Nachgefragt
Welche Objektiv-Strategie verfolgt Tamron im DSLR-Boom?
2007-11-22 Die Tamron Co., Ltd ist einer der führenden Hersteller von optischen Systemen für unterschiedliche Zwecke, insbesondere auch von Kamera-Objektiven. Die Entwicklungsingenieure im japanischen Saitama fühlen sich – nach eigenem Bekunden – "berufen, ein ideales Zoomobjektiv zu konstruieren". Das ist ihnen kürzlich mit einem Wechselobjektiv mit Brennweite 18-250 mm und offenbar jetzt wieder mit dem ersten bildstabilisierten Tamron-Wechselobjektiv für analoge und digitale Spiegelreflex-Fotografie gelungen. Anlässlich der Markteinführung dieser neuen Linse auf dem Weltmarkt für Canon-DSLRs wollte digitalkamera.de von Michael Dickel, Public Relations Manager der Tamron Europa GmbH, wissen, welche Objektiv-Strategie Tamron im Boom digitaler Spiegelreflexkameras verfolgt. Das Interview führten die digitalkamera.de-Redakteure Jan-Gert Hagemeyer und Benjamin Kirchheim am 14. November 2007 in Lübeck. (Jan-Gert Hagemeyer, Benjamin Kirchheim)
digitalkamera.de:
Tamron bringt in diesem Herbst 2007 zum ersten Mal bildstabilisierte, so genannte VC-Objektive für Spiegelreflexkameras auf den Markt. Das japanische Unternehmen ist für manche Fotografen in Deutschland noch eine ziemliche Unbekannte. Wir möchten daher in diesem Interview einige "Essentials" über Tamron herausfinden und weitergeben. Etwa 40 Prozent des weltweiten Tamron-Konzernumsatzes werden mit Objektiven für unterschiedliche Verwendungszwecke – vom Camcorder bis zur Spiegelreflexkamera – erwirtschaftet. Sind diese neuen VC-Objektive von Tamron selbst entwickelt, oder basieren sie auf gekauften Technologien?
Dickel:
Das ist eine ursprünglich von Tamron selbst entwickelte Technologie. Diese VC-Technologie beruht – anders als viele andere Systeme auf dem Markt – auf einem 3-achsigen System, und dieses wurde von Tamron entwickelt. Vorteil dieses Systems ist die Geschwindigkeit – es wird mit einer Geschwidigkeit von 4 kHz gearbeitet, das heißt Vibrationen werden bis zu 4.000 mal pro Sekunde korrigiert.
digitalkamera.de:
Ist das schneller als beim Wettbewerb?
Dickel:
Genaue Zahlen über entsprechende Wettbewerbssysteme habe ich nicht, aber das ist in jedem Falle eine sehr hohe Frequenz. Außerdem arbeitet unser System durch die Lagerung auf drei Stahlkugeln sehr reibungsarm.
digitalkamera.de:
Sie bringen nun als erstes ein VC-Objektiv mit einem Brennweitenbereich von 28-300 mm heraus. Wie gehen Sie weiter vor, was Brennweiten und die Anschlussstrategie für unterschiedliche SLR-Modelle betrifft?
Dickel:
Heute kann man klar sagen: Der Trend geht zu bildstabilisierten Objektiven. Das wird zunehmend ein Standard, auch bedingt dadurch, dass Kamerahersteller wie Sony oder Pentax bildstabilisierte Systeme eingebaut haben. Daraufhin haben auch andere Kamerahersteller reagiert und bringen teilweise auch Objektive mit Bildstabilisatoren, die früher dafür gar nicht in Frage gekommen wären, wie etwa auch Weitwinkelobjektive. Dieser Trend ist nicht zu übersehen, und das bedeutet für Tamron auch, dass wir diese Technologie, die jetzt zum ersten Mal im 28-300mm-VC-Objektiv eingebaut wurde, ganz klar im nächsten Jahr in weitere Objektive einbauen werden. Was für Objektive das im Einzelnen sind, das kann ich Ihnen im Moment noch nicht sagen.
digitalkamera.de:
Wonach wird das in der Tamron-Konzernzentrale im japanischen Saitama entschieden?
Dickel:
Das läuft so, dass Marktinformationen aller Art in Produktmeetings des Managements gesammelt werden. Unter den vielen Vorschlägen für neue Produkte werden dann die Kandidaten mit den meisten Chancen realisiert.
digitalkamera.de:
Welche Kameraanschlüsse werden bei der Anschlusspolitik von Tamron bevorzugt?
Dickel:
Wir haben im Augenblick grundsätzlich vier Anschlüsse, d. h. für Canon, Nikon, Pentax und Sony. Nicht jedes Objektiv bekommt alle Anschlüsse, das gilt insbesondere konkret für Pentax. Allerdings beobachten wir seit einiger Zeit auch, dass Pentax stark an Marktanteil gewinnt. Unsere Überlegungen gehen daher ganz klar in die Richtung, dass Pentax weiterhin unterstützt wird. Man kann also davon ausgehen, dass demnächst auch wieder mehr Objektive mit Pentax-Anschluss aus unserer Produktion kommen werden.
digitalkamera.de:
Sind die Bajonettanschlüsse der genannten vier Hersteller nachgebaut, oder werden sie jeweils von den Herstellern lizenziert?
Dickel:
Das geschieht immer in Kooperation mit den Herstellern. Wo Lizenzen notwendig sind, werden sie auch eingeholt.
digitalkamera.de:
Bei der Nikon D40x beispielsweise gibt es momentan aber Objektive, die nicht funktionieren.
Dickel:
Im Augenblick ist das natürlich ein Thema, was auf unserer Prioritätenliste ganz oben steht. Wir haben für Nikon keine eingebauten Motoren in den Objektiven, das wird aber in Zukunft kommen. Das 28-300 VC ist in jedem Fall schon eines der Objektive, das mit Nikon-Motor kommt.
digitalkamera.de:
Werden alle Hersteller gleichzeitig von Tamron bedient, wenn neue Objektive auf den Markt gebracht werden?
Dickel:
Es ist so, dass wir nach Marktanteilen gehen. Die wichtigen Hersteller sind ganz klar Canon und Nikon, das bedeutet, dass auch diese beiden Anschlüsse bevorzugt auf den Markt kommen, und dann folgen Sony und Pentax.
digitalkamera.de:
Denkwürdigerweise sind ja ihre neuen VC-Objektive so genannte Di-Objektive, das heißt, sie sind sowohl für APS-C-Kameras wie auch für das Vollformat geeignet. Ist das ggf. ein Hinweis darauf, dass Tamron als Objektivhersteller und Marktkenner mit einem weiteren Durchbruch der Vollformatkameras rechnet?
Dickel:
Wir haben uns nie vom Vollformat verabschiedet, weil es schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt, dass irgendwann auch das Vollformat in den Amateurbereich Einzug erhält. Momentan ist es so, dass es fast ausschließlich im professionellen Bereich genutzt wird, aber wir sehen durchaus die Chance – gerade, wenn die Pixelzahlen noch steigen –, dass man auch im Amateurbereich mit Vollformatkameras rechnen kann.
digitalkamera.de:
Für den Außenstehenden ist erstaunlich, dass es bei Tamron-Objektiven drei Qualitätskategorien gibt, nämlich: Di-Objektive, geeignet für alle Bildsensorenformate, ferner gibt es die Di-II-Objektive, nur geeignet für die APS-C-Sensoren, und dann gibt es drittens noch die so genannte SP-Kategorie. Wie ist das zu begründen?
Dickel:
Also grundsätzlich unterscheiden sich Di- und Di-II-Objektive einfach durch ihren größeren oder kleineren Bildkreis. Di-Objektive sind immer für den großen Bildkreis gerechnet, Di-II-Objektive ausschließlich für den kleinen Bildkreis. Von beiden Objektivarten gibt es SP-Objektive. SP bedeutet bei Tamron Super Perfomance. Da sind Spezifikationen enthalten, die qualitativ höheren Ansprüchen genügen. Das bedeutet, dass entweder die Mechanik oder die Optik noch hochwertiger sind als bei den übrigen Modellen.
digitalkamera.de:
Auch die verwendeten Materialien?
Dickel:
Unter Umständen auch die verwendeten Materialien. Insgesamt kann man sagen, dass diese Objektive einfach aufwändiger konstruiert sind und bei der Entwicklung höhere Kosten entstanden sind. Aber dafür brauchen sich diese Objektive auch nicht verstecken, auch nicht im professionellen Bereich.
digitalkamera.de:
Da Sie den professionellen Bereich ansprechen: Wie sieht es mit Ultraschallmotoren bei Tamron aus? Bisher gibt es ja noch keine.
Dickel:
Richtig, auch das ist ein Thema, das im Augenblick intensiv besprochen wird und woran unsere Entwicklungsabteilungen arbeiten. Wir können allerdings noch nicht sagen, wann wir damit kommen werden, das ist momentan noch nicht spruchreif.
digitalkamera.de:
Es gibt Objektive von Tamron, bei denen der Kunststoffanteil relativ hoch ist. Wie sind Ihre Argumente für diese Objektive?
Dickel:
Grundsätzlich ist es die Maxime von Tamron, möglichst kleine und leichte Objektive zu bauen. So leicht und klein, wie das irgend möglich ist bei einer hervorragenden Qualität. In dem Zuge verwendet man natürlich auch Kunststoffe, das sind allerdings hochwertige Kunststoffe, ähnlich wie sie etwa im Flugzeugbau verwendet werden. Das spart einfach an Gewicht. Von der Haltbarkeit her steht das dem Metall in nichts nach. Metall ist vom Gewicht her für uns vielfach zu schwer; und die Wertbeständigkeit eines Objektivs ist im Grunde genommen bei Kunststoff heutzutage genauso gegeben.
digitalkamera.de:
Wie wichtig ist Qualitätskontrolle bei Tamron? Man hört zuweilen von Objektiven, die dejustiert sind und nachträglich justiert werden müssen.
Dickel:
Auf die Qualitätskontrolle wird bei Tamron ein sehr hoher Wert gelegt. Alle Fabriken und der gesamte Workflow werden kontrolliert, sämtliche Fabriken sind ISO-zertifiziert, einschließlich derjenigen in China. Das bedeutet, die Qualitätskontrolle ist bei jedem Produktionsprozess gewährleistet. Gerade heute bei den Digitalobjektiven ist es so, dass die Toleranzen enger gefasst werden aus Gründen der Genauigkeit bei der Fokussierung. Da muss man schon sehr genau arbeiten, denn der Sensor verzeiht leider nicht so viel wie früher der Film.
digitalkamera.de:
Es wird aber wohl nicht jedes Objektiv einzeln durchgetestet, sondern nur der Produktionsablauf …
Dickel:
… der Produktionsablauf, genau. Und Objektive werden stichprobenartig getestet.
digitalkamera.de:
Tamron hat weltweit sechs Werke, in denen Komponenten hergestellt und montiert werden. Stellt Tamron alle Komponenten seiner Objektive selber her?
Dickel:
Fünf der Werke stehen in Japan, eines in China. Weitgehend werden die Komponenten von Tamron selbst hergestellt. Für die mechanischen Teile, die Formteile besitzt Tamron ein Spritzgusswerk. Die Linsenfertigung, also die Linsenschleiferei, findet bei Tamron statt. Zugekauft wird Glas, das wird nicht selbst gefertigt.
digitalkamera.de:
Soweit wir informiert sind, baut Tamron auch Objektive für Sony und für Pentax.
Dickel:
Dazu kann ich lhnen offiziell leider nichts sagen. Man kann so viel sagen: Tamron ist natürlich auch im OEM-Geschäft zu Hause, und wir liefern Objektive für Sucherkameras wie auch für Handys. Außerdem liefern wir CCTV-Objektive, Videoobjektive und optische Komponenten aller Art. Das ist ein Bereich von Tamron, wo der Markenname weniger sichtbar wird. Als Marke sichtbar sind wir im Grund genommen über die Wechselobjektive.
digitalkamera.de:
Bei Tamron spielen in der Modellstrategie gerade auch Reiseobjektive eine entscheidende Rolle, also solche mit großen Brennweitenbereichen. Mit Ihrem Objektiv von 18 bis 250 mm Brennweite, also ungefähr 13,9-fachem Zoombereich, ist Tamron derzeit Weltmeister auf diesem Gebiet. Soll der Fotograf mit solchen Konstruktionen in die Lage versetzt werden, mit nur einem Objektiv in der Ausrüstung auszukommen, oder ist das mehr als ein Zusatzobjektiv auch für Spezialisten gedacht?
Dickel:
Für unsere Reiseobjektive gilt "sowohl als auch". Die Hauptzielgruppe sind Leute, die gerne auf Reisen gehen und kleines und leichtes Gepäck dabei haben wollen. Ob da dann alternativ auch noch eine weitere, gehobenere Spiegelreflexausrüstung dahinter steckt, das ist eine andere Frage. Ich persönlich habe z. B. ein 2,8/28-75, ein 2,8/17-50, ein 200-500mm und ein 90 mm Makro. Wenn ich auf Reisen gehe, habe ich aber auch ein 18-250 dabei.
digitalkamera.de:
Vor Ihnen steht ein Objektiv aus einer Vorserie, nämlich das 70-200 mm Zoom, sehr lichtstark mit einer größten Blende von 2,8. Das Modell ist schon zur PMA Anfang 2007 angekündigt worden, ist aber immer noch nicht auf dem Markt. Wie kann man so lange Entwicklungszeiten bis zur Markteinführung eines Objektivs begründen?
Dickel:
Im Moment haben wir eine sehr starke Nachfrage nach Objektiven, und gerade in diesem Jahr haben wir die Kapazitäten von Tamron noch einmal ausweiten müssen. Wegen der starken Nachfrage ist die Produktionskapazität mit dem bestehenden Sortiment schon fast ausgelastet. Bei der Einführung eines neuen Objektivs ist es andererseits wichtig, es auch vernünftig liefern zu können. Wir werden nächstes Jahr (2008) mit drei bis vier neuen Objektiven kommen. Konkret kann ich dazu allerdings noch nichts sagen.
digitalkamera.de:
Dann wünschen wir Ihnen zunächst einen guten Start mit dem lichtstarken 70-200 mm, das wann auf den Markt kommt?
Dickel:
Im ersten Quartal 2008, davon können wir ausgehen.
digitalkamera.de:
Wir bedanken uns für das Gespräch.