2016-07-29 Mitte Mai hatten wir unseren viel beachteten Test des Huawei P9 auf digitalEyes.de veröffentlicht und gleichzeitig den kommentierten Labortest auf digitalkamera.de. Aufgrund der Kürze des Testzeitraumes konnten wir uns damals – im Messlabor und in der Praxis – vorrangig um die allgemeine Bildqualität und das Handling kümmern, aber nicht so weit in die Doppelkamera-Technik einsteigen, wie wir selbst es gern wollten. Heute kommen wir, mit dem Huawei P9 Plus als neues Testgerät bestückt, auf die Details der Kamera zurück und versuchen die Technik weiter zu ergründen. (Jan-Markus Rupprecht)
Die Dual-Kamera des Huawei P9 soll neue Möglichkeiten bei der Smartphone-Fotografie eröffnen. Eine Kamera ist mit einem normalen RGB-Farbsensor bestückt, die zweite Kamera besitzt einen Graustufen-Sensor. [Foto: Huawei]
Das Huawei P9 ist das erste Smartphone aus der Kooperation von Huawei mit Leica. [Foto: MediaNord]
Auf der Rückseite des Huawei P9 erkennt man oben links die beiden "Kamera-Augen". [Foto: MediaNord]
Als AMOLED-Display des Huawei P9 Plus liefert leuchtende Farben und starke Kontraste, ohne unnatürlich zu wirken. [Foto: MediaNord]
Das Huawei P9 bzw. P9 Plus (nicht jedoch P9 Lite) mit seiner "Leica-Kamera" sorgte für einigen Wirbel, insbesondere natürlich bei Foto-Interessierten, die viel Wert auf eine gute Bildqualität legen. Als bekannt wurde, dass das Kamerasystem nicht von Leica gefertigt wird (das hatte aber auch niemand behauptet), sondern von dem chinesischen Unternehmen Sunny Optica, unkten schon einige, das alles sei nur ein Marketing-Deal. Dass aber Leica in Solms keine Kameramodule für Massenprodukte wie Smartphones fertigt (und dann nach China zum Einbauen schickt), ist irgendwie klar. Huawei veröffentlichte im April noch einmal explizit eine Klarstellung, dass die im Februar bekanntgegebene Zusammenarbeit mit Leica schon während der gesamten Entwicklung des P9 bestanden habe und es sich tatsächlich um eine signifikante technologische Zusammenarbeit beider Firmen handele.
Etwas ungeschickt war dann der PR-GAU im Juni, bei dem ein (wie man den Exif-Daten entnehmen konnte) mit einer Profi-Spiegelreflexkamera von Canon aufgenommenes Foto in einem Kontext auftauche, aus dem man schließen konnte, das Foto sei mit einem Huawei P9 aufgenommen. Das hatte zwar niemand behauptet, aber die Wellen in den sozialen Medien schlugen dennoch einigermaßen hoch. Sicherlich auch nicht ganz geschickt, die Sache.
Huawei P9 versus P9 Plus
Dabei hat das Huawei P9 sowas gar nicht nötig. In unseren Augen ist es schlicht derzeit das Smartphone mit der besten Kameratechnik (abgesehen vom nicht flachen Panasonic Lumix DMC-CM1 mit 1-Zoll-Sensor). Der Eindruck erhärtete sich durchaus auch bei der zweiten Testleihstellung. Diesmal hatten wir um ein P9 Plus gebeten. Das ist sozusagen die größere Edel-Variante des normalen Huawei P9. Der Bildschirm ist noch etwas größer (5,5 statt 5,2 Zoll) und er ist vor allem ein AMOLED-Typ, d. h. er ist selbstleuchtend und mit extrem hohen Kontrast. Die Farben springen einen, ohne unnatürlich grell zu wirken, förmlich an, dass es eine Freude ist und der Kontrast ist großartig. Dazu ist der serienmäßige Speicher mit 64 GByte opulent bestückt und der Arbeitsspeicher 4 statt 3 GByte groß. Mit im Lieferumfang ist auch eine transparente Schutzhülle ("Bumper"), die dem normalen P9 nicht beiliegt. Und das Gehäuse hat ein edleres Gehäuse-Finish: Die Metalloberfläche weist eine ganz dezente Struktur auf ("gebürstet"). Auf der Rückseite ist sie allerdings scheinbar mit Hochglanz überlackiert (sichtbar, aber nicht fühlbar) und wie beim P9 klebt der billig wirkende CE-Aufkleber auf den europäischen Geräten. Seitlich am Rahmen spürt man hingegen die leichte Struktur des Metalls. Das fühlt sich richtig an und erhöht auch etwas die Griffigkeit. Die Dicke von nur 7 mm ist identisch mit dem normalen P9. Da das Gerät aber insgesamt noch ein wenig größer ist, wirkt es subjektiv noch etwas flacher und damit noch edler. Der Preisunterschied (Listenpreis) des P9 Plus zum P9 beträgt 130 Euro. Dieser Aufpreis ist gut angelegt, finden wir, vor allem für das tolle Display.
Huawei P9 (links) und P9 Plus im direkten Größenvergleich. Das etwas größere Display des P9 Plus ist nicht der entscheidende Unterschied. Als AMOLED-Typ bietet es leuchtende Farben und stärkere Kontraste. [Foto: MediaNord]
Huawei P9 (links) und P9 Plus im direkten Größenvergleich. Den hässlichen CE-Zeichen-Aufkleber auf der Rückseite haben die europäischen Versionen beider Geräte. Das Gehäuse des P9 ist matt, das des P9 Plus in gebürstetem Metall-Finish. [Foto: MediaNord]
Schon direkt nach dem Test des P9 im April erreichten uns Leserzuschriften, dass wir der tollen Hintergrundunschärfe-Funktion gar keine Bedeutung geschenkt hatten. Das stimmt und das holen wir hiermit nach. Auch wollten wir gern versuchen herauszufinden, was die Leica-Doppelkamera wann wie macht. Aber das war nicht so einfach. Wir hatten sogar eine Telefonkonferenz mit der Presseagentur und dem Produktmanagement von Huawei. Aber: Genaues weiß man nicht! Die Kamera ist praktisch eine Black Box, sie arbeitet in sich weitgehend autark. Vieles geht zwar nur mit der (sehr, sehr guten) Huawei-P4-Kamera-App, aber wann mit einer und wann mit beiden Kameras fotografiert wird, das kann der Anwender nicht explizit festlegen und bekommt auch kein Feedback darüber. Wann mit einer Kamera aufgenommen wird und wann mit beiden, z. B. weil das Licht nicht mehr ausreicht, das entscheidet also allein die Kamera intern und nicht etwa die App oder der Anwender. Eine Sache in dem Gespräch fanden wir interessant: Damit die beiden Kameras gut zusammenarbeiten, müssen diese recht genau zueinander ausgerichtet (evtl. justiert, genaues weiß man nicht) sein. Vielleicht nicht unbedingt Pixelgenau, aber doch auf jeden Fall nicht schräg zueinander. Das scheint eine gewisse Herausforderung in der Produktion zu sein. Und das ist auch der Grund, warum die Kameras keinen optischen Bildstabilisator haben können (was von einigen Testern moniert wird). Ein Bildstabilisator im Objektiv besteht ja aus beweglichen Linsen und es wäre anscheinend ganz unmöglich, dass sich in zwei parallelen Kamera-Einheiten die Stabilisierungseinheiten exakt gleich bewegen. Das müssten sie aber, denn sonst ist es vorbei mit den beiden deckungsgleichen Bildern. Deshalb also kein Bildstabilisator.
Das "wann schaltet sich eigentlich die zweite Kamera zu?" lässt sich auch für uns als Tester also nicht leicht herausfinden. Ein Weg, das zu tun, schien es natürlich, die zweite Kamera (die Graustufenkamera) bei einer Vergleichsaufnahme abzudecken. Ganz so einfach ist das aber nicht. Die Huawei-Kamera-App im P9 bzw. P9 Plus ist so intelligent zu erkennen, wann etwas vor der Linse ist. Dann wird der Hinweis eingeblendet: "Achten Sie vor der Aufnahme darauf, dass die Linse nicht verdeckt wird". Ein Foto macht die Kamera auch mit verdeckter Zweitkamera. Man muss also zahlreiche Vergleichsaufnahmen – mit und ohne abgedeckter Zweitkamera – machen, und dann schauen, was dabei herauskommt. Übrigens ist die von hinten betrachtet rechte von den beiden Kameras (die in der Nähe des LED-Blitzes sitzt) die Farbkamera. Die linke (mehr zur Gehäuseecke hin angeordnete) Kamera ist die Graustufenkamera.
Huawei P9 und P9 Plus haben ein gemeinsames Fach für Speicher- und SIM-Karte. [Foto: MediaNord]
Die Huawei P9 und P9 Plus Smartphones gehören zu den ersten Geräten, die eine USB Typ-C-Buchse haben. Bei Typ C ist es egal, wie herum man den Stecker einsteckt. [Foto: MediaNord]
Huawei P9 - Rückseite im Detail. [Foto: MediaNord]
Qualitätsverbesserung durch zwei Kameras
Zunächst haben wir das Spielchen im Testlabor betrieben. Bei all diesen Aufnahmen ist keinerlei Unterschied zwischen den beiden Vergleichsbildern zu sehen. Es wird ja von diversen Testern ohnehin vermutet, dass unter normal hellen Aufnahmebedingungen sowieso nur die Farbkamera arbeitet. Aber laut Huawei ist die Schwarzweißkamera 300 Prozent lichtempfindlicher und wird bei Situationen mit wenig Umgebungslicht zugeschaltet. Wie kann es dann sein, dass unsere Labor-Testaufnahmen davon ganz offensichtlich nicht profitieren? Die Kamera hatte im Automatik-Modus ISO 3.200 eingestellt und 1/17 Sekunde belichtet (für eine Aufnahme vom Stativ bei erkennbar unbewegtem Motiv übrigens keine ideale Einstellung, eine intelligentere Automatik hätte einen niedrigeren ISO-Wert genommen und dafür länger belichtet). Es mag sein, dass die Black Box aus irgendwelchen Gründen der Meinung war, für diese Aufnahme im Schummerlicht reiche eine Kamera. Aber wenn die zweite Kamera nicht unter solchen Low-Light-Bedingungen genutzt wird, wann dann?
Erst nach der Auswertung weiterer Aufnahmen aus dem Labor kamen wir auf die richtige Fährte. Bei den Aufnahmen vor unserer Testtafel sieht man sehr deutlich den Unterschied im Bildausschnitt, der aus dem Paralaxen-Versatz durch den Abstand der beiden Kameras entsteht. Wenn die Farbkamera richtig auf die 4:3-Marken unseres Testaufbaus einjustiert ist, dann zeigen die Aufnahmen, die im Monochrom-Modus gemacht werden, natürlich einen deutlichen Versatz. Vor unserem Testaufbau fällt das besonders auf, weil das Smartphone mit seinem 27 mm Weitwinkelobjektiv ziemlich dicht davorsteht. Wenn doch die Aufnahmen der Farb- und Schwarzweißkamera einen so deutlichen Versatz haben, wie sollen die Bilder dann überhaupt sinnvoll zusammengerechnet werden? Die Antwort lautet: gar nicht. Also alles nur Fake?
Da die Sache im Nahbereich ganz offensichtlich funktioniert, haben wir abends in der Dämmerung vom Stativ Außenaufnahmen gemacht. Bei diesen ist das Motiv weit von der Linse entfernt, der kleine Versatz der beiden Objektive macht also keinen Unterschied im Bild. Und siehe da: Dann funktioniert die 2-Kamera-Technik! Und zwar teilweise sehr, sehr gut! Wirklich eindrucksvoll ist eine Aufnahme zur sogenannten Blauen Stunde. Wo die Aufnahme mit abgedecktem Graustufensensor beispielsweise überwiegend rauschunterdrückte Matsche enthält, zeigt die Aufnahme mit zwei Kameras noch gut die Struktur des Pflasters im Bürgersteig. Und auch die Blätter der Hecken haben deutlich mehr Struktur. Auch die Struktur im Himmel wird sehr schön herausgearbeitet. Das gesamte Bild ist deutlich detailreicher, wenn beide Kameras zum Einsatz kommen durften und kann sich für eine Smartphone-Aufnahme unter diesen Lichtbedingungen wirklich sehen lassen!
Weitaus weniger deutlich hingegen ist der Unterschied bei den Vergleichsaufnahmen, die 20 Minuten zuvor entstanden. Dort war noch nicht "Blaue Stunde", sondern normal abnehmendes Tageslicht. Auch bei diesen Bildern ist ein Qualitätsunterschied sichtbar, aber längst nicht so markant wie bei den Aufnahmen mit noch deutlich weniger Licht. Hier hatten wir eigentlich deutlich mehr Effekt erwartet. Als Resümee möchten wir deshalb behaupten: In den allermeisten Situationen bringt die 2-Kamera-Technik keine oder nur wenig Qualitätssteigerung. Bei Motiven im Nahbereich wird sie, technisch bedingt, überhaupt nicht verwendet. Und bei Aufnahmen mit abnehmendem Umgebungslicht sind Qualitätsvorteile kaum sichtbar. Ausschließlich in eher seltenen Grenzbereichen, d. h. bei wirklich sehr wenig Licht, bringt die 2-Kamera-Technik deutlich sichtbare Qualitätsvorteile. Übrigens sei noch angemerkt: Nur die Huawei-Kamera-App nutzt überhaupt das Dual-Kamera-System. Alle anderen Kamera-Apps verwenden ausschließlich die Farbkamera, profitieren also nicht von der tollen Technik.
Huawei P9 Plus Bildvergleich (ganze Bilder, 16,7 % Darstellung). Aufnahmen in der Dämmerung, oben mit abgedeckter Graustufenkamera, unten als Dual-Kamera-Aufnahme. Den Original-Screenshot können Sie über die weiterführenden Links laden. [Foto: MediaNord]
Huawei P9 Plus Bildvergleich (100 % Zoom). Aufnahmen in der Dämmerung, oben mit abgedeckter Graustufenkamera, unten als Dual-Kamera-Aufnahme. Den Original-Screenshot können Sie über die weiterführenden Links laden. [Foto: MediaNord]
Huawei P9 Plus Bildvergleich (100 % Darstellung). Die Aufnahme mit zwei Kameras (rechts) enthält deutlich mehr Bildinformationen. Das Pflaster des Gehwegs ist gut sichtbar, die Blätter an den Pflanzen viel konturierter. [Foto: MediaNord]