Wege zum verwacklungsfreien Foto

Techniken der Bildstabilisierung – Teil 1

2008-01-02 Eine der bedeutsamsten Errungenschaften in der Kameratechnik der vergangenen Jahre ist der Bildstabilisator. Automatische Belichtung, Autofokus, Szenenmodi und Gesichtserkennung dienen hauptsächlich der Bequemlichkeit und vermindern Bedienfehler, aber jede dieser Funktionen kann man zur Not auch manuell ausführen. Der Bildstabilisator hingegen erweitert den Einsatzbereich von Kameras: Ohne dass man extra ein Stativ mitschleppen muss, kann man in schlechten Lichtverhältnissen noch brauchbare Aufnahmen machen. Oder statt mit Blitzlicht die stimmungsvolle Beleuchtung zu ruinieren, kann man mit dem Bildstabilisator eine längere Verschlusszeit riskieren, die normalerweise nur ein verwackeltes Bild ergeben hätte. In unserem zweiteiligen Bericht stellen wir alle derzeitigen Bildstabilisierungssysteme mit ihren Besonderheiten, Vor- und Nachteilen vor. Im heutigen ersten Teil geht es um Lens-Shift-Systeme.  (Wilfried Bittner)

Wer sich also heute eine DSLR von Sony, Pentax oder Olympus kauft, der hat automatisch einen Stabilisator für alle Objektive. Damit Canon und Nikon für den Einsteiger nicht ganz so schlecht dastehen, haben beide Firmen vor kurzem ihr jeweiliges Billig-Standard-Zoom 18-55 mm (Bilder 1, 2) mit einem Stabilisator nachgerüstet.

Die unabhängigen Objektivhersteller kamen spät zur Party. Als Erster kam Sigma mit einem OS-Modell heraus (Optical Stabilizer) – mittlerweile sind zwei Modelle im Programm, das AF 18-200 mm DC OS 3,5-6,3 mit und ohne AF-Motor sowie das AF 80-400 mm EX APO OS 4,5-5,6. Nach langen Anlaufverzögerungen hat Tamron nun auch ein Superzoom mit VC (Vibration Compensation) auf dem Markt, das 28-300 mm 3,5-6,3 XR Di VC Asp. (IF) Macro, bisher zunächst nur mit Canon-Anschluss, eine Nikon-Version soll Anfang 2008 folgen. Nur Tokina hat noch keines.

Das technische Prinzip des Stabilisators wird schon seit über 30 Jahren in anderen Bereichen angewandt. Ein sehr aufwendiges und teures Beispiel dafür ist die stabilisierte Kanone des Kampfpanzers "Leopard". Ein viel einfacheres Beispiel, das obendrein auch noch ganz ohne Elektronik auskommt, ist das stabilisierte Fernglas von Zeiss. Darin bewegen sich optische Bauteile, die auf einem kardanisch aufgehängten Rahmen montiert sind, so im Strahlengang, dass sie das betrachtete Bild trotz zittriger Hand ruhig erscheinen lassen. Es war im Prinzip genial, aber etwas empfindlich und wird darum mittlerweile nicht mehr produziert.

Bildstabilisator bei Videokameras

Kurz etwas zur Vorgeschichte: Bei Videokameras werden Bildstabilisatoren schon viel länger als bei Stehbildkameras eingesetzt. Bei Videokameras ist man mehr um die relativ langsamen Schaukelbewegungen besorgt, die einen beim Betrachten von Amateurvideos leicht seekrank machen können. Es geht also Bild 3. Bildstabilisatoren im Objektiv – Vari Angle Prism von Canon [Foto: Wilfried Bittner] weniger um verwackelte Einzelbilder, sondern um ruhige Videoszenen. Das stellt an die Regelelektronik und die mechanische Nachführung weniger Anforderungen – vor 20 Jahren war die Technologie noch nicht reif für Stehbildstabilisatoren.

Canon entwickelte das Vari Angle Prism, das meistens vor den Videoobjektiven angebracht wird, aber auch innen eingebaut werden kann. Es ist mittlerweile sehr ausgereift und wird in Videokameras und in Ferngläsern verwendet.

Es stellt eine sehr interessante Lösung dar: Das Vari Angle Prism (Bild 3) besteht aus zwei Glasplatten, die mit einem flexiblen Balgen verbunden sind. In den Zwischenraum wird eine Flüssigkeit mit einem hohen optischen Brechungsindex eingefüllt. Wenn die zwei Glasplatten parallel zueinander stehen (linkes Bild), dann wirkt das Ganze wie eine dicke Glasplatte, und es erfolgt keine Ablenkung. Wird jedoch eine Glasplatte verkippt (rechtes Bild), dann wirkt das Ganze wie ein leichter optischer Keil, also ein Prisma, und es erfolgt eine Ablenkung der optischen Achse. Mit Hilfe von Elektromagneten kann der Prismenwinkel so eingestellt werden, dass die optische Achse horizontal und vertikal abgelenkt werden kann, um die Schwenkbewegung der Kamera auszugleichen. Effekt: Die Kamera wackelt und schwimmt, aber das Bild erscheint ruhig. Dieser Mechanismus kommt nicht in der Fotografie zum Einsatz, denn er ist erstens nicht so geeignet für Objektive mit großen Frontlinsen (z. B. bei einem 300 mm 1:2,8), und er ist zu träge für feine, aber sehr schnelle Zitterbewegungen.

Bild 4. Bildstabilisatoren – Prinzip des elektronischen Bildstabilisators [Foto: Wilfried Bittner] Eine wesentlich billigere Lösung für Videokameras ist der elektronische Bildstabilisator. Er kommt ganz ohne bewegliche Teile aus, aber dafür verschwendet er einen Teil des Bildsensors. So funktioniert der elektronische Bildstabilisator bei Videokameras: Das aktive Bildfeld beschränkt sich auf eine kleinere Fläche, und die äußere Zone des Sensors dient als Pufferzone (Bild 4). Wenn man zu filmen beginnt, dann ist das Bildfeld zunächst in der Mitte. Sobald die Kamerasensoren eine Wackelbewegung melden, wird der aktive Bildrahmen auf dem Sensor so verschoben, dass das aufgezeichnete Video unverwackelt erscheint. Diese Methode wird in den meisten Videokameras der unteren und mittleren Preisklasse angewandt. Für die Fotografie ist sie aber auch nicht tauglich, denn sie kann nur die Verschiebung von Laufbildern, also von einem Bild zum anderen, ausgleichen, nicht aber Verwacklungen innerhalb einer Einzelaufnahme.

Auf demselben Prinzip basiert übrigens auch der Software-Bildstabilisator in Video-Verarbeitungsprogrammen von Adobe, Pinnacle usw. Auch hier wird das Bild beschnitten, aber statt der Beschleunigungssensoren wird mit Motiverkennung gearbeitet und der Bildausschnitt entsprechend nachgeführt.

Bildstabilisatoren bei Stehbildkameras

Es gibt mittlerweile einige verschiedene Methoden zur Bildstabilisierung. Die Übersicht in der Tabelle (Bild 5) zeigt die Wichtigsten davon sowie die Unterschiede.

  Lens Shift CCD Shift ISO Shift BSS Post-
Processing
Baukosten extra Kosten für jedes Objektiv nur einmal im Gehäuse null null null
Bewegtes Objekt keine Hilfe keine Hilfe hilft unbrauchbar keine Hilfe
Horizontal und vertikal
schwenken
hilft hilft  hilft  hilft  hilft 
Verkippen um die
optische Achse
keine Hilfe theoretisch möglich hilft  hilft  hilft 
Sichtbar im optischen Sucher ja nein nein nein nein
Vorder-/Hintergrundversatz keine Hilfe keine Hilfe hilft hilft keine Hilfe
Erhöhtes Bildrauschen nein nein ja nein nein
Optische Probleme ja nein nein nein nein
Video Clip hilft hilft keine Hilfe nicht anwendbar hilft

Lens Shift – optischer Stabilisator

Bild 6. Bildstabilisatoren – Prinzip des optischen Bildstabilisators [Foto: Wilfried Bittner] In der Fertigung von Objektiven ist die präzise Zentrierung der Linsenelemente sehr wichtig. Bei komplizierten Zoomobjektiven mit etlichen bewegten Linsengruppen geht das oft mal schief, und man liest dann in den Testberichten, dass eine Bildecke besonders unscharf ist – wegen schlechter Zentrierung im Testexemplar. Oft reicht schon ein Zentrierfehler von 0,1 mm, um die Bildleistung merkbar zu verschlechtern. Somit erscheint es sehr gewagt, eine Linse oder Linsengruppe absichtlich um einen ganzen Millimeter (je nach Modell) aus der Mitte zu verschieben. Genau das aber passiert beim optischen Bildstabilisator (Lens Shift).

So funktioniert im Prinzip der optische Bildstabilisator. Nachdem Beschleunigungssensoren die Kamerabewegung gemessen haben und ein Prozessor den Bildversatz berechnet hat, wird mittels Elektromagneten eine Linse oder Linsengruppe so weit seitlich verschoben, bis die optische Achse genügend abgelenkt ist, um den Bildversatz wieder auszugleichen (Bild 6). Je weiter die Linse aus der Mitte verschoben wird, desto mehr leidet aber die Bildqualität. Bei der optischen Rechnung wird natürlich diese verschiebbare Linse so im System platziert, dass sie am wenigsten Schaden anrichten kann. Außerdem haben sich die Hersteller verschiedene clevere Steuerungen ausgedacht: Z. B. kann die Linse zwar weit schwingen, um große Verwacklungen aufzufangen, aber kurz vor der eigentlichen Belichtung wird die Linse noch schnell zurück zur Mitte geholt. Das passiert unbemerkt, während der Spiegel hochklappt. Das optische System ist dann nur mäßig dezentriert, während der Verschluss offen ist. Nikon nennt das "centering before exposure".

Bei Panasonics Mega O.I.S. im "Mode 2" wird die Linse bis zum letzten Augenblick genau in der Mitte gehalten und fängt erst bei der eigentlichen Belichtung an zu wandern. Damit fängt die Belichtung garantiert mit zentriertem System an, der Rest hängt natürlich von den zufälligen Kamerabewegungen ab.

Obendrein sollte man aber auch bedenken, dass die Abbildungsfehler aufgrund der verschobenen Linse etwa in der Größenordnung der verbleibenden Bewegungsunschärfe sind, denn kein Bildstabilisator kann das Verwackeln Bild 7. Bildstabilisatoren – Das Licht hinter dem winzigen Loch in der Mitte ist intensiv genug, um auch bei starkem Verwackeln eine Leuchtspur auf dem Bildsensor zu hinterlassen [Foto: Wilfried Bittner] hundertprozentig korrigieren. Siehe dazu die Testbilder später im Bericht. Die hervorragenden Fotos professioneller Sportfotografen beweisen auch, dass die Hersteller die technischen Probleme hinreichend im Griff haben.

Die im Folgenden beschriebenen Tests veranschaulichen die Effektivität eines optischen Bildstabilisators: Auf einem kleinen Leuchtpult wurde eine schwarze Maske aufgeklebt, die in der Mitte ein winziges Loch hat (0,2 mm Durchmesser, siehe Bild 7).

Das Licht hinter dem winzigen Loch in der Mitte ist intensiv genug, um auch bei starkem Verwackeln eine Leuchtspur auf dem Bildsensor zu hinterlassen.

Im ersten Test wurde eine D200 mit Nikkor 18-200 mm VR auf 200 mm gezoomt und frei stehend jeweils zehnmal fotografiert. Auf das KB-Format umgerechnet, ist das ein 300mm-Tele, und nach der alten Faustregel bräuchte man dafür für Verwacklungsfreiheit eine maximale Verschlusszeit von 1/300 s. Wenn man diese Verschlusszeit um die vier Stufen verlängert, welche Nikon mit der Vibration Reduction VR II verspricht, dann bekommt man rund 1/20 s (300 > 150 > 75 > 37,5 > 18,75).

Bild 8. Bildstabilisatoren im Objektiv – VR OFF – 300 mm (umger. auf KB), 1/20 s [Foto: Wilfried Bittner]
VR OFF – 300mm (umger. auf KB), 1/20s
Bild 9. Bildstabilisatoren im Objektiv – VR normal – 300 mm (umger. auf KB), 1/20 s [Foto: Wilfried Bittner]
VR normal – 300mm (umger. auf KB), 1/20s 
Bild 10. Bildstabilisatoren im Objektiv – VR active – 300 mm (umger. auf KB), 1/20 s [Foto: Wilfried Bittner]
VR active – 300mm (umger. auf KB), 1/20s

Jedes der schwarzen Quadrate ist nur ein winziger Ausschnitt von 30 x 30 Pixeln (das gesamte Bild ist 3872 x 2592 Pixel groß). Wie man in der ersten Reihe (Bild 8) sieht, kann es ohne VR leicht zu 30 Pixel langen Wischern kommen; das Bild wäre totaler Ausschuss. Bei den nächsten zwei Reihen wird ganz deutlich, wie das Verwackeln dramatisch reduziert wird. Nikons VR II funktioniert also wie versprochen (VR normal, Bild 9). Dabei ist – wie erwartet und von Nikon auch so beschrieben – der "active mode" (Bild 10) ein bisschen weniger effektiv für einen ruhigen Test im Labor. Dafür soll er aber besser sein, wenn man von einem fahrendem Auto, einem Boot oder einem Hubschrauber aus fotografiert. Mit diesem Test lässt sich das aber nicht nachprüfen. Eine weitere Beobachtung von den vielen Testreihen ist, dass praktisch in jeder Folge von zehn Aufnahmen mit VR jeweils irgendwo ein Ausreißer mit dabei ist. Die Lehre daraus ist, dass man selbst mit VR sicherheitshalber ein paar extra Bilder machen, oder zumindest das Ergebnis auf dem LCD kontrollieren sollte.

Noch eine Anmerkung zu den Ausschnitten von dem Lichtpunkt: Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wann ein Bild als "scharf" gilt, kann man die Schärfentiefenskala der Objektivhersteller hernehmen. Die Strichmarken an der Entfernungsskala sind so berechnet, dass der zulässige Durchmesser des unscharfen Lichtflecks auf dem Sensor oder dem Film rund 1 Promill der Bildbreite ist. Bei der Nikon D200 in diesem Test entspricht das einem Lichtfleck mit einem Durchmesser von 4 Pixeln.

Die Verwacklungsgefahr ist bei Teleaufnahmen am größten. Aber auch wenn man auf die Weitwinkelstellung zoomt, ist der Stabilisator nützlich. Bei dem bereits im vorigen Testbeispiel eingesetzten Zoom Nikkor 18-200 mm VR ist das 18 mm, was auf KB umgerechnet 27 mm entspräche. Nach der Faustregel bräuchte man also rund 1/30 s Verschlusszeit für Verwacklungsfreiheit. Wenn man die vier Stufen Vorteil der Stabilisators mit einrechnet, dann bekommt man ½ Sekunde (1/30 > 1/15 > 1/8 > 1/4 > 1/2). Das ist ohne Stativ normalerweise völlig unmöglich.

Bild 11. Bildstabilisatoren im Objektiv – VR OFF – 27 mm (umger. auf KB), ½ s [Foto: Wilfried Bittner]
VR OFF – 27mm (umger. auf KB), ½ Sekunde
Bild 12. Bildstabilisatoren im Objektiv – VR normal – 27 mm (umger. auf KB), ½ s [Foto: Wilfried Bittner]
VR normal – 27mm (umger. auf KB), ½ Sekunde
Bild 13. Bildstabilisatoren im Objektiv – VR active – 27 mm (umger. auf KB), ½ s  [Foto: Wilfried Bittner]
VR active – 27mm (umger. auf KB), ½ Sekunde

Wie man sieht, ist VR auch hier sehr effektiv (Bild 11 VR OFF, Bild 12 VR normal, Bild 13 VR active), aber wieder mit den 10 % Ausreißern. Die praktische Erfahrung hat gezeigt, dass das Nikkor 18-200 mm VR sehr brauchbare Ergebnisse liefert, selbst wenn man in dunklen Kirchen mit einer halben Sekunde ohne Stativ fotografiert.

In Teil 2 unserer Serie über Bildstabilisierungssysteme geht es um vier weitere Techniken der Bildstabilisierung: um CCD Shift, ISO Shift, um den Best-Shot-Selector (BBS) von Nikon, per Post Processing und um neue Möglichkeiten der Bildstabilisierung.

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