Rubriken: Grundlagenwissen, Video

Vor- und Nachteile verschiedener Stabilisierungsverfahren bei Videos

Seite 2 von 2, vom 2022-08-28 (Autor: Jan-Markus Rupprecht)Zur Seite 1 wechseln

Stabilisierung über beweglich gelagerten Bildsensor

Die so genannte Sensor-Shift-Bildstabilisierung ist heute weit verbreitet und setzt sich immer mehr durch; interessanterweise hauptsächlich bei eher kleinen Sensoren (Micro Four Thirds) und großen Bildsensoren (Kleinbild-Vollformat und Mittelformat), etwas zögerlicher im Bereich der Kameras mit APS-C-Sensor. Bei kleineren Sensoren (1 Zoll und kleiner) findet man es gar nicht.

Die Idee dahinter ist, dass der Sensor die Verwackelungen der Kamera ausgleicht, sich also innerhalb des Kameragehäuses gegenläufig zu deren Bewegung verhält. Ähnlich wie die Stabilisierung im Objektiv zielt dies darauf, längere Belichtungszeiten aus der Hand verwacklungsfrei fotografieren zu können und ist dann insbesondere bei Weitwinkel-Brennweiten gut wirksam. Im Gegensatz zur Objektiv-Bildstabilisierung kann die Bildstabilisierung über den Sensor auch Drehbewegungen der Kamera ein bisschen stabilisieren.

Für Videoanwendungen ist diese Form der Stabilisierung eigentlich nicht gedacht und theoretisch auch nicht wirksam genug. Gerade die Kameras von Olympus mit ihren relativ kleinen Micro Four Thirds Bildsensoren haben allerdings eine so wirksame Sensor-Shift-Stabilisierung, dass diese sogar bei handgehaltenen Videos eine sehr gute Wirkung zeigen.

Vorteile: Funktioniert grundsätzlich unabhängig vom verwendeten Objektiv. Bildwinkel bleibt voll erhalten.

Nachteile: Drehbewegungen können nur in einem kleinen Winkel ausgeglichen werden. Wirksamkeit ist abhängig von der Brennweite des Objektivs.

Nachträgliche Stabilisierung per Software

Ein Video, das selbst noch nicht (oder nicht ausreichend) stabilisiert ist, kann auch nachträglich per Software stabilisiert werden. Hierzu gibt es etliche spezialisierte Programme (z. B. Mercalli der Firma proDAD), oft ist die Funktion aber auch in Videoschnittprogrammen eingebaut (oder dort ein Zusatzmodul) oder sie ist integraler Bestandteil von Kamerahersteller-spezifischen Software-Lösungen. Insta360 beispielsweise macht früher die Stabilisierung nicht bereits während der Aufnahme innerhalb der Kamera, sondern später bei der Weiterverarbeitung im Smartphone oder auf dem Windows-oder Apple-Rechner (neuere Kameras von Insta360 haben auch eine eingebaute Stabilisierung). Bei GoPro ist es genau umgekehrt: hier erfolgte die Stabilisierung früher ausschließlich intern in der Kamera. Erst die 2022 vorgestellte Software GoPro Player bietet für Videos aus GoPro-Kameras eine Bildstabilisierung per Software an.

Die nachträgliche Stabilisierung funktioniert im Prinzip exakt genauso wie die elektronische Stabilisierung innerhalb der Kamera. Herstellerspezifische Lösungen, wie die von Insta360, nutzen dabei sogar Gyrosensor-Informationen, die in dem Video mit abgespeichert sind. Fehlen solche Daten oder ist die Software universell gehalten, bleibt nur der Vergleich von Bild zu Bild über einen gewissen Zeitraum, um die gewünschte Stabilisierungswirkung zu erreichen.

Das Verfahren kann extrem wirksam sein, hat aber natürlich die gleichen Nachteile wie die elektronische Stabilisierung in der Kamera: Je stärker die Stabilisierung, desto weniger bleibt vom Video effektiv übrig (Bildbeschnitt). Dasselbe gilt für den Bildwinkel. Ein Vorteil der nachträglichen Stabilisierung kann sein, dass man die Stabilisierung nachträglich nur so stark wie nötig einstellen braucht und dadurch möglicherweise mehr Bildwinkel und Auflösung erhalten kann, als wenn man von vornherein ein stabilisiertes Video in der Kamera erzeugt hätte. Ein anderer Vorteil, aber gleichzeitig auch Nachteil, ist, dass die Verarbeitung auf dem PC nicht in Echtzeit erfolgen muss, dies aber auch nicht tut: Anders gesagt: Der Rechner hat nachträglich alle Zeit der Welt und genehmigt sich diese auch – das Stabilisieren von Videos gehört zu den zeitaufwändigsten Videoverarbeitungstechniken überhaupt.

Wichtig bei der nachträglichen Stabilisierung ist, dass das Ausgangsvideo dafür genug "Futter" liefert. Wer ein stabilisiertes 4K-Video herausbekommen will, darf kein 4K-Video reintun, sondern braucht eine höhere Auflösung (z. B. 5,7K). Andererseits lässt sich aus einem 4K-Videos sehr gut ein stabilisiertes FullHD-Video erstellen. Ein Vorteil ist, dass auf diese Weise auch hohe Bildfrequenzen, z. B. für Zeitlupen, genutzt werden können. Die Stabilisierung intern in der Kamera begrenzt oft die mögliche Bildfrequenz, weil der kamerainterne Prozessor die Stabilisierung sonst nicht bewältigen kann. Bei der nachträglichen Stabilisierung gibt es das Problem nicht (das Stabilisierungsprogramm rechnet nur entsprechend länger an den Videos herum).

Ein weiterer Vorteil der nachträglichen Stabilisierung ist, dass das Eingangsmaterial dann in sehr hoher Auflösung zur Verfügung stehen kann (und auch sollte). Daraus lassen sich Standbilder in hoher Qualität entnehmen, deren Beschnitt man individuell im Bildbearbeitungsprogramm vornehmen kann oder bei dem womöglich gar kein Beschnitt (z. B. ein Horizontausgleich) nötig ist. Auf diese Weise erhält man einerseits hochauflösende Fotos mit weitem Bildwinkel und andererseits perfekt stabilisierte Videos in etwas geringerer Auflösung und mit verringertem Bildwinkel.

Plant man eine nachträgliche Stabilisierung per Software, sollte man die nötige Reserve sowohl beim Bildwinkel als auch bei der Videoauflösung bereits bei der Aufnahme mit einplanen. In dem Fall würde man z. B. bei Actioncams die interne Stabilisierung eher abschalten (weil diese bereits Bildwinkel kostet) und den weitest möglichen Bildwinkel (z. B. "Weit") und die höchstmögliche Auflösung (z. B. 4K oder 5,3 K) einstellen.

Vorteile: Volle Videoauflösung und Videoqualität steht für Standbilder zur Verfügung. Höhere Bildfrequenzen und Zeitlupen sind realisierbar.

Nachteile: Verlust an Auflösung während der nachträglichen Stabilisierung (Quellvideo sollte höher auflösend sein als das am Ende benötigte Video). Sehr zeitaufwändig. Extra Software erforderlich (ggf. kostenpflichtig).

Kombinierte Lösungen

Die genannten Verfahren lassen sich gut kombinieren. Beispielsweise arbeitet bei Systemkameras häufig die Sensor-Shift-Stabilisierung mit der Objektiv-internen Stabilisierung zusammen. Jede von beiden arbeitet dann in dem Bereich, in dem sie am wirksamsten ist und das Ergebnis ist oft eine noch bessere Stabilisierung und eine Stabilisierung über alle Brennweitenbereiche. Dennoch sind diese Stabilisierungsarten eher auf Foto-Anwendungen ausgelegt und für Videoanwendungen oft nicht ausreichend. Deshalb wird die Stabilisierung per Sensor-Shift und Objektiv oft noch mit einer elektronischen Stabilisierung kombiniert, die den nutzbaren Bildwinkel etwas verkleinert und im Gegenzug für ein ganz ruhiges Videobild sorgt.

Alternativ und zusätzlich kann dann noch ein Gimbal verwendet werden. Selbst mit einem Gimbal kann es Sinn ergeben, die anderen Verfahren zusätzlich einzuschalten und zu nutzen, denn eine beweglich in einem Gimbal gelagerte Kamera ist zwar hervorragend gegen grobe/große Winkeländerungen geschützt, Auf-Ab-Bewegungen, sie sie z. B. durch Gehen/Tragen der Kamera oder bei Fahrzeugen durch Schlaglöcher oder Kopfsteinpflaster erzeugt werden, kann ein Gimbal jedoch kaum ausgleichen. Hier greifen dann die anderen Stabilisierungsverfahren und die Kombination sorgt für ein insgesamt in jeder Hinsicht perfekt stabilisiertes Video.

Vorteil: Sehr gute Stabilisierungsleistung bei akzeptablen Einbußen bei der Bildqualität und beim Bildwinkel.

Nachteil: Eventueller Qualitätsverlust durch die elektronische Stabilisierung.

Artikel-Vorschläge der Redaktion