Marcus Hebel
Testbericht: Marcus Hebel ShiftN 2.1
2006-09-13 Das leidige Problem kennt jeder: Der Weitwinkel reicht nicht, mit dem Rücken zur Wand stehend muss die Kamera gegen den Horizont nach oben verschwenkt werden, um ein imposantes Bauwerk zu fotografieren. Das Resultat: gnadenlos stürzende Linien. Vielleicht wurde die Kamera auch noch etwas schief gehalten, und obendrein verzeichnet das Objektiv in Weitwinkelstellung tonnenförmig. Am heimischen Rechner mussten dann solche Bilder aufwändig manuell bearbeitet werden. Doch nun gibt es eine kostenlose, einfache Lösung: ShiftN 2.1. (Benjamin Kirchheim)
Der Diplom-Mathematiker und Hobby-Fotograf Marcus Hebel, der beruflich mit Bildverarbeitung befasst ist, hat sich in seiner Freizeit dieses Problems angenommen und ein kleines Freeware-Programm entwickelt, das unter anderem stürzende Linien automatisch erkennen und korrigieren soll. Neben stürzenden Linien wird optional auch der Horizont begradigt und eine tonnen- bzw. kissenförmige Verzeichnung (nur manuell nach Benutzereinstellung) beseitigt. Die Besonderheit gegenüber anderen Programmen ist, dass ShiftN durch Bildanalyse automatisch arbeitet und in den meisten Fällen erstaunlich gute Arbeit leistet. Durch eine Stapelverarbeitung ist es sogar möglich, gleich ganze Bildersätze zu "begradigen".
Zur Erkennung der stürzenden Linien muss das Programm als Erstes das Bild ausführlich analysieren und anhand von Kontrasten und anderen Merkmalen die markanten Linien im Bild finden und davon die Relevanten heraussuchen. Anhand dieser Linien wird das Bild dann entzerrt und gedreht, wobei dem Benutzer jederzeit die volle manuelle Kontrolle bleibt. Über ein Menü können alle wichtigen Parameter der Analyse und Korrektur beeinflusst werden. Dazu gehören die Erkennungsparameter für die bildwichtigen Linien, d. h. ab welchem Kontrast und welcher Linienlänge eine Linie bildwichtig ist. Hier können die Standardparameter verändert werden, wobei jederzeit auf diese per Klick zurückgegriffen werden kann. Wichtig ist die richtige Ausgewogenheit der Parameter, denn es sollen nur Linien erkannt werden, die z. B. von Gebäuden stammen, möglichst aber nicht solche von Bäumen, Ästen, Wolken o. ä., die das Ergebnis verfälschen würden. Schließlich kann man noch bestimmen, mit welchem maximalen Winkel Linien noch in die Berechnung mit einfließen sollen, denn von zu starken stürzenden Linien sollte man nicht ausgehen, diese wären eher anderen Bilddetails zuzuordnen.
Schließlich kann man noch weitere Parameter einstellen, die zwar nicht die Erkennung, wohl aber die Korrektur beeinflussen. Dazu gehört der Grad der Korrektur – wählt man 100 %, wirkt das Bild für das Auge unnatürlich perfekt, minimal sollte man die Linien schon stürzen lassen, es sei denn, eine 100%ig korrigierte Ausgabe wäre erwünscht. Ferner sp
ielt die Brennweite eine Rolle: Je weitwinkliger die Aufnahme ist, desto mehr werden Gebäude mit stürzenden Linien bei der Aufnahme gestaucht – dem sollte entgegen gewirkt werden. In Version 2.0 musste die Brennweite hier noch manuell angegeben werden, in der Version 2.1 ist das Programm auch in der Lage, die EXIF-Daten eines Bildes auszulesen und zu analysieren. Die Verzeichnung, so sie denn korrigiert werden soll, ist allerdings noch manuell einzugeben. Für diesen Punkt gibt es allerdings alternative Software wie z. B. PTLens, deren Stapelverarbeitung man ggf. vorher anwenden sollte.
Das kleine, spartanisch gehaltene Programm funktioniert ganz einfach. Ein Bild kann per Menü geöffnet oder per Drag’n’Drop auf das Hauptfenster gezogen werden, woraufhin ShiftN das Bild lädt. Ein Druck auf den Analyse-Butten lässt den Computerprozessor etwas schwitzen, bevor neben dem eigentlichen Foto eine schöne Strichzeichnung angezeigt wird, die teilweise schon an ein künstlerisches Bild erinnert. Diese Strichzeichnung enthält alle im Bild erkannten, markanten Linien, fein säuberlich unterteilt in wichtige (rote) und unwichtige (graue) Linien. Per Mausklick auf die jeweilige Linie kann jetzt noch Hand angelegt werden, falls sich das Programm vertan hat (was aber auch an falschen Erkennungsparametern liegen kann). So kann für jede einzelne erkannte Linie bestimmt werden, ob sie zur Korrektur herangezogen wird oder nicht. Auch andere Parameter, wie die Stärke der Drehung oder die Verzeichnungskorrektur, können nochmals geändert werden.
Als Resultat gibt es ein korrigiertes Bild, das an Schärfe verloren hat (wie bei jeder Interpolation, die für eine solche Korrektur nötig ist). Diese verlorene Schärfe kann durch eine Unschärfemaskierung, wie sie das Programm beherrscht, wieder korrigiert werden. Außerdem entstehen am Bildrand durch die Korrektur weiße Flächen, die das Programm automatisch abschneiden kann – auch hier hat der Benutzer die Möglichkeit, den Bildausschnitt stattdessen manuell festzulegen. Gespeichert wird das Endergebnis als JPEG- oder BMP-Datei, eine Ausgabe der erkannten Linien in Koordinatenform in eine Textdatei ist ebenfalls möglich.
Bei ShiftN handelt es sich in erster Linie um ein funktionelles Programm, das sich auf ganz bestimmte Korrekturen spezialisiert. Die Programmoberfläche ist daher recht spartanisch, bietet aber alle für dieses Programm nötigen Optionen und ist dabei sehr übersichtlich und gibt dem Benutzer jederzeit die gewünschte Kontrolle über die Automatiken. Die automatische Korrektur ergibt erstaunliche Ergebnisse, so dass vor allem mit Hilfe der Stapelverarbeitung viel manuelle Arbeit gespart werden kann. Der einzige Zukunftswunsch wäre die Möglichkeit, das Programm z. B. in Photoshop als Plug-in einzubinden. An dieser Stelle sei gesagt, dass das mit FixFoto bereits möglich ist, so dass die automatische Entzerrung dort mit in den Workflow einfließen kann.
Kurzbewertung
- Stapelverarbeitung
- Manuelle Kontrolle (begrenzt) möglich
- Gute automatische Erkennung