.
Für den Käufer und Anwender überraschend, kommt die gewählte QuadroPod-Ausrüstung nicht fertig montiert, wie bei anderen Herstellern, ins Haus, sondern in Einzelteilen, fast so wie Möbel von Ikea. Kopf für sich, Beine für sich, Zubehör für sich, alles einzeln verpackt, nur der Inbusschlüssel fehlt. Bei der Montage lernt man das System (und seine Macken) gleich ganz gut kennen. Die nur recht kurzen und kleinen 1/4-Zoll-Gewindeschrauben der Beine finden nur schwer Verbindung zu den entsprechenden Gewindebohrungen in den Kopfgelenken und neigen leicht zur sofortigen Spanbildung, zumindest ist dies bei häufigerem Wechsel zu befürchten (und bei unserem Test aufgetreten). Danach stellte sich heraus, das ein Inbusschlüssel eingesetzt werden musste, um zunächst einmal die Friktion der Kopfgelenke mit ihrer Basisplatte zu stabilisieren und den ausgefahrenen Stativbeinen das "Schlackern" abzugewöhnen.
Als Nächstes zwei positive Überraschungen bei Testbeginn: Die von uns bestellte Kopfversion QuadroPod Variabel QP V ist als Vier- oder Dreibeinstativ einsetzbar. Dazu schraubt man das an der stumpfen Kopfseite angebrachte Bein ab und verstellt mittels zweier Arretierungsknöpfe die Anstellwinkel der beiden Nachbarn. So erhält man ein klassisches Dreibein und zusätzlich (durch Verwendung eines optionalen Auflagetellers) ein Monopod-Stativ. Diese Vorrichtung erklärt auch die deutlichen Preisunterschiede des V-Kopfes zu den beiden nur als reine Vierkopfversionen verwendbaren QP B (Basis) und QP C (mit Mittelsäule) von 100 bzw. 50 EUR. Die zweite Überraschung betrifft die bereits oben erwähnten 1/4-Zoll-Gewindebohrungen an den Kopfflanken. Darin lassen sich Flexarme, Gewindestangen, Mini-Beine oder auch anderes Zubehör mit 1/4"-Gewindeschrauben befestigen. Wir haben im Test daran den Schwanenhals von Novoflex und (über einen Novoflex-Kugelneiger) einen Reflektor angebracht. Ein derart simpler, aber doch überzeugender Zusatznutzen, dass man sich nur wundern kann, dass nicht auch andere Stativhersteller schon auf diesen Trick gekommen sind. Andererseits gilt aber auch für diese Verbindung unser Hinweis auf die schwierige und dauerhaft verschleißgefährdete Verschraubung mit dünnem 1/4"-Querschnitt.
Am Set (in unserem Fall an einer Bronzeplastik der Lübecker Altstadt auf dem Marktplatz) checkten wir die besonders betonten Eigenschaften des QuadroPod, wie seine Standfestigkeit, Verwindungssteifheit, Ausrichtbarkeit und Kippsicherheit, mit vier Beinen auf mittelalterlichem Kopfsteinpflaster. Novoflex empfiehlt dazu, das QuadroPod zunächst mit drei Beinen fest auf den Boden zu stellen und dann erst das "vierte, freischwebende Bein mit einer kleinen Handbewegung" nach unten zu drücken, "und schon stehen alle vier Beine sicher und fest auf dem Boden". Denkste. Der gewünschte Anstellwinkel ohne Wackeln war dem Vierbeiner erst nach längerer Prozedur und Verstellung einzelner Beinlängen anzugewöhnen. Dazu helfen allerdings die auf den Beinsegmenten angebrachten Längenmarkierungen – auch eine besondere Pfiffigkeit des Memminger Newcomers. In der gegebenen Situation, teilweise umringt von Touristengruppen, hätten wir gerne auf die "vierte Dimension" verzichtet, die sich hier vor allem durch zeitlichen Mehraufwand bei den Aufnahmen bemerkbar machte (nämlich so, wie die "vierte Dimension" in der Physik eigentlich auch definiert wird: als Zeit).
Fazit Alles in allem fiel es uns schwer, uns mit dem QuadroPod wirklich anzufreunden. Zwar überzeugen das typisch Novoflex-like Design und auch die Herstellungsqualität der Köpfe. Auch einige Alleinstellungsmerkmale wie die Anbringungsmöglichkeit von Zubehör und die Einbindung in das Novoflex-Zubehörsystem gehören zu seinen Vorteilen. Bei den Carbonbeinen hingegen waren wir von der Arretierung unter Last nicht ganz überzeugt (möglicherweise stammen diese nicht aus Novoflex-Produktion). Das Gleiche gilt für seine Verwindungssteifigkeit; sie ist mit Profistativen, etwa von Gitzo, nicht vergleichbar. Auf der positiven Seite schlägt die Vielseitigkeit und Variabilität dieses Gesamtsystems zu Buche. Etwas für Technik-Freaks, die nicht auf den Preis achten, aber nichts für Profis.