2019-07-19 Spiegellose Systemkameras sind selbst im Kleinbild-Vollformat klein und leicht? Nicht so bei Panasonic. Der Hersteller geht mit seiner Lumix DC-S1 einen ganz anderen Weg und übertrumpft DSLRs wie die Nikon D750 oder Canon EOS 5D Mark IV spielend bei Größe und Gewicht. Vielmehr wirft Panasonic eine robuste Verarbeitung, ein ergonomisches Gehäuse und einen großen Ausstattungsumfang für Foto- und Videografen in die Waagschale. (Benjamin Kirchheim)
Die Panasonic Lumix DC-S1R besitzt ein robustes Gehäuse aus einer Magnesiumlegierung, das auch gegen Spritzwasser, Staub, Stöße und Frost gewappnet ist. [Foto: MediaNord]
Dieser Testbericht der Panasonic Lumix DC-S1R basiert zum größten Teil auf unserem Testbericht des nahezu baugleichen Schwestermodells DC-S1 (siehe weiterführende Links). Die entscheidenden Unterschiede aufgrund des fast doppelt so hoch auflösenden Bildsensors der S1R, etwa bei der Bildqualität, den Serienbildaufnahmen und der Videofunktion, haben wird uns aber sehr genau angeschaut. Auch das jüngste Firmwareupdate 1.2, das seit dem 9. Juli 2019 zum Download bereitsteht, erreichte uns noch rechtzeitig, um im Testbericht berücksichtigt zu werden. Vor allem soll es die Effektivität des ohnehin schon sehr guten Bildstabilisators nochmals verbessern.
Ergonomie und Verarbeitung
Die laut UVP knapp 3.700 Euro teure Lumix S1R (gut 4.600 Euro mit dem in diesem Test verwendeten Setobjektiv Panasonic S 24-105 mm F4 Makro OIS) steckt in einem edlen Karton mit Klappdeckel. Etwas mehr als ein Kilogramm drückt die mit 15 x 11 x 10 Zentimetern sehr wuchtige Kamera betriebsbereit mit Lithium-Ionen-Akku sowie einer SD- und einer XQD-Speicherkarte auf die Waage, mit dem 24-105 sind es sogar fast 1,7 Kilogramm. Damit ist sie größer und schwerer als jede andere spiegellose Systemkamera mit 36x24mm-Sensor und übertrumpft selbst die meisten DSLRs. Dafür punktet sie mit einem robusten Gehäuse, das fast komplett aus einer Magnesiumlegierung besteht. Dichtungen halten zudem Staub und Spritzwasser von der Elektronik im Kamerainneren fern.
Der große Handgriff ist ergonomisch ausgeformt und bietet einer mittelgroßen europäischen Hand genügend Platz, selbst für den kleinen Finger. Großzügige, genarbte Gummierungen am Griff, auf der Front, beiden Seiten sowie auf dem rechten Teil der Rückseite sorgen genauso für zusätzlichen Halt wie der deutliche Griffvorsprung im vorderen Bereich, der sich zwischen Zeige- und Mittelfinger "einhakt". Damit lässt sich die Lumix S1R auch längere Zeit bequem in der Hand halten.
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Dabei ist die Kamera allerdings auch so groß geraten, dass sich nicht alle Bedienelemente bequem erreichen lassen. Zum Einschalten muss man den Hebel, der sich rechts auf der Oberseite der Kamera befindet, entweder mit der linken Hand bedienen oder den Zeigefinger stark verrenken, gleiches gilt für die daneben liegende Taste zur Beleuchtung des Status-LCDs auf der Oberseite. Zudem ist der Videoknopf nur für lange Daumen bequem erreichbar und liegt recht nahe am Sucher. Wer mit dem linken Auge hindurchblickt, hat das Nasenbein vor dem Videoaufnahmeknopf. Rechtsäuger wiederum trifft dieses Problem, wenn sie den Wiedergabeknopf betätigen wollen, um das Bild in voller Auflösung und frei von störendem Umgebungslicht im Sucher zu betrachten. Nur Brillenträger sind bei diesem Aspekt fein raus, da sie weiter weg vom Sucher sind, was jedoch andere Nachteile mit sich bringt, dazu später mehr.
Die meisten Bedienelemente jedoch lassen sich zum Glück gut erreichen, fast alle mit dem Daumen oder Zeigefinger der rechten Hand. Mit etwas Übung lässt sich die Panasonic ziemlich blind bedienen, am leichtesten findet man die ISO-Taste auf der Kameraoberseite. Und das nicht nur, weil sie die mittlere von drei Tasten ist, sondern auch aufgrund der beiden deutlich fühlbaren "Pickel" auf der Taste. Im Dunkeln muss man die Kamera zudem nicht völlig blind bedienen können, denn immerhin fünf der Tasten leuchten, sobald man die Status-LCD-Beleuchtung aktiviert. Dabei handelt es sich um die Tasten Wiedergabe, Q-Menü, Zurück, Display und Löschen. Außerdem lassen sich viele der Bedienelemente umprogrammieren. Vorbildlich sind auch das verriegelte Programmwählrad und der programmierbare Sperrschalter, der beliebige Bedienelemente sperrt.
Der elektronische Sucher ist eine Pracht, insbesondere, wenn man keine Brille benötigt oder mit der Dioptrienkorrektur im Bereich von -4 bis +2 Dioptrien auskommt. Dann nämlich kann man den 0,78-fach vergrößernden Sucher am dichtesten ans Auge nehmen und ihn am besten überblicken. Dank der hohen Auflösung von 5,76 Millionen Bildpunkten sind einzelne Pixel kaum noch auszumachen. Auch seitlich einfallendes Streulicht stört so am wenigsten. Ober- und unterhalb des Sucherbilds werden die Aufnahmeparameter eingeblendet (Sucher- und Monitor-Anzeigestil lassen sich aber auch anders konfigurieren). Andere Hilfsmittel, wie etwa die Gitterlinien oder die elektronische 3D-Wasserwaage, werden direkt ins Sucherbild eingeblendet. Sogar den aktuellen Arbeitsbereich des optischen Bildstabilisators kann man sich visualisieren lassen und damit beurteilen, ob er an seine Grenzen stößt. Das lässt allerdings die Einblendung der Autofokuspunkte etwas in den Hintergrund rücken.
Brillenträger mit starker Fehlsichtigkeit werden mit dem Sucher nicht ganz so glücklich. Dass Streulicht vermehrt eintritt, lässt sich nicht vermeiden. Aber die starke Vergrößerung führt dazu, dass man die Ecken nicht mehr einsehen kann. Panasonic bietet als Lösung eine umschaltbare Suchervergrößerung an. In Wahrheit wird einfach ein kleinerer Bereich des elektronischen Sucherdisplays genutzt, das heißt, man verliert effektiv auch etwas Auflösung. Je nach Abstand der Brille vom Auge kann man aber selbst bei der kleinsten Vergrößerung (0,7-fach) die Ecken nicht perfekt einsehen. Praktisch ist der Näherungssensor, der ab einem Abstand von etwa acht Zentimetern vom rückwärtigen Bildschirm auf den elektronischen Sucher umschaltet. Mit wahlweise 120 statt der 60 Bilder pro Sekunde bietet der Sucher zudem ein sehr flüssiges Bild.
Weniger gelungen ist die Realisierung der Belichtungsvorschau, womit auch das Live-Histogramm etwas an Nützlichkeit verliert. Während das Livebild bei Nutzung der Belichtungskorrektur entsprechend dunkler oder heller wird, ist dies im manuellen Belichtungsmodus nicht der Fall. Stattdessen muss man sich auf die Lichtwaage verlassen, die aber auch nur in einem eng begrenzten Bereich genau arbeitet. Aktiviert man die Belichtungszeitsimulation, bekommt man zwar eine Belichtungsvorschau, aber gleichzeitig auch den Belichtungszeiteffekt, sodass das Sucherbild bei längeren Belichtungszeiten (etwa bei Aufnahmen zur blauen Stunde vom Stativ) für die feine Bildkomposition äußerst unschön ruckelig wird.
Auf der Rückseite besitzt die Panasonic Lumix DC-S1R einen über acht Zentimeter großen Touchscreen, der sich nach oben, unten und zur Seite klappen lässt. Der 0,78-fach vergrößernde Sucher setzt mit 5,76 Millionen Bildpunkten Auflösung Maßstäbe. [Foto: MediaNord]
Den rückwärtigen Bildschirm könnte man zunächst für sehr gewöhnlich halten. Er misst etwas über acht Zentimeter in der Diagonale und lässt sich auf den ersten Blick nur um 45 Grad nach unten und 90 Grad nach oben klappen. Zusätzlich lässt sich der Bildschirm nach seitlicher Entriegelung aber auch um 60 Grad nach rechts klappen. Das kennt man bisher beispielsweise von Fujifilm. Damit lassen sich mit Handgriff oben Hochformat-Aufnahmen aus der Froschperspektive oder mit Handgriff unten aus der Vogelperspektive anfertigen. Solche Konstruktionen sind zudem sehr robust.
Bei der Bildschirmtechnik selbst handelt es sich um ein trotz heller RGBW-Subpixelmatrix mit weißen Subpixeln nur maximal knapp unter 700 cd/m² helles LCD, das man bei direkter Sonneneinstrahlung leidlich gut ablesen kann. Die Tiefen saufen dabei zwar ab, aber das Motiv erkennt man schon noch. Im Zweifel ist der OLED-Sucher die deutlich bessere Wahl in hellen Umgebungen. Auch wenn der Bildschirm mit 2,1 Millionen Bildpunkten nicht mit der Sucherauflösung mithalten kann, löst er doch deutlich feiner auf als die meisten anderen Bildschirme. Außerdem handelt es sich um einen Touchscreen, der dank Fingerabdruck-abweisender Beschichtung nicht ganz so schnell schmierig wird wie ohne. Er wird aber nicht immer ins Bedienkonzept mit einbezogen. Bei aktiviertem Livebild beispielsweise wird per Touch nur der Autofokuspunkt verschoben. Hat man per Taste eine Funktion oder das Menü aufgerufen, ist es plötzlich möglich, Funktionen auch per Fingertipper zu bedienen.
Die Touch-Schaltflächen erscheinen auch im Sucher, aber lassen sich nicht blind über den Bildschirm bedienen. Überhaupt verschiebt man defaultmäßig bei Verwendung des Suchers, anders als gewohnt, den Autofokuspunkt nicht per Touchmonitor, sondern mit dem gut funktionierenden Fokusjoystick. Die Touchpad-Funktion muss, genauso wie der Touch-Auslöser, erst per Menü aktiviert werden. Apropos Menü: Das ist sehr umfangreich und in zwei Ebenen organisiert. Die sechs Hauptkategorien enthalten jeweils bis zu neun mit Symbolen gekennzeichnete Unterkategorien, die ihrerseits bis zu acht Menüpunkte umfassen. Die Unterkategorien ersetzen die früheren Menüseiten bei Panasonic, was für etwas mehr Ordnung im Menü sorgt. Da man einzelne Menüpunkte so trotzdem manchmal nur schwer findet, kann man sich in einer Hauptkategorie ein Menü selbst zusammenstellen. Außerdem kann das Quickmenü angepasst werden und drei Benutzerspeicher erlauben den Zugriff auf häufig verwendete Aufnahmeeinstellungen.
Bei den Schnittstellen geizt Panasonic nicht. An der Unterseite befindet sich das Stativgewinde in der optischen Achse und mit reichlich Abstand zum Akkufach. Unter einer Abdeckkappe ist zudem der elektronische Anschluss für einen Multifunktionsgriff zu finden. Für 360 Aufnahmen nach CIPA-Standard reicht der Lithium-Ionen-Akku, wobei man dank einer Prozentanzeige stets genau über den Ladezustand informiert ist. Der Sucher ist dabei etwas stromfressender als der Bildschirm, 340 Aufnahmen sind damit möglich. Damit schluckt die S1R etwas mehr Strom als die S1, die jeweils auf 20 Bilder mehr pro Akkuladung kommt. Dank USB-C-Lade- und Dauerstromfunktion im ein- und ausgeschalteten Zustand sowie der mitgelieferten externen USB-C-Ladeschale und dem 18 Watt starken USB-C-Netzteil ist man beim Nachtanken der Energie maximal flexibel. Auch schwächere USB-Netzteile, beispielsweise vom Smartphone, taugen zumindest zum Nachladen des Akkus, wenn auch etwas langsamer als mit leistungsstärkeren Netzteilen. Die Verwendung einer Powerbank ist ebenfalls möglich.
Der Monitor der Panasonic Lumix DC-S1R lässt sich um bis zu 90 Grad nach oben klappen. [Foto: Medianord]
Auch 45 Grad nach unten ist für den Monitor kein Problem. [Foto: Medianord]
Der Monitor der Panasonic Lumix DC-S1R lässt sich nach Entriegelung auch seitlich nach rechts schwenken. [Foto: Medianord]
Die sonstigen Schnittstellen sitzen alle auf der linken Gehäuseseite. Große, robust wirkende Gummiabdeckungen schützen diese. Unter der unteren sind eine große HDMI-A-Buchse sowie der USB-C-Anschluss zu finden. Auch ein Kabelhalter zum Anschrauben befindet sich im Lieferumfang, um mechanische Belastungen von den Steckern und Buchsen fernzuhalten. Hinter der oberen Klappe befinden sich ein Mikrofon-Eingang und ein Kopfhörer-Ausgang, jeweils als 3,5 mm Stereoklinke. Und schließlich lässt sich an einer gesondert "verstöpselten" 2,5 mm Klinkenbuchse ein Fernauslösekabel anschließen. Zusätzlich kommuniziert die Lumix S1R drahtlos per WLAN auf 2,4 und 5 GHz sowie per Bluetooth, dazu am Ende des nächsten Abschnitts mehr.
Die Speicherkartenklappe befindet sich auf der Handgriffseite und verfügt wie die Akkufachklappe über eine Schaltersicherung. Anders als Canon oder Nikon setzt Panasonic auf zwei Speicherkartenfächer, wobei eines zu SD, SDHC und SDXC samt UHS I und II kompatibel ist und das andere zum schnelleren, robusteren, aber auch exotischeren und teureren XQD (später per Firmwareupdate soll auch eine Kompatibilität zu CFexpress folgen). Eine 400 MB/s schnelle XQD-Karte erreichte in der Kamera laut unserer Messung immerhin eine Speichergeschwindigkeit von 180 MB/s. Mit dem SD-Kartenfach kamen wir hingegen auf 123 MB/s von uns gemessener Speichergeschwindigkeit. Somit hätte auch die SD-Karte mit 250 MB/s Schreibgeschwindigkeit noch Luft nach oben gehabt.