Lichtstarke High-End-Normalbrennweite
Testbericht: Zeiss Otus 1.4/55
2014-10-17 Rund ein Jahr nach der offiziellen Vorstellung konnten wir nun das Zeiss Otus 1,4/55 an der Nikon D800E sowohl im Labor als auch in der Praxis testen. Wie sein längerbrennweitiges Pendant Otus 1,4/85 ist das 55er manuell zu fokussieren, mit knapp 3.500 Euro ist es auch kaum billiger als das 85er. Trotz manuellem Fokus und in der Nikon-Version sogar optional verwendbarem manuellen Blendenring besitzt das Otus eine digitale Schnittstelle zur Kamera, womit es von dieser aus gesteuert werden kann und auch die Aufnahmedaten in den EXIF-Informationen der Bilder landen. (Benjamin Kirchheim)
Das Zeiss Otus 1.4/55 macht an der Nikon D800E eine ausgesprochen gute Figur, jedoch drückt die Kombination gut zwei Kilogramm auf die Waage. [Foto: MediaNord]
Als Testkamera diente die derzeit am höchsten auflösende Kleinbild-DSLR Nikon D800E, die in unseren Labortests die Nase sogar minimal vor der D810 hat. Mechanisch überzeugt das Zeiss Otus 1,4/55 auf ganzer Linie. Es besteht komplett aus präzise gearbeitetem Metall mit eingefrästen, in gelber Kontrastfarbe gefüllten Beschriftungen für eine hervorragende Ablesbarkeit. Allerdings ist das Objektiv durch dieses Alleinstellungsmerkmal schon von weitem als sehr wertvoll zu erkennen. Die mitgelieferte Streulichtblende besteht ebenfalls aus Metall und kann, um zumindest etwas Platz zu sparen, verkehrt herum auf das Otus gesetzt werden. Mit einem Durchmesser von rund neun Zentimeter und einer Länge von etwa 11,5 Zentimeter kann man das Otus nicht wirklich als kompakt bezeichnen, zudem wiegt es gut ein Kilogramm, zusammen mit der D800E und der Streulichtblende zerren gut zwei Kilogramm am Kameragurt.
Die Mechanik des Fokusrings überzeugt ebenfalls. Mit der breiten Gummierung lässt er sich gut fassen, der seidige mechanische Lauf sowie der Drehwinkel von gut 270 Grad von unendlich auf die Naheinstellgrenze von 50 Zentimeter erlauben eine sehr feine Fokussierung. Der Sucher der D800E ist jedoch nicht unbedingt perfekt auf manuelle Fokussierung abgestimmt, so fehlen typisch für eine moderne Autofokus-DSLR Einstellhilfen wie ein Prismenring oder Schnittbildindikator. Vor allem bei Offenblende empfiehlt sich aufgrund der geringen Schärfentiefe das Arbeiten vom Stativ, damit die Schärfe präzise dort sitzt, wo man sie haben möchte. Dank Live-View ist darüber hinaus eine Fokussierung mit Hilfe der 14-fach vergrößernden Lupe möglich, eine Scharfstellhilfe wie Fokus-Peaking bietet zumindest die D800E hingegen nicht.
Das Otus 1,4/55 bietet in der Nikon-Version einen Blendenring, der in halben Stufen eine manuelle Einstellung der Blende erlaubt, sofern von der Kamera unterstützt. Allerdings ist der Ring direkt am Bajonett gelegen und zudem im Durchmesser deutlich kleiner als der Rest des Objektivs und damit nicht besonders ergonomisch zu bedienen. Arretiert man den Blendenring bei F16, so lässt sich die Blende wie bei der Canon-Version, die ohne Blendenring auskommt, von der Kamera aus steuern, was wesentlich angenehmer ist. Dank elektronischen Kontakten versteht sich das Objektiv hervorragend mit der Kamera, die entsprechenden Aufnahmeeinstellungen landen in den EXIF-Daten der aufgenommenen Fotos.
Die Bildqualität kann bereits in der Praxis vollauf überzeugen. Das Objektiv löst bereits bei Offenblende gnadenlos hoch auf und zeigt feinste Details, zudem ist es sehr gut auf die Übertragung hoher Kontraste abgestimmt. In Extremsituationen, wo bei manch anderem Objektiv bereits die Lichter ausfressen oder die Schatten absaufen, zeigt das Otus noch Zeichnung. Die Optimierung auf Kontraste und Schärfe hat allerdings auch Nachteile: So glänzt das 1,4/55 nicht unbedingt mit dem allerschönsten Bokeh, sofern der Hintergrund nicht völlig verschwimmt. Denn selbst die Unschärfekreise zeigen hohe Kontraste und Randschärfe. Hier sollte man seine Motive beziehungsweise den Hintergrund und die Blende weise wählen.
Bei der Nikon-Version des Zeiss Otus 1.4/55 kann die Blende wahlweise an der Kamera oder am manuellen Blendenring eingestellt werden. [Foto: Zeiss]
Die Canon-Variante des Zeiss Otus 1.4/55 mm verzichtet auf einen Blendenring, hier erfolgt die Steuerung dank elektronischer Unterstützung komplett von der Kamera aus. [Foto: Zeiss]
Im Labortest löst das Zeiss Otus 1,4/55 wie bereits in der Praxis gesehen hervorragend auf. Von F1,4 bis F11 beträgt die Auflösung stets über 70 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm) im Bildzentrum, das Maximum liegt bei F4 mit 73,6 lp/mm (siehe Diagramm aus dem Labortest unten). Nur bei F16 zeigt die Beugung leichte Auswirkungen und begrenzt die Auflösung auf gut 65 lp/mm. Der Auflösungsabfall zum Bildrand mag bei Offenblende mit 10 lp/mm im ersten Moment hoch klingen, das sind jedoch gerade einmal 15 Prozent, die 60 lp/mm bewegen sich absolut gesehen auf sehr gutem Niveau. Beim Abblenden legt die Randauflösung kontinuierlich stärker zu als im Bildzentrum, so dass die Auflösung bis zur kleinsten Blende immer gleichmäßiger wird. Stellte das Zeiss Otus 1,4/85 mm das Nikon-Pendant noch deutlich in den Schatten, sind die Unterschied, zumindest abgeblendet, zum Nikon 1,4/50 und 1,8/50 nicht so gravierend, beide Objektive knacken die 70 lp/mm zumindest stark abgeblendet. Bei Offenblende jedoch ist das Otus 1,4/55 deutlich überlegen. Das Nikon 1,4/50 muss man für annähern ebenbürtige Leistungen auf F5,6 abblenden, das 1,8/50 sogar auf F8.
Die chromatischen Aberrationen des 55er Otus sind am Bildrand etwas stärker als beim 85er, aber insgesamt doch eher unkritisch. Die Randabdunklung ist bei F1,4 und F2 mit rund einer Blendenstufe, was 50 Prozent Lichtverlust entspricht, sichtbar, weist aber einen sanften Verlauf auf; ab F2,8 ist praktisch keine Randabdunklung mehr messbar, geschweige denn sichtbar. Mit rund 0,7 Prozent Tonnenform spielt die Verzeichnung praktisch ebenfalls kaum eine Rolle und beträgt beispielsweise nur die Hälfte des Nikon 1,4/50.
Fazit Optisch wie mechanisch ist der Zeiss Otus 1,4/55 über jeden Zweifel erhaben. Schon bei Offenblende löst es sehr hoch auf. Praktisch bei jeder einstellbaren Blende liefert das Zeiss eine konkurrenzlose Schärfe. Der Preis dafür ist ein nicht immer ganz so cremiges Bokeh. Neben dem sehr hohen Preis und Gewicht ist der rein manuelle Fokus der wohl größte Kompromiss, den man für die optische Leistung in Kauf nehmen muss. Vor allem bei Offenblende werden das Stativ und statische Motive quasi zur Pflicht, um die Schärfe auf Pixelebene präzise setzen zu können.
Kurzbewertung
- Sehr gut bedienbarer, geschmeidig laufender Fokusring
- Formidable Bildqualität
- Solide Verarbeitung mit hochwertiger Haptik
- Fokusskala mit großer, kontrastreicher Schrift
- Bei der Nikon-Variante schlecht erreichbarer Blendenring (Canon-Version ohne)
- Für ein 55 mm zu groß und schwer
- Hoher Preis
- Fehlender Autofokus
Im digitalkamera.de-Testlabor werden mit Hilfe der Software Analyzer von DXOMARK verschiedene Bildqualitätsparameter gemessen. Der Labortest mit klar gestalteten und leicht verständlichen Diagrammen, Erklärungstexten in Form einer ausführlichen PDF-Datei zum Download kostet je nach Umfang 0,49 bis 1,49 EUR im Einzelabruf für eine Kamera und 0,49 bis 0,69 EUR für ein Objektiv. Flatrates, die den Zugriff auf das gesamte Labortest-Archiv erlauben, sind ab 2,08 EUR pro Monat buchbar. Eine Flatrate hat keine automatische Verlängerung und wird im Voraus für einen festen Zeitraum gebucht und bezahlt.