Smartphone mit Dual-Kamera

Testbericht: Huawei P9 Leica-Doppelkamera näher untersucht

Seite 2 von 2, vom 2016-07-29 (Autor: Jan-Markus Rupprecht)Zur Seite 1 wechseln

Modus "Effekte mit großer Blende"

Eine wirklich sehr schöne Spielerei – und mehr als das – ist hingegen der Modus "Effekte mit großer Blende". Den Modus aktiviert man bei der Aufnahme, indem man das Blendensymbol in der App antippt. Dieses wird dann orange eingefärbt und man kann durch einen Fingertipp den Punkt auf dem Monitor markieren, der scharf aufgenommen werden soll. Nun kann man schon die Blendenöffnung einstellen, die das Bild später simulieren soll, indem man einfach den Finger auf dem Display auf und ab streicht und damit die Blende virtuell öffnet oder schließt. Aber dies später nachzujustieren ist eigentlich viel spannender. Also am besten einfach erstmal das Foto schießen und später schauen, was passiert. Öffnet man ein solches Foto dann anschließend in der Kamera-App im Wiedergabe-Modus, findest man ein halbtransparentes Blendensymbol auf dem Bild. Wir dies angetippt, kannst man wie zuvor beschrieben die Schärfe nachträglich weitgehend frei justieren.

Der Effekt ist besonders groß, wenn nahe Objekte vor einem etwas weiter entfernten Hintergrund fotografiert wurden. Smartphone-Kameras haben, bedingt durch ihren ziemlich kleinen Sensor, die Eigenschaft, fast alles mehr oder weniger scharf abzubilden ("große Schärfentiefe"). Durch die nachträgliche Einstellung kann man einen größeren Sensor simulieren sowie eine Objektiv-Lichtstärke bzw. Blendenöffnungen von 0,95 (die Zahl kommt von den extrem lichtstarken Leica Noctilux-Objektiven, die es für das Leica-M-Kamerasystem gibt) bis 16 einstellen. Kleine Blendenzahlen bedeuten eine große Blendenöffnung und eine geringe Schärfentiefe (d. h. nur ein kleiner Bereich im Bild ist scharf). Große Blendenzahlen bedeuten eine kleine Blendenöffnung und eine große Schärfentiefe (d. h. im Bild ist mehr oder weniger alles scharf). Wenn Sie einmal jemandem demonstrieren möchten, wie sich die Blendenöffnung aufs Bild auswirkt, dann haben Sie hier das perfekte Lernprogramm dafür. Die Visualisierung ist wirklich schön gelungen und die Ergebnisse sind auch beeindruckend. Interessant ist, dass man bei geeigneten Motiven und Aufnahmen tatsächlich scheinbar nachträglich den Fokuspunkt setzen kann: beispielsweise auf den Vordergrund oder auf den Hintergrund. Das funktioniert natürlich nur in bestimmten Grenzen. Wenn man bei der Aufnahme auf den Vordergrund scharfgestellt hat, wird der Hintergrund nie hundertprozentig scharf sein. Aber der Effekt beim "Spielen" mit der App ist wirklich nett. Der Effekt lässt sich übrigens immer und immer wieder anwenden und verändern, solange das Originalfoto im Smartphone ist. Die verschiedenen Endversionen kann man jeweils separat abspeichern. Diese werden dann mit _1, _2 usw. durchnummeriert.

Auch bei diesem Effekt muss man sagen: Wie ganz genau das funktioniert ist nicht bekannt, aber es funktioniert ziemlich gut. Wir haben versucht näheres dazu herauszufinden, auch natürlich durch Internet-Recherche. Aber alles, was wir zu dem Thema gefunden haben, sind halbgare Aussagen, dass die zweite Kamera eine "Tiefeninformation" erfasst. Was soll das wohl sein? Klar ist, dass hierbei auf jeden Fall beide Kameras verwendet werden, anders geht es nicht. Deckst du die Graustufenkamera bei der Aufnahme ab, bekommst du trotz Warnhinweis zwar ein Foto – aber keines, bei dem du nachträglich die Schärfe justieren kannst. Die Möglichkeit zur Schärfemodifizierung geht auch verloren, sobald das Originalfoto mit einer anderen Smartphone-App oder z. B. mit Photoshop am PC bearbeitet wurde. Nur die Original-Dateien im Huawei P9 bzw. P9 Plus besitzen diese besondere Eigenschaft. Dabei handelt es sich bei den Fotodateien augenscheinlich um ganz normale JPEG-Dateien. Jede Software, die wir ausprobiert haben, kann die Dateien problemlos öffnen. Ganz offenbar stecken die "Tiefeninformationen" aus der zweiten, leicht versetzen Kamera, mit in der Datei. Darauf deutet auch die Dateigröße hin: Fotos, die das Einstellen der Schärfe ermöglichen, sind deutlich größer als ein Foto, dass diese Möglichkeit nicht bietet. Man könnte sagen: Ungefähr doppelt so groß. Es liegt also der Verdacht nahe, dass solche Fotos einfach die Aufnahmen beider Kameras in einer einzigen Datei enthalten und die Software mit den beiden Aufnahmen nachträglich arbeitet, beispielsweise durch Vergleich beider Aufnahmen den gewünscht scharfen Bereich maskiert und alles andere dann mehr oder weniger unscharf zeichnet. Die Theorie mit den zwei Aufnahmen in einem Bild haben wir versucht mit dem Tool JPEGsnoop näher zu ergründen. Das Programm ist z. B. in der Lage kleine Thumbnail-Versionen anzuzeigen, die mit in der großen JPEG-Datei enthalten sind (einige Digitalkameras arbeiten so, um die Bildvorschau schneller anzeigen zu können). Aber laut JPEGsnoop steckt nur ein einziges Bild in der Datei. Allerdings – da haben wir es: JPEGsnoop meldet "NOTE: Data exists after EOF, range: 0x002BDBEB-0x0061C896 (3533995 bytes)". Auf gut Deutsch: Nach der eigentlichen End-of-File-Markierung des JPEGs (die eigentlich besagt, dass die Datei zu Ende ist), befinden sich noch satte 3,45 Megabyte an Daten. Das dürfte wohl das Graustufen-Bild sein.

  • Bild Huawei P9 Plus Originalaufnahme mit der Möglichkeit nachträglich die Schärfentiefe einzustellen. [Foto: MediaNord]

    Huawei P9 Plus Originalaufnahme mit der Möglichkeit nachträglich die Schärfentiefe einzustellen. [Foto: MediaNord]

  • Bild Huawei P9 Plus Aufnahme mit nachträglich eingestellter Schärfentiefe, hier auf kleinste Blendenöffnung (F16). Dies ist im Grunde die Aufnahme, so wie die Kamera mit ihrem kleinen Sensor die Welt wirklich sieht. [Foto: MediaNord]

    Huawei P9 Plus Aufnahme mit nachträglich eingestellter Schärfentiefe, hier auf kleinste Blendenöffnung (F16). Dies ist im Grunde die Aufnahme, so wie die Kamera mit ihrem kleinen Sensor die Welt wirklich sieht. [Foto: MediaNord]

  • Bild Huawei P9 Plus Aufnahme mit nachträglich eingestellter Schärfentiefe, hier auf größte Blendenöffnung (F0,95). Der Effekt wirkt ziemlich echt. Er ist in diesem Beispielbild auch extrem sichtbar, weil das Motiv sehr dicht an der Kamera war. [Foto: MediaNord]

    Huawei P9 Plus Aufnahme mit nachträglich eingestellter Schärfentiefe, hier auf größte Blendenöffnung (F0,95). Der Effekt wirkt ziemlich echt. Er ist in diesem Beispielbild auch extrem sichtbar, weil das Motiv sehr dicht an der Kamera war. [Foto: MediaNord]

Modus "Monochrom"

Auch die viel beworbene und gelobte Möglichkeit, direkt Graustufenbilder mit der Graustufenkamera aufzunehmen, haben wir uns natürlich angeschaut. Wir haben einige Situationen getestet, wo wir vermutet hätten, dass eine Aufnahme mit dem reinen Graustufen-Sensor sichtbare Vorteile gegenüber einer normalen Farbaufnahme zeigt. Schönere Kontraste oder mehr Details beispielsweise. Die behauptete höhere Lichtaufnahme des Sensors durch die fehlenden Farbfilter lässt sich dabei sogar anhand der Exif-Daten belegen. Bei Aufnahmen im Monochrome-Modus, also mit der Graustufenkamera, wählt diese stets ziemlich genau den halben ISO-Wert, den die Vergleichsaufnahme mit der Farbkamera hat. Liegt das Farb-JPEG beispielsweise bei ISO 125, dann hat das Graustufen-JPEG ISO 64. Bei solchen Werten kann die Graustufenaufnahme allerdings unserer Meinung nach keine Vorteile herausarbeiten. Im Gegenteil. Die besseren Schwarzweißfotos bei guter Beleuchtung entstanden aus einer Farbaufnahme durch nachträgliches Umwandeln. Dies vermutlich auch dadurch, dass wir bzw. die verwendete Software dabei durch unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Farbkanäle Einfluss auf das Endergebnis nehmen können.

Ganz anders sieht es in hohen ISO-Bereichen aus. Ob ein Foto mit ISO 3.200 (Farbfoto) oder ISO 1.600 (Schwarzweißfoto) aufgenommen wurde, macht sehr wohl einen Unterschied! Vergleichen Sie bei Interesse von den Beispielaufnahmen einmal die Bilder MG_20160722_162642.JPG (Farbfoto mit 2 Kameras, aber wie oben beschrieben ohne sichtbaren Vorteil) mit IMG_20160722_162959.JPG (Graustufenfoto). Beim ISO-1.600-Graustufenbild sind die Ziffern auf dem Linial noch knackscharf, sogar die Artikelnummer des Linealherstellers lässt sich noch einwandfrei lesen. Beim ISO.3.200-Farbfoto ist dies nicht mehr möglich. Auch in der Augenoptiker-Testtafel ist praktisch noch eine zusätzliche Zeile lesbar.

Fazit

Was ist nun nach allen Versuchen von der Dual-Kamera zu halten? Bietet die Kombination aus Farb- und Graustufen-Kamera tatsächlich gravierende Vorteile? Kommt dieses Smartphone in der Qualität vielleicht sogar an bessere, "richtige" Kompaktkameras heran? Wir sind geneigt zu sagen: Hier wird derzeit sehr viel Aufwand für relativ wenig Ergebnis betrieben. Klar ist: Die Kamera des Huawei P9 bzw. P9 Plus ist derzeit ganz sicher eine der besten "flachen" Smartphone-Kameras, die es gibt – vielleicht sogar die beste. Überhaupt sind das Huawei P9 und erst recht das P9 Plus mit die derzeit solidesten und hochwertigsten Smartphones. Aber der Werberummel um die "Leica-Kamera" weckt Erwartungen, die das Gerät nicht erfüllt. Zu selten werden die Vorteile überhaupt im Bild sichtbar, zu oft spielt die Technik ihre Vorteile nicht aus (bei "mittelwenig" Licht, egal ob Farb- oder Schwarzweiß-Fotos) oder kann sie aufgrund physikalischer Gegebenheiten (bei Nahaufnahmen) nicht zur Steigerung der Bildqualität einsetzen. Erst bei hohen ISO-Zahlen (ab ISO 1.600) zeigen sich die Vorteile der Graustufenkamera sowohl bei Schwarzweiß-Aufnahmen als auch bei kombinierten Farbfotos. Recht überzeugend ist der Effekt der nachträglich einstellbaren Schärfe. Aber dieser funktioniert nur im Nahbereich bis 2 Meter und darüber hinaus zunehmend weniger. Wirklich gute freigestellte Porträts gelingen damit auch nur theoretisch, denn durch das 27-mm-Weitwinkel-Objektiv muss man der Person stark auf die Pelle rücken und mit Weitwinkel-Objektiven aufgenommene Porträts sehen meist nicht sehr vorteilhaft aus. Dennoch: Für ein ultraflaches Smartphone sind die Möglichkeiten, die die eingebaute Doppelkamera bietet, faszinierend. Und als Immer-dabei-Kamera und für Leute, die auf bestmögliche Smartphone-Fotos Wert legen, eine sehr gute Wahl.

Hersteller Huawei Huawei
Typenbezeichnung P9 P9 Plus
Preis (UVP) 569,00 Euro 699,00 Euro
Farben Silber, Grau Grau
Gehäuse
Abmessungen 145 x 71 x 7 mm 152 x 75 x 7 mm
Hardware
Betriebssystem Android 6 Android 6
CPU-Typ Kirin 920 Kirin 920
CPU-Kerne 8 8
CPU-Taktrate 2,5 GHz 2,5 GHz
Arbeitsspeicher 3 GB 4 GB
Massenspeicher
32 GB
64 GB
Speicherkartentyp MicroSD MicroSD
Konnektivität
USB-Typ Typ C Typ C
USB-Version USB 2.0 High Speed USB 2.0 High Speed
WLAN ja ja
Bluetooth ja ja
NFC ja ja
Netze (LTE, GSM etc.) GSM, LTE, UMTS, USM GSM, LTE, UMTS, USM
Display
Displaytyp LCD AMOLED
Displaygröße 13,2 cm / 5,2 Zoll 13,8 cm / 5,5 Zoll
Displayauflösung 1.920 x 1.080 Pixel / 424 ppi 1.920 x 1.080 Pixel / 424 ppi
Energieversorgung
Akkukapazität 3.000 mAh 3.400 mAh
Akku austauschbar nein nein
Standbyzeit (GSM / UMTS) k. A. / k. A. k. A. / k. A.
Kamera
Sensorauflösung 12,0 Megapixel 12,0 Megapixel
Maximale Bildauflösung 3.968 x 2.976 Pixel 3.968 x 2.976 Pixel
Pixelpitch 1.25 1.25
Brennweite (KB-equiv.) 27 mm 27 mm
Lichtstärke F2,2 F2,2
Bildstabilisator nein nein
Videoauflösung
1.920 x1.080(16:9)30p
1.920 x1.080(16:9)30p
Frontkamera ja ja
Frontkamera Sensorauflösung 8,0 Megapixel 8,0 Megapixel
Mikrofon Mono Mono
Autofokus ja ja
Serienbilder (Anzahl / Geschwindigkeit) k. A. k. A.
Blitzlicht ja ja
ISO-Empfindlichkeit automatisch ja ja
ISO-Empfindlichkeit manuell ja ja
ISO Empfindlichkeit 50 - 3.200 50 - 3.200
Vollautomatik ja ja
Sonderfunktionen (Auswahl) knuckle sense, Fingerabdrucksensor, Beschlunigungsmesser, Gyroskop, Näherungssensor, Umgebungslichtsensor, Dual LED-Blitz, GPS und GLONASS, Luftdrucksensor, Lagesensor knuckle sense, Fingerabdrucksensor, Beschlunigungsmesser, Gyroskop, Näherungssensor, Umgebungslichtsensor, Dual LED-Blitz, GPS und GLONASS, Luftdrucksensor, Lagesensor
Blitzlicht / Blitztyp ja / LED ja / LED

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Autor

Jan-Markus Rupprecht

Jan-Markus Rupprecht, 59, fotografiert mit Digitalkameras seit 1995, zunächst beruflich für die Technische Dokumentation. Aus Begeisterung für die damals neue Technik gründete er 1997 digitalkamera.de, das Online-Portal zur Digitalfotografie, von dem er bis heute Chefredakteur und Herausgeber ist. 2013 startete er digitalEyes.de als weiteres Online-Magazin, das den Bogen der digitalen Bildaufzeichnung noch weiter spannt.