2022-08-28 Verwackelte Videoaufnahmen möchte man vermeiden, das ist klar. Ein wackeliges Kamerabild ist nicht schön anzuschauen, einigen Leuten wird sogar übel, wenn sie wilde Actioncam-Fahrten auf einem großen Bildschirm anschauen müssen. Die Szene darf gerne actionreich sein, aber die Kamera – genauer gesagt: der gezeigte Bildausschnitt – sollte sich dabei möglichst langsam bewegen. Um das zu erreichen, gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. In diesem Grundlagen-Fototipp stellen wir die die verschiedenen Verfahren vor. (Jan-Markus Rupprecht)
Elektronische Stabilisierung in der Kamera
Die rein elektronische Stabilisierung funktioniert im Prinzip so, dass die Kamera mehr Bildwinkel aufnimmt, als das Video am Ende zeigt. Eine sehr leistungsfähige Bildverarbeitung vergleicht noch während der Aufnahme Bild für Bild des Videos. Aus dem großen Bild wird also ein kleineres Teilbild genommen. Welcher Bildausschnitt das jeweils ist, entscheidet die Elektronik. Das passiert z. B. 30-mal pro Sekunde oder 60-mal. Oder bei Zeitlupe-Aufnahmen noch öfter. Irgendwann stößt die Leistungsfähigkeit des Bildprozessors an seine Grenzen, z. B. Zeitlupenaufnahmen mit hoher Frequenz können dann evtl. (abhängig von der jeweiligen Kamera) doch nicht stabilisiert werden.
Der Bildbeschnitt kostet natürlich auch effektiv Auflösung. Wenn aus einem 12-Megapixel-Sensor einer Actioncam im 4:3-Seitenverhältnis ein 16:9-Format-Video in ultrahoher 4K-Auflösung gemacht werden soll, dann reicht die Auflösung dafür meist so gerade eben. Wenn die Kamera nun rundum noch 10 oder 20 Prozent für die Bildstabilisierung abschneidet, dann fehlt dem UHD-Video effektiv Auflösung bei der Aufnahme und die Kamera muss das Video deutlich hochskalieren. Das ist dann im Grunde kein echtes 4K/UHD mehr und das sieht man dem Video dann auch an – es ist nicht so knackig scharf, wie es sein könnte. Das ist auch der Grund, warum bei Actioncams die Sensorauflösungen in letzter Zeit nach oben gehen.
Actioncams wie die GoPro HERO10 Black besitzen oft eine eingebaute elektronische Bildstabilisierung, deren Leistungsfähigkeit jedoch höchst unterschiedlich ausfallen kann. GoPro ist in diesem Punkt bislang der Konkurrenz klar überlegen. [Foto: GoPro]
Das Prinzip des elektronischen Bildstabilisators: Von der effektiven Pixelzahl des Bildsensors wird nur ein Teil genutzt, um Kamerabewegungen auszugleichen und ein möglichst ruhiges Videobild zu erzeugen. [Foto: Wilfried Bittner]
Wenn die Kameras wiederum genug Auflösung liefern und die Bildverarbeitungselektronik sehr leistungsfähig ist, kann man noch einen Schritt weiter gehen und auch einen Horizont-Ausgleich einbauen. Hierbei wird mithilfe der Daten vom Gyrosensor das fertige Video immer exakt gerade ausgerichtet, selbst wenn die Kamera schräg gehalten wurde, was z. B. beim Motoradfahren oder Segeln ständig der Fall ist und in beiden Fällen ziemlich extreme Winkel annehmen kann. Je nach Einstellung und Hersteller funktioniert der Horizontausgleich bis maximal ca. 22,5 Grad, bis 45 Grad oder sogar komplett rundum (360 Grad). Je größer der Stabilisierungswinkel, desto weniger effektive Sensorfläche kann wirklich genutzt werden (bei 360 Grad sehr wenig). Gleichzeitig verringert sich der nutzbare Bildwinkel stark. Aus einem Ultraweitwinkel wird dann z. B. ein schmaler Bildwinkel. Das passt für die jeweilige Anwendung nicht immer. Wo man das aber nutzen kann, ist der Effekt spektakulär.
Vorteile: Komplett integrierte Lösung, die Kamera bleibt sehr klein und gegen Wasser geschützt bzw. wasserdicht. Extrem robust, da komplett ohne mechanische Komponenten. Stabilisierung sowohl in Auf/Ab- und Links/Rechts-Richtung als auch Drehbewegungen.
Nachteile: Je höher die Stabilisierungswirkung, desto mehr effektive Sensorauflösung und Bildwinkel gehen verloren. Je nach Kameramodell lassen sich hohe Bildwiederholfrequenzen (Zeitlupe) oder hohe Auflösungen (4K, 5,7K) mitunter nicht stabilisieren, weil dafür die Prozessorleistung nicht ausreicht. Die Stabilisierung kann mitunter ungewünschte Ergebnisse erzeugen, wenn die Elektronik z. B. einen langsamen Kameraschwenk nicht als solchen erkennt und versucht, diesen zu stabilisieren (sichtbar als Ruckler im Video, in solchen Fällen müsste man die Stabilisierung vorher ausschalten, aber oft sieht man das unbefriedigende Ergebnis erst im Nachhinein).
Elektromechanische Stabilisierung per Gimbal
Ein anderes Verfahren ist es, die Kamera elektromechanisch zu stabilisieren. Dabei wird die Kamera in einen so genannten Gimbal Head gebaut. Dieser hat normalerweise drei bewegliche Achsen mit drei Elektromotoren und soll dafür sorgen, dass die Kamera immer gerade hängt und bei hektischen Schwenks sanft, d. h. verzögert, nachgeführt wird. Solche Gimbals gibt es für Actioncams (auch sogar in wasserdichter Ausführung) und Smartphones sowie natürlich auch für größere Kameras. Zudem gibt es integrierte Lösungen, bei denen die Kamera direkt fest verbaut ist, wie beispielsweise bei Drohnen-Kameras oder bei den Geräten der Osmo-Baureihe von DJI (z. B. DJI Pocket 2).
Elektromechanische Gimbals gibt es vielen Varianten. Hier ein Gimbal für Systemkameras, auf dem sich eine Nikon Z 5 mit Objektiv Z 24-50 mm F4-6.3 und Aufsteckmikrofon befindet. [Foto: Nikon]
Auch für Smartphones gibt es preisgünstige, leistungsfähige Gimbals, mit denen man schon sehr professionell wirkende Videoaufnahmen machen kann. [Foto: DJI]
Kameras wie die DJI Pocket 2 sind quasi handgehaltene Actioncams mit einem Gimbal zur wirkungsvollen Bildstabilisierung. [Foto: DJI]
Die mächtige Kamera DJI Ronin 4D-6K bietet ebenfalls alles in einem System: Sehr leistungsfähige Aufnahmeeinheit mit großem Tageslicht-Monitor, Kameraeinheit mit Wechselobjektiv-Bajonett und einen leistungsfähigen Gimbal, der sogar vertikal ausgleicht. [Foto: DJI]
Gimbals sind bei Kameradrohnen nicht wegzudenken. Im Flug müssen die Gimbals die ständigen starken Bewegungen der Copter wirkungsvoll ausgleichen. Die Kamera wird dabei in der Ausrichtung (vorne vs. unten) gesteuert und in drei Achsen stabilisiert. [Foto: DJI]
Vorteile: Die Auflösung des Bildsensors bleibt voll erhalten (gut für die Qualität) und keine Einschränkungen hinsichtlich Videoauflösung und Bildfrequenz. Dazu bietet diese Technik einen extrem weiten Stabilisierungsbereich. Es ist praktisch nahezu egal, wie sehr die Hand, die den Gimbal führt (oder der Copter) wackelt – die Kamera blickt unbeirrt geradeaus.
Nachteile: Reine Auf-/Ab-Bewegungen, wie sie beim Gehen passieren oder bei einem ungefederten Fahrrad auf schlechtem Straßenbelag werden kaum stabilisiert. Zudem ist die Mechanik mit den drei Achsen und Motoren nur begrenzt robust und nur selten wasserfest und die gesamte Einheit hat eine gewisse Größe und ein Gewicht, das die Montage erschweren oder unmöglich machen kann (z. B. auf einem Helm).
Elektromechanische Stabilisierung innerhalb der Kamera
Noch einen dritten Weg geht Sony bei einigen wenigen seiner Actioncams sowie bei handgehaltenen Camcordern, bei denen ein so genannter Balanced Optical Steady Shot (BOSS) eingebaut ist. Dabei ist die gesamte-Objektiveinheit inklusive Bildsensor innerhalb des Kameragehäuses beweglich gelagert und elektronmechanisch stabilisiert. Das Kameragehäuse kann also wackeln, die Kameraeinheit im Innern guckt trotzdem geradeaus.
Der Camcorder Sony FDR-AX33 besitzt eine beweglich gelagerte Objektiv-Sensor-Einheit. Das System heißt B.O.SS. für Balanced Optical Steadyshot. [Foto: Sony]
Selbst die winzige Actioncam Sony FDR-X3000R besitzt eine beweglich gelagerte Objektiv-Sensor-Einheit und damit eine sehr effektive Bildstabilisierung ohne Bildbeschnitt. [Foto: Sony]
Die Auflösung des Bildsensors bleibt dabei voll erhalten (gut für die Qualität) und es gibt keine Einschränkungen hinsichtlich der Videoauflösung und Bildfrequenz. Zudem spielt sich alles innerhalb des Gehäuses ab, die Actioncam ist spritzwassergeschützt (größere Camcorder nicht) und mit einem sehr kompakten Schutzgehäuse sogar tauchfähig. Dafür gibt es jedoch einen relativ eingeschränkten Stabilisierungsbereich und eine je nach Kamerabewegung recht unterschiedliche Stabilisierungsleistung. Neigebewegungen links/rechts und oben/unten werden am besten stabilisiert, Auf/Ab-Bewegungen auch noch recht gut. Bei Drehbewegungen stößt das Verfahren aber relativ schnell an seine Grenzen.
Vorteile: Die Auflösung des Bildsensors bleibt voll erhalten (gut für die Qualität) und keine Einschränkungen hinsichtlich Videoauflösung und Bildfrequenz. Sehr wirksam bei Verwackelungen aus der Hand.
Nachteile: Vor allem Drehbewegungen werden fast gar nicht stabilisiert.
Stabilisierung im Objektiv
Bei vielen Smartphones, Kompaktkameras und Wechselobjektiven von Systemkameras sind bewegliche Linsen oder Linsengruppen innerhalb des Strahlengangs eingebaut, die Verwackelungen ausgleichen können. Diese Form der Stabilisierung ist hauptsächlich für Foto-Anwendungen gedacht und insbesondere bei längeren Brennweiten im Telebereich gut wirksam, um längere Belichtungszeiten aus der Hand verwacklungsfrei fotografieren zu können. Für Videoanwendungen zeigt sie keine ausreichende Wirkung, ist aber besser als nichts. Ein aus der Hand gefilmtes Video wird man allein mit der objektivbasierten Stabilisierung nicht ausreichend beruhigt bekommen.
Bildstabilisations-Einheit aus dem Objektiv Tamron SP 45 mm F1.8 Di VC USD. [Foto: Tamron]
Prinzip des optischen Bildstabilisators im Objektiv. Eine verschiebbare Linsengruppe im Strahlengang gleicht Verwackelungen während der Aufnahme aus. [Foto: Wilfried Bittner]
Vorteile: Oft im Objektiv bereits eingebaut. Bildwinkel bleibt voll erhalten.
Nachteile: Wirkung fürs Videofilmen zu gering. Kann zu minimalen, meist nicht sichtbaren Unschärfen führen (und sollte deshalb bei auf einem Stativ montierter Kamera normalerweise ausgeschaltet werden).