Vollformat-Bokehmonster
Testbericht: Canon RF 85 mm F1.2L USM DS
2022-05-03 Canon setzt bei seinem spiegellosen R-Vollformatsystem unter anderem auf prestigeträchtige, hochlichtstarke Objektive. Darunter ist das RF 85 mm F1.2L USM DS ein ganz besonderes, denn es handelt sich nicht nur um ein klassisches Porträtobjektiv, sondern seine speziell vergüteten Linsen sollen mit ihrer zum Rand hin abnehmenden Transmission für ein noch weicheres Bokeh sorgen als die günstigere Version ohne diese Eigenschaft. Ob darunter aber die Bildqualität leidet und ob das Bokeh wirklich so schön ist, haben wir an der 45 Megapixel auflösenden Canon EOS R5 getestet. (Benjamin Kirchheim)
Neben einem zwei Zentimeter breiten Fokusring bietet das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS noch einen ein Zentimeter breiten, gerasterten Einstellring. [Foto: Canon]
Verarbeitung
Wuchtig ist beim Canon RF 85 mm F1.2L USM DS nicht nur der Preis. Fast 1,2 Kilogramm bringt es auf die Waage, dagegen wirkt die Testkamera, eine EOS R5, mit ihren 730 Gramm schon fast federleicht. So zerren insgesamt fast zwei Kilogramm (samt mitgelieferter Streulichtblende) am Kameragurt. Auch der Durchmesser ist mit knapp über zehn Zentimeter enorm, wird aber von der Länge mit fast zwölf Zentimetern sogar noch übertroffen. Bei dem Preis und Gewicht wundert man sich aber schon, dass das Gehäuse aus Kunststoff besteht. Es ist zwar gut verarbeitet, aber man hat dennoch nicht das Gefühl, ein 3.450-Euro-Objektiv in der Hand zu halten.
Das Bajonett hingegen besteht selbstverständlich aus Metall und ist von einer Dichtlippe umgeben. Überhaupt ist das ganze Objektiv gegen Staub und Spritzwasser geschützt. Das Filtergewinde wiederum, dessen Durchmesser stolze 82 Millimeter beträgt, besteht ebenfalls aus Kunststoff. So auch die mitgelieferte Streulichtblende, die eher wie ein Joghurtbecher ohne Boden wirkt. Sie ist knapp über sieben Zentimeter lang und misst gut 11,5 Zentimeter im Durchmesser. Zum Transport kann sie umgedreht am Objektiv montiert werden. Apropos Transport: Ein Objektivbeutel befindet sich ebenfalls im Lieferumfang.
Bedienung
Um an die Bedienringe zu kommen, muss die Streulichtblende zwingend abgenommen oder richtig herum montiert werden. Die beiden seitlichen Schalter hingegen werden von der umgedrehten Streulichtblende nur teilweise verdeckt, sind für spontane Schnappschüsse fauler Fotografen also noch erreichbar. Im Verhältnis zur Gesamtgröße wirkt der manuelle Fokusring mit einer Breite von zwei Zentimetern geradezu schmal, reicht aber völlig aus und ist griffig geriffelt und gummiert. Der Ring arbeitet rein elektronisch und gibt Steuerbefehle an den Objektivprozessor weiter, der diese wiederum in Befehle für den Fokusmotor umrechnet.
Mit den seitlichen Schiebeschaltern kontrolliert man beim Canon RF 85 mm F1.2L USM DS den Fokusmodus und dessen Einstellbereich. [Foto: MediaNord]
Das erfolgt nicht-linear, wodurch sich bei langsamen Bewegungen eine langsame Übersetzung realisieren lässt, während der Fokus bei kurzen, aber schnellen Bewegungen größere Bereiche schnell durchfährt. Auf Wunsch kann die Reaktion des Fokusrings über das Kameramenü auf einen linearen Betrieb umgeschaltet werden, was Videografen freuen dürfte. Der Ring dreht sich recht leicht und besitzt keinen Anschlag und auch keine Markierungen. Stattdessen muss man sich auf die Fokusskala auf dem Bildschirm beziehungsweise im Sucher verlassen. Dank Fokuslupe, feinfühligem Ring und Fokuspeaking sowie der geringen Schärfentiefe lässt sich das RF 85 mm F1.2L USM DS hervorragend manuell fokussieren.
Bei dem massigen Objektiv spürt man dennoch, wie der Fokus sich bewegt, ohne dass man ihn akustisch wahrnimmt. Im Autofokusbetrieb, umgeschaltet wird über den seitlich angebrachten Schiebeschalter, bemerkt man die Beschleunigung und das Abbremsen der bewegten Massen noch mehr, dennoch fokussiert das Objektiv recht flott und leise, auch an der Präzision gibt es nichts auszusetzen. Wer möchte, kann den Fokusbegrenzer per Schiebeschalter seitlich über dem AF-MF-Schalter aktivieren, damit steigt die Naheinstellgrenze von 85 Zentimetern auf 1,5 Meter, was unter Umständen für einen flotteren Fokus sorgt.
Übrigens profitiert der Porträtfotograf sehr vom Gesichts- und Augen-Autofokus: so kann man auch im Eifer des Gefechts bei offenen Blenden sicher sein, dass der Fokus auf dem Auge und nicht etwa der Augenbraue oder der Nase sitzt. Wie für ein typisches Porträtobjektiv ist die Naheinstellgrenze groß und der Vergrößerungsfaktor mit 0,12-fach entsprechend gering, für Nah- oder gar Makroaufnahmen ist das Objektiv also weder gebaut, noch geeignet.
Das Canon RF 85 mm F1.2L IS USM DS besitzt speziell vergütete Linsen, die zum Rand hin eine geringere Transmission besitzen und damit für ein noch weicheres Bokeh sorgen. [Foto: MediaNord]
Zusätzlich zum Fokusring besitzt das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS noch einen fein geriffelten, aber nicht gummierten Einstellring ziemlich weit vorne am Objektiv. Dieser rastet hör- und spürbar in feinen Schritten (das Rasten kann vom Canon-Service deaktiviert werden). Hier kann man sich Funktionen wie die Blendeneinstellung, Belichtungskorrektur oder ISO-Empfindlichkeit drauflegen, um sie direkt verstellen zu können.
Bildqualität
Hauptsächlich kauft man ein Porträtobjektiv, insbesondere ein so lichtstarkes, für seine Bildqualität und natürlich das Bokeh, also eine schöne Hintergrundunschärfe. Für die DS-Version des Objektivs bezahlt man sogar gut 450 Euro mehr als für die "normale" Version ohne die zum Bildrand abnehmende Transmission, die zwei Effekte auf das Foto hat. Der gewollte Effekt sind die Unschärfescheibchen im Vorder- und Hintergrund, die dadurch eine sanfte Kante bekommen und so regelrecht ineinander fließen. Ein schöneres Bokeh als bei einem solchen Spezialobjektiv wird man kaum bekommen.
Dafür muss man aber eine geringere Gesamttransmission in Kauf nehmen, wobei sich dieser Verlust in Grenzen hält. Er macht sich nur bei größeren Blendenöffnungen als F2,8 bemerkbar. Bis F2 verliert man eine Drittel Blendenstufe Licht, bei F1,4 ist es eine ganze Blendenstufe im Vergleich zu F2,8 und beim Aufblenden von F1,4 auf F1,2 verliert man den kompletten Lichtgewinn durch Öffnung der Blende. Entsprechend macht sich das besonders schöne Bokeh aber auch vor allem im Bereich von F1,2 bis F2 bemerkbar, auch wenn es bei geschlossenerer Blende, etwa F4, immer noch sehr schön ist (abgeblendet im Vordergrund etwas weniger schön als im Hintergrund). Stark abgeblendet (maximal F16 ist möglich) bildet sich übrigens kein Sonnenstern, dafür ist die Blende zu gut gerundet.
Wie wuchtig das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS ist, sieht man an der EOS R5. Mit Sonnenblende wiegt das Objektiv ein halbes Kilogramm mehr als die Kamera. [Foto: MediaNord]
Für die Korrektur von Farbsäumen im Unschärfebereich verbaut Canon eine BR-Optik (Blue Spectrum Refractive), die hervorragend ihren Dienst verrichtet. Zudem bleiben dank der hervorragenden ASC-Vergütung (Air Sphere Coating) die Kontraste auch im Gegenlicht hoch, es können sich je nach Winkel zur Sonne aber durchaus Lensflares zeigen, die angesichts der großen Blendenöffnung eher als großflächiger Schleier denn als punktförmige Reflexe auftreten.
Bei der Bildqualität in der Praxis und im Labor schneidet das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS hervorragend ab. Verzeichnung oder Farbsäume treten nicht auf und auch die Randabdunklung ist minimal. Die optische Konstruktion aus 13 Linsen in neun Gruppen mit asphärischen und UD-Linsen verrichtet zusammen mit der kamerainternen Korrektur also hervorragende Dienste. Auch die Auflösung gibt keinen Anlass zur Kritik. Bereits ab Offenblende erreicht das Objektiv im Bildzentrum bei 50 Prozent Kontrast über 85 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm), am Bildrand sind es fast 73. Das Auflösungsmaximum wird schon bei F2 mit 88 lp/mm erreicht, bis F11 hält sich die Auflösung im Bildzentrum bei über 70 lp/mm. Am Bildrand wird erst bei F5,6 das Auflösungsmaximum mit 79 lp/mm erreicht. Aber selbst bei Offenblende beträgt der relative Randabfall lediglich 15 Prozent, ab F4 ist er praktisch nicht mehr existent.
Fazit
Für den hohen Preis von knapp 3.450 Euro erhält man ein sehr wuchtiges, schweres, aber dafür vor allem optisch hervorragendes Objektiv. Am ehesten kann man die gefühlte Gehäusequalität bemängeln (Kunststoff), was aber nicht heißt, dass es nicht robust wäre, Staub und Spritzwasser sollen dank der Dichtungen draußen gehalten werden. Der Autofokus arbeitet schnell und leise, man spürt aber die bewegten Massen. Auch die manuelle Fokussierung gelingt problemlos und präzise. Optische Fehler wurden hervorragend auskorrigiert und auch die Auflösung ist bereits ab Offenblende hervorragend. In der Paradedisziplin, dem Bokeh, kann das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS in besonderem Maße überzeugen, vor allem im Bereich von F1,2 bis F2. Damit ist es eine klare Empfehlung für alle, die einerseits diese optische Leistung bei einem Porträtobjektiv wünschen und andererseits das nötige "Kleingeld" haben.
Kurzbewertung
- Wunderschönes Bokeh
- Praktisch keine optischen Fehler
- Hervorragende Auflösung bereits ab Offenblende
- Spritzwasser- und staubgeschützt
- Das Gehäuse besteht lediglich aus Kunststoff
- Groß und schwer
- Hoher Preis
Im digitalkamera.de-Testlabor werden mit Hilfe der Software Analyzer von DXOMARK verschiedene Bildqualitätsparameter gemessen. Der Labortest mit klar gestalteten und leicht verständlichen Diagrammen, Erklärungstexten in Form einer ausführlichen PDF-Datei zum Download kostet je nach Umfang 0,49 bis 1,49 EUR im Einzelabruf für eine Kamera und 0,49 bis 0,69 EUR für ein Objektiv. Flatrates, die den Zugriff auf das gesamte Labortest-Archiv erlauben, sind ab 2,08 EUR pro Monat buchbar. Eine Flatrate hat keine automatische Verlängerung und wird im Voraus für einen festen Zeitraum gebucht und bezahlt.